Systemisch betrachtet…

Silke, Dienstag, 30.10.2018, 17:56 (vor 2214 Tagen) @ tar6504 Views
bearbeitet von Silke, Dienstag, 30.10.2018, 18:30

Lieber tiefsinniger tar,

...bin ich die Summe der über meine gesamte Lebenszeit erfahrenen Be- und Entmächtigungen durch meine Umgebung (von außen verliehenes und/oder geraubtes Potential).
Wenn ich wie Sinéad die Hölle durchgemacht hätte, wäre mein Werdegang ein anderer gewesen, als der, den ich bisher ging.
Vielleicht wäre ich dann die Mutter von vier Kindern, eine viel verehrte und ausgezeichnete Künstlerin und die mutige Frau gewesen, die gegen aus ihrer Sicht bestehende Missstände auf ihre Art anging und dafür erstaunliche ̶b̶̶e̶̶w̶̶e̶̶r̶̶t̶̶u̶̶n̶̶g̶̶e̶̶n̶ Entwertungen bekam und bekommt.

Wer glaubt, seines Glückes Schmied zu sein, hat das Glück, einfach
gestrickt zu sein.

Da hat unser Schneiderlein mal wieder Recht.[[top]]
Wenn wir noch einmal das Neugeborenenbild von @Ashitaka bemühen:
Nichts, aber auch garnichts hat sich in meiner Entwicklung aus mir heraus gebildet (kein eigenes Potential).
Jahrtausende nachdem erste ZMS entstanden, wurde ich unter diesem aus der Vergangenheit in die Zukunft strahlenden massiven Einfluss gezeugt/geboren durch Vater/Mutter, und in ein bestimmtes ZMS gestellt, lange lange urschuldbefriedigt durch die Meinen und mein soziales Umfeld um die von außen zedierte Potentialität aktiv zu nutzen und mir daraus resultierend mehr Potential zu erstreiten, wobei ich abgabepflichtig wurde.

Wer in (seiner subjektiv immer ganz persönlich erlebten) Hölle aufwächst kann nur überleben, wenn ihm jemand das Potential dafür verleiht - sonst kann er sich nicht für das Überleben entscheiden und stirbt spektakulär wie Falco, laut wie Kurt Cobain, leise wie Whitney Houston oder eben Stück für Stück wie Elvis, Michael Jackson und Sinéad O'Connor und all die vielen anderen.
Wenn ihn Strukturen seines Potentials berauben braucht er unbedingt weitere Potentialverleihung durch andere Strukturen.
Einfacher formuliert:
Ich kann weder etwas dafür, dass ich kranke und beschädigende Eltern noch dass ich schützende und unterstützende Großeltern und/oder andere nahe Personen habe, die sich um die Stärkung meiner Wurzeln und das Wachsen meiner Flügel bemühen.

Ich kann nur sehr begrenzt etwas dafür, aus verliehener Potentialität (Möglichkeiten) Aktivitäten (Realisation von Möglichem unter Verlust aller anderer Möglichkeiten) zu entfalten (eine Wahl treffen zu können).
Selbst die Entscheidung, warum ich zum Zeitpunkt X dieunddie Aktivität entfalte ist die Summe der inneren und äußeren Einflüsse, wobei die "inneren Einflüsse" bei genauer Betrachtung auch nur Ergebnis des Zusammenspiels weiterer äußerer Einflüsse sind.

Also steht es mir eher nicht zu, andere Menschen persönlich zu entwerten, weil diesen bestimmte Potentialität nicht zur Verfügung steht, so dass sie in bestimmtem Kontext so agieren wie sie agieren müssen, weil sie anders nicht können (fehlende Potentialität für dasunddas sondern nur für diesunddies oder diesunddas).
Wer keine Potentialität für dasunddas verliehen bekam kann es nicht.
Er kann sich nur für diesunddies oder diesunddas entscheiden (dafür wurde ihm Potential verliehen) aber nicht für dasunddas (keine Potentialverleihung erfolgte).
Ich kann also stolz sein, wenn ich mich für diesunddies entschieden habe und dann feststelle, dass es zum Entscheidungszeitpunkt eine bessere Wahl war als diesunddas.
Ich kann aber niemanden verurteilen der dasunddas nicht leisten kann, weil er dafür überhaupt kein Potential verliehen bekam.
Darum hat Viktor Frankl auch gesagt, dass er nicht das deutsche Volk verdammen kann für das was mit ihm geschah.

Ich war längst fertig geschmiedet, bevor ich überhaupt auf die Idee

kam

einen Hammer zum Schmieden meines Glücks in die Hand zu nehmen.

Ein guter Debitist fragt:
„Woher kommt der Hammer und woher die Schmiedekunst um sein eigenes Glück überhaupt schmieden zu können...
...Potentialverleihung von außen.“

Und wenn

ich auf die Idee komme, mein Glück zu schmieden, kann ich mich nicht

neu

erfinden, ich kann nur was geradebiegen.

Ein guter Debitist fragt:
„Woher kommt die Fähigkeit des Biegen können‘s...
...Potentialverleihung von außen.

Genau. Die Eigenverantwortung beginnt erst in der Jugend und legal erst ab
16 bzw. 18 Jahren.

Übernimmt nicht schon ein Kleinkind in bestimmten Grenzen Eigenverantwortung, wenn es gegen nichtkindgerechten Umgang mit den zur Verfügung stehenden Mitteln angeht?
Hat es Hunger/Durst schreit es so lange wie es kann oder sucht nach Abhilfe wenn es dafür bereits Potential verliehen bekam.
Wird es gequält versucht es sich, soweit mit verliehenem Potential möglich, dem zu entziehen.
Wird es kindgerecht behandelt sucht es je nach seinem Potential diese Situationen immer wieder und profitiert dann davon.
Gleiches gilt für Jugendliche und Erwachsene dank immer mehr verliehenem Potential immer mehr.
Das ist ein kontinuierlicher Prozess trotz der sonderbar anmutenden Grenzziehungen in der Rechtsprechung (ab Geburtstag =volljährig).

Da ist der Charakter und Intellekt bereits nahezu
vollständig geprägt

…und davor eben noch nicht vollumfänglich, aber doch schon so, dass sozial interagiert werden kann (präfrontale Cortex, Spiegelneuronen usw.).

- die Folgejahre der Aus- und Weiterbildung können
dieses Fundament nicht vollumfänglich überwälzen und wenn, dann nur
durch unverhältnismäßig hohe Anstrengungen, die nur durch unmittelbar
passende Umweltbegebenheiten auch bewältigt werden können, die man
wiederum nur teilweise selbst beeinflussen kann.

Ja.
Entscheidend ist, was der Mensch bisher an Potentialzession und Potentialraub erfahren hat und was er durch sein soziales Umfeld gerade erfährt.
Mein Prof. erzählte mir immer: „1/3 Gene, 1/3 Sozialisation, 1/3 aktuelles soziales Umfeld“. Das müsste inzwischen wahrscheinlich weiter gefasst werden mit dem Wissen um Epigenetik Morphische Felder, Systemtheorie, Debitismus usw.

D.h. man kann sich natürlich innerhalb seiner Begebenheiten anstrengen
und bemühen - das garantiert aber noch lange kein "Glück".

Sehr richtig, weder Erfolg (was ich nicht lernen durfte kann ich schlicht noch nicht) noch Glück.
Wenn mir alle um mich herum mit Tauschtheorie kommen, kann ich kein Debitist werden, wenn mich nicht jemand nach mehr oder weniger langer Suche im sozialen Umfeld und im WWW in einem Forum wie EWF/DGF an die Hand nimmt (Vielen Dank dafür an jeden!).

Die Phrase "Jeder ist seines Glückes Schmied" impliziert jedoch, dass man
entsprechend selbst an seinem Unglück Schuld trage oder jeder über
dieselben Voraussetzungen verfüge und denselben Umständen ausgeliefert
sei.

Der Ohnmächtige ist und bleibt ohne entsprechende Potentialverleihung erst einmal ohnmächtig, egal wieviel er agiert.
Aber er kann seine Chance auf Potentialverleihung durch richtiges Agieren unter richtigen Umständen erhöhen.
Also sollte er in diese Richtung agieren auch wenn noch kein Erfolg abzusehen ist. Ich muss lernen, probieren und mich auseinandersetzen wenn ich etwas erreichen will.

Auch wenn die eigene Einstellung natürlich ebenfalls eine Rolle
spielt, empfinde ich diese pauschale Versagerhaltung als blanken Hohn.

Menschen geben sich meist aus Selbstschutz der Überzeugung hin, sie machen alles richtig und besser als andere Menschen weil sie besser als andere Menschen sind.
Ein souveräner Mensch braucht das nicht.

Sie
impliziert darüber hinaus auch, dass jene von vornherein bessergestellt
Geborenen und unter weniger widrigen Umständen Erzogenen für eben dieses
"Glück" selbst verantwortlich gewesen wären.

Durch Entwertung anderer kann ich mich aufwerten wenn ich ein Selbstwertproblem habe.
Das ist in einer aus debitistischen Zwängen heraus die Menschen zunehmend überfordernden Leistungsgesellschaft immer weiter verbreitet.

Diese Schwachsinnshaltung
führt konsequenterweise wiederum zu einem unverdientem ehrfürchtigen
Respekt ggü. einer Nichteigenleistung, der ich mich nicht anschließe.

Das wäre auch nicht sehr gesund von dir, weil einem das früher oder später auf die eigenen Füsse fällt. Irgendwann werden solche Denkgebäude sehr tief erschüttert - Umbrüche und Krisen.
Ein kranker/beschädigter Mensch hat einen sehr weiten Weg zur Besserung seiner Potentialstruktur vor sich, so er denn Potential dafür von Leuten wie dir verliehen bekommt: ("Mensch, jetzt bist du aber gedanklich keinen guten Weg für dich gegangen, indem du dich den Hassern anschließt - ich denke, ein besserer Weg wäre dortunddort zu finden") und dieses Potential dann auch nutzt.
Eine sachliche und souveräne Kritik von einer geschätzten Person wie dir ist wie eine Potentialverleihung, weil sie Augen öffen und neue, bessere Aktionen bewirken kann.

Noch etwas Philosophie:
https://www.nzz.ch/niemand_ist_seines_glueckes_schmied-1.5836580

Der Text gefällt mir im Wesentlichen.
Ich verstehe den Spruch vom geschmiedeten Glück eher als Ermutigung, Einladung, Inspiration denn als Vorwurf oder Abwertung...

Wenn ich aktuell definitiv verliehenes Potential (Möglichkeit) nicht nutze (Aktivität), obwohl ich mich zur Nutzung genau so entscheiden kann wie für eine andere Option, dann vergebe ich mir wichtige Chancen.
Wenn mir jemand als Nichtschwimmer anbietet, mich schwimmen zu lehren wäre ich verrückt, wenn ich dieses Angebot nicht annehmen würde (Chance auf Zunahme meiner Potentialität bzw. nach H.v.Foerster "Zunahme der Optionen"), obwohl ich es könnte.
Kann ich nicht schwimmen, dann sollte ich zumindest andere Leute fragen, ob sie es mir beibringen können und was ich ihnen dafür schuldig wäre.
Kann ich dann schwimmen macht mich das glücklich.
Will ich meinen Machtstatus ändern brauche ich zusätzliche Potentialverleihung von außen.
Nach dieser kann ich mich strecken indem ich investiere was ich habe - mit dem Risiko, dass ich scheitere und mein Vermögen nicht verteidigen kann.
Strecke ich mich aber nicht danach werde ich mein Vermögen auch nicht verteidigen können in einer sich entwickelnden Welt.
Glück ist für mich dabei Kohärenzgefühl - Verstehbarkeit, Handhabbarkeit, Sinnhaftigkeit (siehe Salutogenese).
Das ist aber ein individuelles und subjektives Erleben.

Liebe Grüße
Silke


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