Gute Vorsätze für das neue Jahr, z. B. öfter mal Schopenhauer lesen;-)
Hallo Zara,
Klarer als Schopenhauer kann man es sowieso nicht sagen. Ich wüsste
nicht, welche Fragen da noch offen bleiben:
Offensichtlich keine" />
„Um die Entstehung dieses für unser Thema so wichtigen Irrthums
speciell und aufs deutlichste zu erläutern und dadurch die im vorigen
Abschnitt angestellte Untersuchung des Selbstbewußtseyns zu ergänzen,
wollen wir uns einen Menschen denken, der, etwan auf der Gasse stehend, zu
sich sagte: „’Es ist 6 Uhr Abends, die Tagesarbeit ist beendigt. Ich
kann jetzt einen Spatziergang machen; oder ich kann in den Klub gehn; ich
kann auch auf den Thurm steigen, die Sonne untergehn zu sehn; ich kann auch
ins Theater gehn; ich kann auch diesen, oder aber jenen Freund besuchen;
ja, ich kann auch zum Thor hinauslaufen, in die weite Welt, und nie
wiederkommen. Das Alles steht allein bei mir, ich habe völlige Freiheit
dazu; thue jedoch davon jetzt nichts, sondern gehe ebenso freiwillig nach
Hause, zu meiner Frau.’ Das ist gerade so, als wenn das Wasser spräche:
‚Ich kann hohe Wellen schlagen’ (ja! nämlich im Meer und Sturm),
‚ich kann reißend hinabeilen’ (ja! nämlich im Bette des Stroms),
‚ich kann schäumend und sprudelnd hinunterstürzen’ (ja! nämlich im
Wasserfall), ‚ich kann frei als Strahl in die Luft steigen’ (ja!
nämlich im Springbrunnen), ‚ich kann endlich gar verkochen und
verschwinden’ (ja! bei 80° Wärme); ‚thue jedoch von dem Allen jetzt
nichts, sondern bleibe freiwillig, ruhig und klar im spiegelnden Teiche.’
Wie das Wasser jenes Alles nur dann kann, wann die bestimmenden Ursachen
zum Einen oder zum Andern eintreten; ebenso kann jeder Mensch was er zu
können wähnt, nicht anders, als unter der selben Bedingung. Bis die
Ursachen eintreten, ist es ihm unmöglich: dann aber muß er es, so gut wie
das Wasser, sobald es in die entsprechenden Umstände versetzt ist.
Sein Irrthum und überhaupt die Täuschung, welche aus dem falsch
ausgelegten Selbstbewußtseyn hier entsteht, daß er jenes Alles jetzt
gleich könne, beruht, genau betrachtet, darauf, daß seiner Phantasie nur
ein Bild zur Zeit gegenwärtig seyn kann und für den Augenblick Alles Andere
ausschließt.
"Falsch ausgelegtes Selbstbewusstsein."
Dieser geniale Hinweis fehlte mir noch als Puzzelsteinchen in der Ursachenforschung.
Vielen Dank für das Reinstellen.
Stellt er nun das Motiv zu einer jener als möglich
proponirten Handlungen sich vor; so fühlt er sogleich dessen Wirkung auf
seinen Willen, der dadurch sollicitirt wird: dies heißt, in der
Kunstsprache, eine Velleitas. Nun meint er aber, er könne diese auch zu
einer Voluntas erheben, d.h. die proponirte Handlung ausführen: allein
dies ist Täuschung. Denn alsbald würde die Besonnenheit eintreten und die
nach andern Seiten ziehenden, oder die entgegenstehenden Motive ihm in
Erinnerung bringen: worauf er sehen würde, daß es nicht zur That kommt.Bei einem solchen successiven Vorstellen verschiedener einander
ausschließender Motive, unter steter Begleitung des innern ‚ich kann
thun was ich will’, dreht sich gleichsam der Wille, wie eine Wetterfahne
auf wohlgeschmierter Angel und bei unstätem Winde, sofort nach jedem Motiv
hin, welches die Einbildungskraft ihm vorhält, successiv nach allen als
möglich vorliegenden Motiven, und bei jedem denkt der Mensch, er könne es
wollen und also die Fahne auf diesem Punkte fixiren; welches bloße
Täuschung ist. Denn sein ‚ich kann dies wollen’ ist in Wahrheit
hypothetisch und führt den Beisatz mit sich ‚wenn ich nicht lieber jenes
Andere wollte’: der hebt aber jenes Wollenkönnen auf."
Prädikat: Sehr empfehlenswert" />
LG
siggi