Konstruktivistische Didaktik und konstruierte Lernerfolge
Allerdings meine ich, dass sich das Gesamtfeld mit Grundlagensuche in der Pädagogik halt leider so leicht in Theoriegeschwurbel zu Didaktikunwesen erschöpft.
Ein großes Problem, das überhaupt nirgends thematisiert wird, ist dieses: anläßlich eines Vortrages sagte mir mal eine Lehrerin hinterher: "Wissen Sie, das Problem für uns Lehrkräfte ist: wenn ein neuer Lehrplan/Bildungsplan herauskommt, brauchen wir erstmal ca. zehn Jahre, um uns umzustellen, unser Material zu erarbeiten, Resumé zu ziehen, was funktioniert und was nicht. Und was glauben Sie - zehn Jahre später kommt prompt der nächste Lehrplan heraus."
Das war 2004, als der allerneueste Lehrplan gerade durch alle Schulformen jenes Bundeslandes gepeitscht wurde. Selbiges Bundesland hat tatsächlich, wie ich gerade eben bei der Suche nach Kontingentstundentafeln feststellen durfte, ... 2014 den nächsten neuen Lehrplan herausgebracht. Natürlich viel besser als alle vorherigen.
Ich sage mal so: bringe alle zehn Jahre eine neue verbindliche Straßenverkehrsordnung heraus und senke so die Unfallzahlen auf nahezu Null.
So sehr ich scharfer Kritiker der Lehrerschaft bin, die Unzulänglichkeiten des Schulsystems sind wirklich nicht nur hausgemacht, sondern man bekommt den Eindruck, daß in der darübergelagerten Bürokratie auch noch Leute sitzen, die es den durchaus vielfach wohlmeinenden Lehrerinnen und Lehrern, die oft genug am Burn-Out vorbeischrammen, aber dennoch sich aus Kollegialität in die Schule schleppen (muß auch mal gesagt werden!), extra schwer machen. Und die einerseits vor sich hertragen, daß ein Lehrer in Deutschland eine nicht einschränkbare "pädagogische Freiheit" habe, jedoch durch kleinteilige Überprüfungsmechanismen (vorgeschriebene Klassenarbeiten etc.) und externe zusätzliche Tests sowie Diszilplinarrecht den Lehrern jedes eigenverantwortliche Agieren im Sinne eines -vielleicht- an einer Hochschule gelernten pädagogischen und didaktischen Kompetenzrahmens verunmöglichen.
Das, was ich abstrakt an Pädagogik und Didaktik kritisiere ist da nicht mal das wirkliche Problem. Wir schreiben hier auf dem komfortablen Niveau eines Testfahrers von auto-motor-und-sport, der ein einwandfrei gewartetes nagelneues vollgetanktes Auto zum Probefahren bekommt, während dort, wo das Auto dann eingesetzt werden soll, es an Straßen und Benzin fehlt.
Ich schreibe das vorab deshalb, weil oft genug Kritik an meiner "Altklugheit" oder dem "Oberlehrerhaften" anklingt. Ich bin mir der Probleme im realen System sehr wohl bewußt und unter welchen Einschränkungen die jeweiligen konreten Akteure arbeiten und ums Überleben kämpfen müssen, täglich. Und die dann wohlfeile, aber im konkreten System kaum umsetzbare Verbesserungsvorschläge gar als persönlichen Affront empfinden müssen. So ist es nicht.
Aber ohne den Tester der Autozeitschrift mit dem funktionierenden Automobil und dem positiven Testbericht würde niemand das Auto kaufen, nach dem Motto: "... das Auto sieht von außen ja ganz nett aus, aber leider hatte der Hersteller vergessen, den Schlüssel mitzuliefern. Als unser Techniker das Problem dann überwand, fehlte leider der Motor. Als dieser schließlich geliefert wurde, stellten wir fest, daß unsere Redaktion das monatliche Benzinkontingent bereits aufgebraucht hatte. Wir bleiben aber dran."
Wollen wir noch einen draufsetzen? "Die Stiftung Warentest hat 17 Biologie- und Geschichtsbücher untersucht. Nur wenige davon sind uneingeschränkt zu empfehlen. Drei Mal gab es „mangelhaft“ im Prüfpunkt Fehlerfreiheit. ... Statt den Schülern die Welt zu erklären stellen manche Schulbücher die Welt eher auf den Kopf: Da steht der Uhu bei „Biologie heute entdecken“ in der Nahrungspyramide plötzlich über dem Fuchs. Dabei erbeuten Uhus doch meist nur Hasen, Mäuse und Vögel. Nur in Ausnahmefällen steht auch mal ein junger Fuchs auf dem Speiseplan." (Stiftung Wernertest - Schulbücher: Schlechtes Zeugnis - Spiegel: Auf jeder Seite ein Fehler).
Es ist ein Kreuz.
Z.B. entstand aus so leisen Ahnungen, was alles gaaaanz wichtig ist, um erfolgreich Wissen zu erwerben nun schon vor Jahrzehnten die „konstruktivistische Didaktik“.
Die konstruktivistische Didaktik nach Kersten Reich, in den lobenden Worten einer eigenen Doktorandin:
"4.1. Lernen und Lehren in der konstruktivistischen Didaktik
Wesentlich für eine konstruktivistische Didaktik ist das Verständnis, „Didaktik als Handlung und dabei als learning by doing (im Sinne John Deweys)“ (ebd., 137) zu begreifen. Dabei versteht sie das Lernen – auf der Inhalts- und Beziehungsseite – neben einer re- und dekonstruktiven Seite – vorrangig konstruktiv (vgl. ebd.): „Eine konstruktivistische Didaktik kombiniert die kognitive Konstruktionsarbeit mit einer wertschätzenden Beziehung, die wir zu gestalten haben“ (ebd., 138). Aus konstruktivistischer Sicht formuliert Reich die „Maxime der Selbstbestimmung“ für Lehrende und Lernende, alle Beteiligten sollten unter einem „möglichst hohen Selbstwert handeln können“ (ebd.). Selbsttätigkeit, Selbstbestimmung und die Förderung des Selbstwertes gehören zu den wesentlichen Merkmalen (vgl. ebd.), die von DidaktikerInnen berücksichtigt und gefördert werden sollten. Wie bereits dargestellt, belegen dies auch aktuelle Forschungsarbeiten, wie etwa die Hattie-Studie (2009). Um diesem Anspruch gerecht zu werden, führt Reich (2012, 254) weiter aus, dass ein Leitsatz der konstruktivistischen Didaktik für die Lehrenden lautet:
„Handle stets so, dass die Lernmöglichkeiten, Lernchancen und Lernanlässe deiner Lerner wachsen, so dass es zu einer Zunahme von Perspektiven, Handlungschancen und vielfältigen Lernergebnissen kommt!“" (p. 178)
Alles klar? Schon mal wo was ähnliches gehört? Wortreich geht die Welt zugrunde.
Den letzten Satz hat er von Kybernetiker von Foerster geklaut (dessen Sichtweise des Konstruktivismus aber etwas anders ist, meine ich):
"Also hat Konorski gesagt: Dieses Klingeln war ein Reiz für Pawlow, und nicht für den Hund! Und leider muss ich Ihnen sagen: Konorski hat dafür nicht den Nobelpreis bekommen!"
Auch der Barde Hannes Wader soll mal seine Meinung zur Pädagogik wie folgt formuliert haben: "Wie bewahrt man sein Kind vor dem Behaviorismus? Man zeigt ihm einen Behavioristen und schlägt es dann windelweich."
Wenn Theorie auf Praxis trifft - in der Pädagogik.
Was in der Anwendung
Ich vermute mal, Kersten Reich wird behaupten, da sei er einfach falsch verstanden worden.
(und die Schulbücher und Arbeitsblätter sind voll davon) bedeutet, Kind übt mal kurz z. B. die neue Rechenart
Nach dem Konstruktivismus hätte das Kind diese Rechenart von selbst entdecken sollen. Hätte es das getan, hätte es vielleicht auch die nächste oder übernächste "gleiche" Aufgabe lösen können. Allerdings: wenn ein Kind etwas bereits kann, wird es schwer halten, es davon zu überzeugen, nun solle es dasselbe noch mal ad nauseam am Nachmittag x-mal wiederholen. In der Zeit will der unverbildete Mensch bereits zum nächsten Neuen fortschreiten.
Schulpädagogik, gleich welcher Couleur funktioniert so:
a) Herkömmliche Pädagogik: "Nimm' das Kind an der Hand und führe es zum Bäcker. Kaufe dort zehn Brötchen. Sage dem Kind, es solle dasselbe als Hausaufgabe wiederholen und Brötchen und Wechselgeld am nächsten Morgen vorzeigen. Das Brötchen ist natürlich nicht mehr zum Verzehr geeignet und unter Beachtung der Hygienevorschriften zu entsorgen."
b) Konstruktivistische Didaktik (in der Theorie): "Trage dem Kind auf, es solle zehn Brötchen kaufen. Protokolliere die Zeit bis zu seiner Rückkunft und benote sie (für je hundert Meter setze eine Minute an, bei der Unterrichtsplanung ist eine Bäckerei zu wählen, die in einer Entfernung liegt, so daß das Kind in jedem Fall vor Ende der Unterrichtsstunde wieder zurückkehren kann; Inklusionsaufgabe: Rechenschwierigkeiten der Inklusionskinder in der Bäckerei sind als Minutenzuschlag zu berücksichtigen und die Entfernung zum Bäcker für Inklusionsklassen entsprechend anzupassen, Kinder mit Gehschwierigkeiten erhalten einen Begleiter, der aber nicht an den Kaufverhandlungen mitwirken darf). Sage dem Kind, es solle dasselbe als Hausaufgabe wiederholen und Brötchen und Wechselgeld am nächsten Morgen vorzeigen. Die Brötchen sind natürlich nicht mehr zum Verzehr geeignet und unter Beachtung der Hygienevorschriften zu entsorgen."
c) Konstruktivistische Didaktik (in der Praxis): "Da der Weg zum Bäcker zu gefährlich ist und sich je nach Tageszeit vor dem Kind Schlangen anderer Kunden bilden könnten, so daß das Projekt in einer Unterrichtsstunde nicht zuverlässig abgeschlossen werden kann, erzähle den Kindern, wie es beim Bäcker zugeht. Sage dem Kind, es solle dasselbe als Hausaufgabe wiederholen und Brötchen und Wechselgeld am nächsten Morgen vorzeigen; weise die Eltern in einem Elterbrief daraufhin, daß sie die Verantwortung für Lage und Erreichbarkeit der Bäckerei tragen und erwachsene Begleitung außer in Ausnahmefällen unabdingbar ist. Alternativ: Die Brötchen müssen nicht mitgebracht werden, lasse das Kind den Einkauf schriftlich beschreiben. Weise die Eltern in einem Elternbrief daraufhin, daß die Brötchen entweder zum sofortigen Verzehr bestimmt sind oder ansonsten den Hygienvorschriften gemäß entsorgt werden müssen; der Zusammenhang zwischen Zöliakie und Glutengehalt normaler Weizenbrötchen sollte Erwähnung finden. Benote Kinder von Bäckern eine Note schlechter, denn diese erbringen ja eine objektiv geringere Leistung. Der Hinweis auf Hygienevorschriften und Zöliakie kann bei Bäckerkindern entfallen."
d) Abenteuerpädagogik (in der Theorie): "Kinder, stellt Euch vor, es gäbe keine Bäcker und wir müßten uns die Brötchen selbst backen. Bringt morgen Mehl, Salz und Hefe mit, wir backen Brötchen."
e) Abenteuerpädagogik (in der Praxis): "Kinder, stellt Euch vor, es gäbe keine Bäcker und wir müßten uns die Brötchen selbst backen. Sagt Eurer Mutter, sie soll Mehl, Salz und Hefe einkaufen, backt zuhause Brötchen und bringt sie morgen mit; dafür gibt es heute keine sonstigen Hausaufgaben."
f) Pädagogische Auffassung gewisser angeblicher Unterschichten: "Organisiere möglichst viele Brötchen. Wer das Geld vollständig zurückbringt, erhält eine Extra-Belobigung."
In unserer Überflußgesellschaft stellt sich mir die Frage, wer von denen im Übrigen lebensnaher unterrichtet wurde?
und soll dann möglichst flugs durch „Problemlösungsfindungen“ sich das ganze selbst erarbeiten und weiter vertiefen. Schließlich weiß man aus der Grundlagen-“forschung“, was Mensch sich selbst erarbeitet, lernt er effektiver!
Was Mensch sich selbst erarbeiten will, oder zum Überleben mußte, vorausgesetzt, er schafft es, lernt er. Ansonsten auswendig er lernt. Oder gar nicht, weil frustriert er ist. Was jedes weitere Bemühen des "Pädagogen" überschattet. Lernerfolge sind dort selten, der Lehrer ist -lehrplangetrieben- auf Lehrerfolge aus.
Sonst wären alle Flamencospieler geworden.
Klappt aber so nicht! In der bedauerlichen Realität telefonieren dann nachmittags die Mamas miteinander, weil weder ihre Sprößlinge noch sie das Problem: Was zum Teufel soll denn diese Aufgabenstellung nun wieder bedeuten? alleine lösen können.
Keine Hilfestellung, nirgends???
Und Alle stellen einhellig fest, mit auswendig lernen und üben, waren wir alle dann doch noch besser bedient.
Genau, weil die Note nicht die Fähigkeit beurteilt, sondern ein abgeliefertes "Ergebnis", das auch durch Spickzettel (sogar meist besser) unter "Beweis" gestellt werden kann. Bei den Kampfschwimmern dagegen ...
So wird dann nachmittags „gebimst“, damit Kind überhaupt mitkommt. Ergebnis: Zwei Schulzimmerprogramme; vormittags „innovativ fortschrittlich vermurkst“und nachmittags „althergebracht überliefertes Bimsen“.
Wie schrieb ich über dieses "System":
"... Mit andren Worten: das ... staatliche Bildungswesen taugt gar nichts - offenbar könnten sich sämtliche Schüler den Vormittagsunterricht ja sparen!!!"
Die armen Kinder haben so noch weniger Zeit zu spielen, sich zu bewegen und werden mit der Zeit immer dümmer.
Denn, es gilt die „konjunktionale Didaktik“!
WÜRDEN die Kinder nach der Aufrichtung,- und Laufenlernphase, welche im Hirn wahre Kapazitätszuwächse bewirkt, sich in den nächsten weiteren Jahren wirklich viel bewegen (was eigentlich artgemäss für Mensch als Bewegungstier WÄRE), und durch zahlreiche Erfahrenserlebnisse sich die Welt begreifbar machten, würde das dann auch in verkorksten Schulen noch besser klappen.
"Nur wer rückwärts laufen kann, kann auch rückwärts zählen!" (Frühkindliche Entwicklung)
Dank staatlicher Förderung können die Kinder bei Schuleintritt bereits immerhin vorwärts laufen.
Man bräuchte gar nichts zusätzlich machen,
Wie sagte mal ein Beamter in einer Behörde, als ich ihn darauf hinwies, daß man das alles auch einfacher und schneller regeln könne, zu mir: "Wozu sind dann wir da?".
ließe man der genial angelegten Natur ihren Lauf.
Es gibt seit jeher in der überlieferten Menschheitsgeschichte ein Mißtrauen gegen die "Weisheit" der Natur. Ob es der Glaube war, bestimmte Götter hätten sich gegen die Menschen verschworen und müßten besänftigt (= bestochen) werden, oder, daß Kinder nicht laufen lernten und krumme Beine bekämen, wenn man sie als Säuglinge nicht stramm einwickelte, so daß sie ihre Beine nicht bewegen konnten. Die Generation um die vorige Jahrhundertwende hat deshalb wesentlich später laufengelernt als die Nachkriegsgeneration!
In zivilisatorischen Zeiten aber bewegen sich gerade Kleinkinder bis zur Schule immer weniger, schließlich gibt’s Kinderwägen, Autos, auf Wiesen und Straßen drohen Dreck und Tiere und schnell gehen muss es auch. Im regulären Kindergarten wird im Jahresmittel grad mal die letzte halbe Stunde in der Abholzeit draußen verbracht. Der Sonntagsspaziergang und die Turnstunde reicht bei weitem nicht. Für die ganz resistent Bewegungshungrigen gibt’s Ritalin.
Darum mehr Allergien und Zivilisationskrankheiten und sinkende Intelligenz.
Spracherwerb ist dasselbe Elend. Während früher in Familien geredet wurde, redet nun mal die Mama mit dem Kind und im Kindergarten altersentsprechend lauter Sprachanfänger miteinander. Abends dann der Fernseher und die CD.
When it comes to learning speech, nothing beats a live conversation: "The more time babies spend watching television, the more slowly they learn to talk." Es könnte aber auch die Mehrsprachigkeit sein ...
Da sich der Erstspracherwerb nicht bewährt hat, gibt es verbesserte didaktische Methoden.
So betrachtet, hapert es schon an den Grundlagen der Anlagen im Gehirn und um das wieder zu verbessern, bräuchte es keinerlei neue Didaktiken, sondern weniger Zivilisationsschädigung.
Die herkömmlichen Didaktiken sind (ebenfalls) Zivilisationsschädigung ...
Was sich dann in der Schule lediglich fortsetzt. Und natürlich sind das Kasernen, sieht man schon an deren Architektur, ebenso wie bei Krankenhäusern.
Die Menschen fliehen in unsicheren Zeiten hin zu dem, was ihnen vertraut scheint.
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