Im Zweifel Epiktet

Oblomow, Donnerstag, 05.01.2017, 14:37 (vor 2668 Tagen) @ trosinette6905 Views

Guten Tag,

Caro Sarto, als radikal empfinde ich Dich nicht - wie äußert sich

Deine Radikalität? Radikale Ehrlichkeit? Radikale Liebe? Radikale Was?

Radikal unpolitisch bei radikaler Gelassenheit. Das Ganze funktioniert
natürlich nur mit einer gewissen Dosis geistiger Entrücktheit. Zu diesem
Zweck sollte man beispielsweise die „Frohe Botschaft“ oder eine wie
auch immer geartete hoffnungsvolle Interpretation der Selbigen im Auge
behalten oder sich die Glücksphilosophie eines gewissen Arthur S. oder
Meister Eckhart zu Eigen machen. Mit Musik wird die ganze Angelegenheit
abgerundet.

Ich muss aber zugeben, dass es das Schicksal bisher wahnsinnig gut mit mir
meinte. So wurde mir z.B. ein sicherer IT-Admin-Job an die Hand gegeben,
der mich mit hinreichend Netto nach Hause gehen lässt und der es mir
erlaubt, den sogenannten Ernst des Lebens die meiste Zeit in untätiger
Freude und kontemplativer Gelassenheit an mir vorbeiziehen zu lassen.
Darüber hinaus erlaubt mir meine Gesundheit mein neues Geheimprojekt
„Berliner Meister ü50 über 200m Freistiel“ zu starten. Ich habe keine
Ahnung, womit ich so viel Glück verdient habe und sehe mich außer Stande,
mich übergebührlich über zerfallende Infrastruktur, schmutzige
Bürgersteige und randalierende Nafris und verplemperte Steuergelder
aufzuregen. Es ist doch sowieso vollkommen klar, dass alles was ist und
alles was kommt auch wieder vergehen muss, was insbesondere für den Tand
aus Menschenhand gilt.

Es müsste natürlich heißten: "Die Bürde des Menschen/oder Deutschen

ist unverletzbar, nicht übertragbar und auf ewig sein. Amen".

Von dieser Bürde habe ich persönlich noch nichts mitbekommen. Diese
Bürde kenne ich nur aus Erzählungen. Es scheint mir aber, dass sich Viele
mit dieser Bürde, dem politischen Drumherum und die Sorge um Deutschland
dermaßen beladen, dass sie von dem eigenen kleinen Glück nichts
mitbekommt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir Deutschen in dieser
Beziehung besonders gut sind. Weil den Leuten im englischsprachigen Raum
für gewisse deutsche Eigenarten die Worte fehlen, haben die sich sogar den
Begriff „German Angst“ ausgedacht.

Mit freundlichen Grüßen
Schneider

Epiktet: Handbüchlein der Moral - Kapitel 1

Kapitel 1

Einige Dinge stehen in unserer Macht, andere hingegen nicht. In unserer Macht sind Urteil, Bestrebung, Begier und Abneigung, mit einem Wort alles das, was Produkt unseres Willens ist. Nicht in unserer Macht sind unser Leib, Besitz, Ehre, Amt, und alles was nicht unser Werk ist. Was in unserer Macht ist, ist seiner Natur gemäß frei, kann nicht verboten oder verhindert werden; was aber nicht in unserer Macht steht, ist knechtisch, kann verwehrt werden, gehört einem anderen zu.

Deshalb bedenke, daß du Hinderung erfahren, in Trauer und Unruhe geraten, ja sogar Götter und Menschen anklagen wirst, wenn du das von Natur Dienstbare für frei und das Fremde für dein eigen ansiehst. Hältst du dagegen für dein Eigentum nur, was wirklich dein eigen ist, und betrachtest das Fremde als fremd, so wird dich niemand jemals zwingen oder hindern; du wirst niemanden anklagen oder beschimpfen, und nicht das geringste mit Widerwillen tun; niemand kann dir schaden; du wirst keinen Feind haben, und nichts, was dir nachteilig sein könnte, wird dir begegnen.

Willst du nun aber nach so großartigen Dingen trachten, so bedenke, daß du sie nicht bloß mit mittelmäßigem Ernste angreifen, sondern manches gänzlich aufgeben, anderes einstweilen hintansetzen mußt. Wenn du jene Dinge erstrebst, gleichzeitig aber in hohen Ämtern stehen oder reich sein willst, so wirst du wahrscheinlich diese letzteren Güter nur um so weniger erreichen, weil du eben zugleich nach den ersteren begehrst. Ganz sicher aber wirst du dasjenige ganz verfehlen, woraus allein Glück und Freiheit entsteht.

Bemühe dich daher, jedem unangenehmen Gedanken damit zu begegnen, daß du sagst: »Du bist nicht das, was du zu sein scheinst (etwas Reelles), sondern bloß ein Gedankending (eine Einbildung).« Alsdann prüfe nach den von dir angenommenen Grundregeln, besonders nach der ersten, ob es zu den in unserer Macht stehenden Dingen gehöre oder nicht. Gehört es zu den nicht in unserer Macht stehenden, so halte dies Wort bereit: »Es berührt mich nicht.«


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