Von der 'Realität' versklavt

Weiner, Donnerstag, 14.01.2021, 11:40 (vor 1196 Tagen) @ trosinette2420 Views

Guten Tag,

Guten Tag ebenso!

du bist also eine libertärer Minimalstaats-Theoretiker, der ein wenig vom Menschen begriffen hat und sich deshalb sogleich an seinem Umbau beteiligt.

Danke für die Briefmarke, die Du mir auf die Nasenspitze geklebt hast! Vermutlich wird sie bald wieder abfallen.

Ist ein (weitgehend) herrschaftsfreier Staat denkbar?


Nein, ein herrschaftsfreier Staat ist natürlich nicht denkbar. Wenn der Staat keine Herrschaft ausübt ist er nicht vorhanden.

Der Kreis ist rund. Und weil er rund ist, ist er ein Kreis.

Bei Gott, er war da nicht der Einzige, aber es gab Menschen, die haben sich gegen die Macht entschieden. Und die haben meinen größeren Respekt. Jünger hat nach meinem Wissen keinen akzeptablen Vorschlag gemacht, das Machtproblem zu lösen, möglicherweise hat er es überhaupt nicht verstanden.


Was noch lange nicht bedeutet, dass Sie sich für ein Machtvakuum entschieden haben. Vielleicht hat Jünger auch keinen Vorschlag gemacht, das Machtproblem zu lösen, weil er mehr verstanden hat als Du?

Bedauerlicherweise können wir ihn jetzt nicht mehr fragen.

Konsens und auf verinnerlichten Verhaltensweisen.


Ja, aber ohne Dompteure kommt trotzdem kein Tanzbär freiwillig um 20:00 zur Vorführung in die Manege.

Also wäre - dieser Vergleich gespiegelt zurückgedacht - der Staat ein widernatürlichr Zirkus?

Da ist wirklich was Wahres dran!

Hier tust Du so, als ob der Staat quasi eine kollektive Erfindung zur Überwindung unsere Unzulänglichkeiten darstellt – diese Sicht ist aber vollkommen unzulänglich.

Du schreibst:

Wir können fairen wirtschaftlichen Austausch miteinander pflegen


Wozu sollten wir das können?

Damit wir uns den Staatszirkus sparen können.

Wir müssen es können wollen, um unsere Steuerschuld zu begleichen.

Die liesse sich drastisch reduzieren, vielleicht sogar auf Null bringen, und dann würde man sogar Zeit haben, den o.g. fairen Austausch mit Witz und Spaß und mit Freude am Handeln zu verbinden, etwa wie auf dem orientalischen Basar. *)

Rate mal, wieso Millionen von Mitbürgern jede Woche ihren Lottoschein abgeben. Die haben alle keinen Bock auf wirtschaftlichen Austausch.

Oder sie betrügen sich selbst und geben damit anderen eine Chance, sie zu betrügen.

Der Staat indoktriniert mit Zwang, Macht und Gewalt eine Lebensweise, die Du auf eine Basis von herrschaftsfreiem Konsens und Freiwilligkeit hieven willst - das ist naiv.

Flugzeuge können nicht fliegen, weil sie schwerer sind wie Luft.
Kein Mensch hat den Mond je betreten, keiner wird ihn jemals betreten.
Es gibt keine sicheren Atomkraftwerke, aber Autos sind sicher.

Vielleicht wiederhole ich mich: soziale (Menschen-) Gemeinschaften haben nur drei Feinde, nämlich (menschliche) Parasiten, Räuber und Diebe.


Mit nur einem Feind hat sich die Idee vom herrschaftsfreien Staat bereits erledigt.

Nein, da fängt er erst an!

Und wie gedenkst Du, in der herrschaftsfreien Weltgemeinschaft mit meinen inneren Feinden zu verfahren? Gier, Neid, Hab- und Selbstsucht, der innere Schweinehund, Bequemlichkeit usw. usf.?

Durch Menschen- und Charakterbildung.
In schweren Fällen könnte ein Gebet angezeigt sein.

Großzügigerweise kann man sie natürlich reinlassen, wenn sie das Gesamtgefüge nicht wesentlich stören.


Na klar…, und diese Option realisierst Du dann ganz zwanglos.

Im guten 'Staat' mit charakterstarken und starken Menschen würden sie mit ihren abnormalen Verlangen (der Monarch nach Macht, der jüngersche Anarch nach Versteckspiel vor dem Monarchen) ins Leere laufen.

Zum Schluß noch ein Zitat von Ernst Jünger, der hoffentlich nicht so naiv wie ich war. Das Zitat stammt aus dem 'Weltstaat' (Essay von 1960). Zu diesem Weltstaat hin sieht er die gegenwärtige Menschheit 'in Bewegung' (immerhin!!).

Und Jünger glaubt ... erwartet ... hofft ... hält es für möglich ... (leider können wir ihn nicht mehr fragen, was genau nun ...) - also er schreibt, wie ich, im Konjunktiv: daß dieser Weltstaat eine neue Qualität haben könnte, weil er beispielsweise kein Militär mehr braucht (schon wieder eine Steuer gespart!?) ZITAT nun: "Dann könnte der menschliche Organismus als das eigentlich Humane, vom Zwang der Organisation befreit, reiner hervortreten."

Umgekehrt wird ein besserer Schuh daraus!

Mit freundlichen Grüßen
Schneider

Ich verabschiede mich aus dieser Diskussion mit Dank und freundlichen Grüßen,
Weiner

*) Nach meiner Auffassung und (historischen) Einschätzung steckt im 'freien Handel' auf dem BASAR noch ein letzter Reflex der ersten Tausch-Situationen (lange vor dem Neolithikum). Diese fanden immer an der Grenze der Stammesreviere statt und waren sehr, sehr kribbelig - bis man, nach mehrfacher Wiederholung, sich einschätzen konnte und ein wenig Vertrauen zueinander gefunden hatte. Ein Vorfahre von Mohammed (Qusai) kam auf folgende Idee: daß jeder zum Warentausch (Sklaven eingeschlossen ...) bereite Stamm seine 'Stammesgötter' nach Mekka mitbringen dürfe (und dort ggfs. auch stehen lassen könne; war die eigentliche Wurzel der Vielgötterei, die Mohammed dann später bekämpft hat ...). Außerdem solle es einen umschriebenen Zeitraum im Jahr geben, an dem im Raum Mekka kein Streit und Kampf stattfinden dürfe. Die Stämme in Arabien waren mit diesem Vorschlag einverstanden (Konsens über Raum und Zeit und Verhalten!). Was zu einem wirtschaftlichen Aufschwung Mekkas führte ...


gesamter Thread:

RSS-Feed dieser Diskussion

Werbung