Im Leben ist alles relativ
und hat mindestens zwei Seiten.
Der Kardinalfehler ist bereits im 19.Jhdt. zu suchen, als die Habsburger unter Maria Theresia und Joseph II. den Tschechen die prinzipiellen Grundrechte vorenthielten. Das betraf vor allem die offizielle Amtssprache, und da wurde das Tschechische nicht akzeptiert. Zwar hatte der österr. Ministerpräsident im Jahre 1880 das Tschechische auch zur Amtssprache erklärt, aber da gabs immer wieder Sand im Getriebe.
Hier liegt das Grundübel für die danach entstehenden Nationalitätenkonflikte begraben. Während in den meisten gemischtnationalen Gebieten, beide Nationen oftmals Tür an Tür gelebt haben, kamen die Konflikte nur dann auf, wenn sie von den nationalistischen Gruppierungen (die gabs auf beiden Seiten) geschürt wurden.
Es sind noch mehr Problempunkte, die als Reibungspunkte zwischen den Nationen mitspielten, wie z.B. die Dominanz in der Landwirtschaft und den großen Fabriken. Die Deutschstämmigen, die man später als Sudetendeutsche benannt hat, kamen ja bereits im 13. Jhdt in dieses Land, und zwar nicht in die Ebenen, sondern meist in die bergigen Randgebiete. Trotzdem hatten sich z.B. die Bauern im Egerland durch ihren Fleiß und Fachkenntnis ihren Reichtum in der Landwirtschaft gesichert, sowie auch in anderen Berufen (z.B. Glasbläser, etc.)
Der Deutsche hat gearbeitet, weil er zum Arbeiten geboren wurde, der Tscheche war da anders gestrickt. Deshalb waren viele unter diesem Volk (damals) meist Schuster oder Schneider, aber Großes haben sie nicht in dem Land bewegt. Während der Deutsche immer zugepackt hat, war der Tscheche eher vorsichtig mit seiner Arbeitskraft. Aber er konnte hervorragend erklären, warum er dieses oder jenes nicht machen kann. Trotzdem lebten die meisten in gutem nachbarschaftlichen Einvernehmen, solange nicht die nationalistischen Bestrebungen aufkamen.
Schon vor dem 1. WK entwickelten sich bei den Tschechen und auch bei den Slowaken die Bestrebungen zum nationalen Selbstverständnis. Dazu muss man wissen, dass dieses Land ein Vielvölkerstaat war. Da gabs nicht nur die Tschechen und die Slowaken, dazu die Deutschen, aber daneben auch die Ungarn, die Ruthenen, usw. In der KuK-Monarchie machte man auch den Fehler, die Rechte, die man der ungarischen Bevölkerung in der Monarchie zugestand, den Tschechen und Slowaken zu verwehren.
Vergleicht man das mit Rumänien resp. Siebenbürgen, dann erkennt man leicht die falsche Marschrichtung in Böhmen und Mähren. In Siebenbürgen lebten dominierend drei Nationen, die Rumänen, die Ungarn und die Deutschen. Aber sie hatten ihre autonomen Rechte, und sowohl die Lehrer und auch die Pfarrer wurden sogar im Kommunismus vom Staat bezahlt, um in der jeweiligen Muttersprache zu unterrichten/predigen. Siebenbürgen war und ist genauso friedfertig wie die Schweiz mit den drei Nationen.
Hätte man alles auch in der Tschechei ereichen können, aber da hat man den Zug verpasst. Es kam der 1. WK, danach versprach Wilson bei den Friedensverhandlungen für Böhmen und Mähren eine Föderation, was aber nur leere Versprechnungen waren. Danach haben sich die Kräfte der Deutschen für einen Anschluss an Österreich des Sudetenlandes stark gemacht, was natürlich bei den tschechischen Nationalisten auf erbitterten Widerstand gestoßen ist. Ist mir sowieso bis heute nicht klar, wie das gehen sollte, wenn man die Besiedlungsgebiete des Sudetenlandes kartographisch betrachtet. Wie sollte da eine Grenzziehung mit Grenzübergängen funktionieren, ganz abgesehen von den Sprachinseln Schönhenstgau und Iglau?
https://www.directupload.eu/file/d/8630/i9pnj4wi_gif.htm
Eine Cäsur gabe es am 4. März 1919. Da man die sudetendeutschen Abgeordneten daran gehindert hatte, am Reichstag in Wien teilzunehmen, organisierte man landesweit eine Demonstration, an der große Bevölkerungsteile der deutschen Bevölkerung teilnahmen. Das tschechische Militär schoss in die Demonstranten, und 54 Tote waren zu beklagen, auch Alte, Frauen und Kinder.
http://www.witikobund.de/der-4-maerz-1919/
Danach spitzten sich die Nationalitätenkonflikte immer mehr zu. Die deutsche Bevölkerung wurde zunehmend unterdrückt, Rathäuser und staatliche Organisationen waren als Arbeitsplatz für die Deutschen tabu. Deshalb hatte nach dem Aufkommen von Hitler die deutschnationale Henlein-Partei starken Zulauf, und den Anschluss des Sudetenlandes an das Deutsche Reich begrüßte man, sowie auch die spätere Annektierung der gesamten Tschechoslowakei.
Alles irgendwo verständlich, weil die jahrelang unterdrückte Minderheit den Wunsch verspürte, dass sich das Blatt endlich wendet. Hier gab es sicher auch Vorkommnisse von den Deutschnationalisten, die das Augenmaß verloren hatten. Wobei man natürlich auch erwähnen muss, dass sich auch Leute gegen diese Politik gestellt haben, wie z.B. der Sozialdemokrat Seliger mit seiner Gruppe.
Dann kam der 2. WK, der verloren wurde. Das war der Moment für die tschechischen Nationalisten, die sich plötzlich wieder im Aufwind fühlten. Ums klar zu sagen, die Benes-Dekrete waren ein Bruch des Völkerrechts und sie sind es bis heute. Dabei ging es um die Vertreibung der Deutschen aus dem Sudetenland und die Enteignung ihres Hab und Gutes. Sicher wissen viele nicht, dass nach dem Fall des Kommunismus man in allen postkommunistischen Staaten versucht hatte, die Enteignungen wieder gerade zu biegen (es betraf ja nicht nur Deutsche), - entweder mit Rückgabe ihres Grund und Bodens oder durch Entschädigung über ein Ersatzgelände oder auch durch Entschädigungszahlungen. Mit einer einzigen Ausnahme: Die Tschechei. Es wird auch heute noch abgelehnt, - soweit mir das bekannt ist.
Was sich im Rahmen der Vertreibung für Tragödien abgespielt haben, das kann man in Fachbüchern nachlesen. Es betraf ca. 3 Mio Sudetendeutsche, in einer Art und Weise, die menschenverachtend war. Was meine ich damit:
Innerhalb 24 (oder waren es 48?) Stunden waren die Häuser zu räumen, man durfte max. 20 kg Gepäck (persönliche Sachen) pro Person mitnehmen, und musste das Haus gereinigt verlassen. Sogar die Betten waren frisch zu überziehen.
Die Übergriffe der tschechischen Soldateska waren teilweise eklatant. In die Geschichte ging nicht nur der Todesmarsch von Brünn ein, auch die Vorkommnisse von Aussig, als die Elbe rot vom Blut der Deutschen war.
Trotzdem war nicht die gesamte tschechische Bevölkerung feindselig gegen die Deutschen eingestellt, es gab auch andere Beispiele. Ich habe einen Sudetendeutschen gekannt, der in der Wehrmachtsuniform noch am 8. Mai 1945 schwer verletzt wurde. Eine tschechische Familie hat ihn gefunden, ihm die Uniform ausgezogen, ihn in zivile Klamotten gesteckt und ihn ins Krankenhaus geschafft. Sein Glück war, dass er als Sudetendeutscher auch perfekt tschechisch sprach, und so fiel das alles nicht auf. Dass diese tschechische Familie dabei auch ihre Sicherheit, wenn nicht sogar ihr Leben riskierte, dürfte jedem klar sein, der die Verhältnisse damals kannte.
Noch ein paar Details zu dieser Vertreibung:
Wir als Jugendgruppe der Sudetendeutschen hatten bereits vor dem Fall des Eisernen Vorhangs mit Erfolg versucht, Brücken zu schlagen. Wir hatten Begegnungen mit tschechischen Trachtengruppen, mit einer Country-Band, usw. Man erkannte das auch von den untergeordneten Institutionen der Tschechen an, und so wurde ich noch in der kommunistischen Zeit vom tschechischen Kulturinstitut zum großen Volkstumsfest nach Straßnitz eingeladen. Schräg vor mir saß der tschechische Kulturminister auf der Tribüne, aber er wusste nur, dass ich Vertreter der "deutschen Delegation" bin, von sudetendeutsch wussten nur die engsten Mitarbeiter des Kulturinstitutes etwas. Wahrscheinlich hat mir auch mein tschechisch klingender Name und mein österr. Pass dabei geholfen.
Diese Begegnungen waren für uns insofern interessant, weil wir dabei herausgefunden haben, wie man die Nachkriegsgeneration der Tschechen angelogen hat. Was wussten die Jugendlichen: Die Sudetendeutschen wurden in humaner Weise mit Hilfe des Staates umgesiedelt, weil diese Volksgruppe ein Leben in Deutschland bevorzugt hat. Noch was war interessant: Diejenigen von der tschechischen Bevölkerung, die die Häuser und Grundstücke von den Sudetendeutschen erworben haben, mussten dafür an den tschechischen Staat einen bestimmten Preis bezahlen, - also die enteigneten Immobilien wurden nicht geschenkt, sondern verkauft.
Fakt ist, dass sich die Angehörigen der Trachtengruppen, mit denen wir in Kontakt waren, regelrecht geschämt haben, als sie die Wahrheit erfahren haben. Noch etwas, was die Wenigsten wissen: Nicht alle Sudetendeutschen wurden vertrieben. Diejenigen, die in den Firmen und Fabriken unverzichtbar waren, mussten bleiben, - der tschechische Staat brauchte sie, es waren ca. 300.000 Facharbeiter.
Du schreibst: Soll ich da also Rachegedanken haben?
Unterstellt Dir niemand, und ist auch sicher nicht der Fall. Die Vertriebenen waren die ersten, die eine leidvolle Geschichte erleben mussten, aber schon nach ein paar Jahren auf Rache und Vergeltung verzichtet haben. Klar nachzulesen in der Charta der Heimatvertriebenen:
https://www.bund-der-vertriebenen.de/charta
Warum habe ich das so ausführlich angesprochen:
Du hast geschrieben: Was weisst du wie es da zuging?
Das wird auch für die meisten zuftreffen, die sich nicht intensiv mit der Problematik befasst haben. Deshalb - so hoffe ich - habe ich das etwas transparenter erläutert. Wie ich zu Beginn sagte: Es hat alles zwei Seiten, mindestens.