Warum gibt es keine Inflation?

Miesepeter, Samstag, 23.01.2021, 14:00 (vor 1182 Tagen) @ BerndBorchert3550 Views
bearbeitet von Miesepeter, Samstag, 23.01.2021, 14:07

Hi BerndBorchert,

Das heißt, die Verbindung des Geldes (Euro) über das Zentralbankgeld (ZB-Euro) über die Staatsanleihen, bei der bei den regulären Repo-Geschäften (im Gegensatz zu den Offenamrkt-Geschäften) zu jedem ZB-Euro 1-zu-1 ein Euro Staatsschulden gegenübersteht, und weiter in Verbindung zu der Sicherheit der Staaten für das geliehene Geld, nämlich Steuern kassieren zu können, letztendlich die Verbindung des Geldes zu der wirklichen Wirtschaftsleistung (die meisten Steurn kommen aus Einkommen und MWSt.), wird Stück für Stück aufgelöst. Wir sind schon über die Hälfte dieses Auflösungsprozesses hinaus. Oder anders gesagt: durch die EZB Offenmarkt-Aufkäufe der letzten Jahre hat der Euro schon die Hälfte seiner Verbindung zur Wirtschaftsleistung verloren. Mehr als die Hälfte eines Euros ist inzwischen schon so gedeckt, wie sich das die Gold- und Bitcoin-Anhänger vorstellen: nämlich durch nichts mehr.

Zunächst einmal bleibt festzuhalten, dass ZBG als "high powered money" nur einen Teil des "Geldes" darstellt. Davon wären in diesem Rechenbeispiel dann 50% über Kredite, und 50% über den Ankauf von Staatsanleihen (oder sonstigen Assets) entstanden.

Moneymind differenzierte diese beiden unterschiedlich generierten Gelder als Geld I und Geld II (Regulierungsgeld), siehe zb:

https://archiv1.dasgelbeforum.net/index.php?id=269405
https://archiv1.dasgelbeforum.net/index.php?id=269411
https://archiv1.dasgelbeforum.net/index.php?id=280887
https://archiv1.dasgelbeforum.net/index.php?id=281824

(alles sehr viel ausführlicher dargestellt als ich das in der Kürze vermag, falls das Thema jemanden wirklich interessiert)

Dabei dient das "Regulierungsgeld" dazu, den über Kredite entstandenen Schuldendruck, der die Wirtschaft antreibt, auszutarieren zwischen unerträglich (= Deflation) und nichtexistent (=Hyperinflation). Dies geschieht über den Effekt, dass "Regulierungsgeld" im Gegensatz zum Kredit keinen Termin hat - somit kann die erforderliche Anstrengung, an schuldbefreiendes ZBG zu gelangen, mittels Geld II moduliert werden. Dies ist insbesondere dann von systemkritischer Relevanz, wenn andererseits durch vermehrten Spar-(oder reine Finanzinvestitions)willen ZBG oder GBG der Realwirtschaft entzogen wird, also realwirtschaftlich betrachtet S>I ist.

Die Aufgabe der Notenbänker liegt nicht darin, einer puristischen oder ideologischen Gelddefinition gerecht zu werden, sondern darin, Deflation wie Hyperinflation zu vermeiden, und "Regulierungsgeld" ist eines der Instrumente hierzu.

Man darf bei der Beurteilung zusätzlich nicht übersehen, dass ZBG nur das (momentan) oberste Zahlungsmittel in einem mehrstufigen Kreditgeldsystem darstellt. Darunter liegen weitere Ebenen (GBG "Geschäftsbankengeld", Privatgeld (Wechsel, Lieferantenkredit), auf denen ebenfalls Schulden konstituiert werden (und somit Erfüllungszwang erzeugt), auf denen aber niemand "Regulierungsgeld" zur Aufweichung des Schuldendrucks einwerfen kann. Die Gelder einer höheren Ebene werden generell nur zum Ausgleich derjenigen Salden benötigt, die nicht durch Verrechnung innerhalb einer Ebene ausgeglichen werden können.

Ein Anstieg der Zentralbankgeldmenge um 50% bedeutet somit im Hinblick auf die Gesamtheit aller wirtschaftlichen Zahlungsvorgänge und Kreditverhältnisse einen wesentlichen geringeren prozentualen Anteil als dies bei der reinen Betrachtung der Zentralbankgeldmenge zunächst erscheinen mag.


Mit anderen Worten: Was wir da im Moment bei der EZB sehen, dürfte das größte Experiment der Wirtschaftsgeschichte sein - mit uns Bürgern als lebendes Objekt: nämlich das Schuldgeld von der Wirtschaftsleistung zu entkoppeln.

Dem halte ich entgegen, dass es das alles in der Geschichte schon oft gegeben hat. Die Auflösung der Goldpreisbindungen nach dem 1 Weltkrieg und dann wieder das Ende von Bretton Woods waren im Prinzip nicht anders : die sogenannte "Gelddeckung" wurde umdefiniert.

Mehr als 50% eines Euros schon inzwischen schon "losgelöst": Warum gibt es keine Inflation? Liegt es an den 0% Zinsen?

Das liegt an vielen Faktoren:

- ZBG stellt nur einen (nachgeordneten) Teil sämtlicher real benutzter schuldbefreiender Zahlungsmittel dar.

- Klassischer Dottore: Kredit kauft, Geld bezahlt. Die inflationäre Kaufoperation erfolgt immer auf Kredit, ergo sind es steigende Kreditsummen, nicht steigende Geldsummen, welche Preise in die Höhe treiben. Mehr ZBG macht diese Kredite lediglich leichter bedienbar - das kann natürlich dann wiederum zu vermehrter und sorgloserer Kreditaufnahme führen. Im Auge zu behalten sind aber vielmehr die Kreditsummen als die Geldsummen.
Dabei müssen diese dann auch in Relation zum Gesamtoutput und zur Sparquote (neutralisierte Nachfrage) betrachtet werden.

- Die Gelder verbleiben im Finanzsektor (wo es auch hohe Preisinflation gibt) und finden keinen Weg in Realwirtschaft. Die Massenkaufkraft steigt nicht über dem Produktivitätszuwachs (eher darunter). Selbst die wenigen realen Investitionen (in Relation zum theoretisch verfügbaren Finanzkapital) reichen aus, um über Mehrproduktion deflationären Preisdruck in der Realwirtschaft zu erzeugen.

Diese Phase geht allerdings m.E. ihrem Ende entgegen, das ist inzwischen sicherlich Tagesordnungspunkt aller Notenbanksitzungen, und es werden vermehrt Mittel und Wege gesucht und gefunden werden, um weitere Geldemissionen mit Investitionen und Konsum in der Realwirtschaft zu konditionieren.

Gruss,
mp


Mehr hierzu von Moneymind:


Für eine funktionierende Geldwirtschaft sind Eigentum und Kredite von Privat an Privat die Basis, denke ich auch - aber ergänzt durch das Regulationsgeld und weitere antizyklisch einsetzbare Regulationsinstrumente.

Entwertung findet statt, ist ja Ziel der Chose. Geld entknappen, Zahlungsfähigkeit wiederherstellen, und gleichzeitig per Infla-Anheizung deflationär wirkende Geldhortung dysfunktional machen - also übermäßige Anzahl von Pleiten (Kettenreaktion) mit dem Ergebnis unausgelastete Ressourcen (ungenutzte Produktionsanlagen, arbeitslose Leute) vermeiden.

Geld hat auch keinen Termin, aber wenn es aufgrund eines Kredits enstanden hat, hat die Forderung gegen den Kreditnehmer 'nen Termin. Bei QE-Geld und auf Staatsschuld basierendem Geld is das nich so - das is "Knappheitsregulierungsgeld" - wenn seine "Schöpfer" (ZB/Staat) es kapiert haben. H/S nennen es "Willkürgeld" - das isses dann, wenn seine Schöpfer nicht kapiert haben, was man damit macht (und H/S hams offensichtlich auch nich kapiert, sonst würden sie es nicht so nennen).

Ich würde es so sagen: Geld is Liquidität, weil es relativ (mehr oder weniger) knapp is (gegenüber den aktuell fälligen Forderungen auf Geld). Isses überschüssig, verliert es die Liqui-Eigenschaft, je überschüssiger es is. Wird es immer knapper, wird es immer "liquider" - bis es irgendwann crasht, weil das System der Forderungen schlicht zusammenbricht (deflationäre Depression). Dann schlägt die Defla schlagartig in eine Hyperinfla um, und nix mehr is mit Liquidität.

Geld I (basierend auf privaten Kredit) ja ... der Witz von Geld II ist gerade, daß es von dieser Restriktion entkoppelt ist, ergo "Regulationsgeld".

Ja - bei Geld I (und das liefert eigentlich dem heutigen System die Basis, weil es Verpflichtungen zwischen Privaten repräsentiert). Geld II ist davon entkoppelt und daher - zusammen mit ZB-Zins und Fiskal-/Verschuldungspolitik des Staates - als "Regulationsgeld" einsetzbar. Geldknappheit und Infla-Level lassen sich mit diesen Instrumenten regulieren. Man KANN so Hyperinfla machen, wenn man will - dann fliehen die Leute in andere Währungen. Man kann aber auch sinnvolle Geld/Wi-Politik machen, anhand sinnvoller gesamtwirtschaftlicher geldpolitischer Ziele.

Diese Ziele sind längst formuliert ("magisches Viereck") und sogar gesetzlich verankert (Stabilitätsgesetz, EU-Verfassung). Allerdings wird - auf der Basis der verkürzten Theorie des Monetarismus - der Preisstabilität heute Vorrang eingeräumt. Die anderen Ziele (Beschäftigungsstand, Wachstum, außenwirtschaftliches Gleichgewicht) wurden systematisch vernachlässigt, was besonders in der Währungunion zu einer Krise geführt hat.

Das magische Viereck wird auch in der VWL gelehrt, allerdings, ohne es auf ein Modell der Geldwirtschaft zurückzuführen, das diese von Grund auf (Gelschöpfung etc.) systematisch und Schritt für Schritt verständlich macht. Stattdessen werden konkurrierende, aber jeweils unvollständige Modelle gelehrt (Neoklassik, Monetarismus, Keynesianismus ... ).

https://archiv1.dasgelbeforum.net/index.php?id=268629


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