Kulturkreislehre
Hallo Bergamr,
bereits zu Ende des 19. Jahrhunderts dämmerte es einigen Historikern, dass Kulturen eigenständige Entitäten sein könnten, die wiederum eigengesetzlichen Entwicklungen unterliegen. Spengler war damals eher der 'Letzte', der solche Ideen vertrat, er hat das allerdings mit größerer Sprachkraft und Tiefenschärfe getan - und sein Werk kam zu einem für ihn als Publizist sehr günstigen Zeitpunkt heraus. Dadurch wurde er bekannter als die anderen Historiker, die in etwa aber ähnlich dachten. Ich nenne hier nur einen:
https://www.schwabeonline.ch/schwabe-xaveropp/elibrary/start.xav?start=%2F%2F*%5B%40att...
In der dritten Stufe der Kulturentwicklung findet meist ein erhebliches Massenwachstum statt - sowohl in der Population selbst wie auch in ihrer Leistungsfähigkeit (Akkumulation von Reichtümern; viele Erfindungen und Kulturschöpfungen; politische Expansion etc.). Dadurch droht das System zu zerbrechen, parallel zu einem sich ausbreitenden "Individualismus" (Verselbständigung von Teilgruppen). Gleichzeitig wird es 'mechanisch' in Sinne einer Serienproduktion aller Kulturgüter.
In der Regel haben die Kulturen die innere Kraft, diesen Krisenzustand zu überwinden, wobei aber eine gewisse Gewalttätigkeit nicht zu vermeiden ist, insofern all die zentrifugalen Tendenzen wieder hereingeholt werden müssen. Die Klammer, die dabei erschaffen wird, erscheint dem Beobachter (und dem internen Glied) dann als totalitär, was aber nicht nur physisch zu verstehen ist (sondern sich auch in geistigen Erzeugnissen niederschlagen mag).
Nach meinem Dafürhalten ist der Begriff SYNTHESE besser. Im letzten Abschnitt des Kulturzyklus werden alle vorausgegangenen Kulturschöpfungen noch einmal zusammengefasst, von Beiwerk gereinigt und in eine (Ewigkeits-) Form gebracht, die auch von jenen (gebrauchsmäßig) genutzt werden kann, die an der Kulturentwicklung nicht mitgearbeitet haben und ihren inneren Sinn vielleicht gar nicht verstehen.
Das römische Kaisertum war eine solche synthetische Leistung, insofern es die Grundzüge des römischen Rechts und Verfassungsrechts beibehalten hat (z.B. die Institution des Senats), gleichzeitig aber auf die Steuerbarkeit des Gesamtgebildes Rücksicht nehmen musste, was nur mit einer Zentralisierung, Militarisierung und neuen Verwaltungsstruktur möglich war.
Vergleichbare Prozesse stehen auch uns bevor. So wie Cäsar zunächst gescheitert war (man hat ihn ja erstochen), so sind die ersten großen totalitären Strukturen auch bei uns gescheitert (Hitler, Stalin etc.). Aber es wird an dieser Schraube weiter gedreht. So lange, bis es die (zyklischen) Windungen einrasten und alles passt ...
Die Konzeption, die dann gefunden werden und den gesamten Planeten umfassen wird, kann rund 300 Jahre halten (falls nicht ein Mega-Asteroid die Erde trifft oder ein Virus mit 99% Letalität auftaucht ...), in den letzten Ausläufern auch nochmals 100-150 Jahre mehr. Diese vor uns liegende Zeit (ab 2050) wird die eigentliche Blütezeit *) des abendländischen Kulturzyklus sein, der in seiner gesamten Entwicklung die Zeit von 500 n.Chr. bis 2500 n.Chr. umfassen wird
*)in der Spätantike entsprechen dieser Blütezeit die Jahre 70 bis 180 n.Chr.
Die rein kulturellen Wirkungen reichen (wie ich gestern @Mephisto schrieb) sehr viel weiter. Die lateinische Sprache wird heute aus guten Gründen immer noch gesprochen (unter Altphilogen, Philosophen und Historikern), obwohl sie keinen Bezug zum Alltag mehr hat.
In früheren Jahrhunderten bzw. Jahrtausenden war es so, dass "junge Völker" auf dem Substrat der gestorbenen Kulturen einen neuen Kulturzyklus beginnen konnten. Dies kann in Zukunft nicht mehr geschehen - aber nicht, weil es etwa ein "Game Over", sondern weil es keine geeigneten "jungen Völker" mehr gibt. Ist aber ein anderes Thema ...
Danke für Deine Frage!
MfG, Weiner