Erkenntnisse
Zunächst einmal Dank für Deine ausführlichen und nachvollziehbaren Worte.
Welche Wortart soll "gnaden" in dem genannten Beispiel denn sonst sein, wenn nicht ein Verb?
Welches "gnaden" in welchem Beispiel? Was habe ich überlesen?
Oder hat sich da jemand ein "n" nach eigenem Belieben hinzugemogelt?
Ich habe nichts "hinzugemogelt", sondern lediglich den Inifinitiv des Verbs "gnaden" verwendet, da für einen deutschen Muttersprachler im Allgemeinen klar ist, daß es sich beim Lemma "gnade" in der Redewendung "Da gnade dir Gott!" um ein Verb handelt.
Und was meinst du in diesem Zusammenhang mit "unverstandene Semantik"?
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Merci vielmals, aber dank eines M. A. in Linguistik (1989) ist mir der Begriff "Semantik" geläufig.
Die Semantik macht den Unterschied zwischen Quatschen und stringent zielführendem, möglicherweise sogar wissenschaftlich begründetem Sprachgebrauch aus.
Im Alltag kommt man auch ohne ihre bewusste Kenntnisnahme und ohne den dementsprechenden Gebrauch um die Runden, aber in ernsthaften Diskussionen sollte man sich ihrer Existenz und ihres Sinns bewußt sein. Muss man aber nicht, wenn man nur, warum auch immer, rumbrabbeln will.
Ich halte das für eine vollkommen subjektive Auffassung "der Semantik", die mit dem entsprechenden Teilbereich der Linguistik nichts zu tun hat, und die auch in keiner Weise mit dem Inhalt des von Dir verlinkten Wikipedia-Artikels übereinstimmt.
Im vorliegendem Fall muss man lediglich in der Lage sein, den Unterschied in der Qualität von Verben begründendenden Wortstämmen zu erkennen.
Aus linguistischer Sicht gibt es keine "Verben begründenden Wortstämme", es gibt lediglich den "Sprachgebrauch", der permanentem Wandel unterworfen ist. Das bedeutet u. a., daß die Sprecher einer Sprache im Laufe der Zeit neue Wörter/Lexeme "erfinden" (oder aus anderen Sprachen übernehmen), sofern sie das für notwendig halten (Benennungsbedarf), wobei die Flexion der Lexeme natürlich den Regeln der Zielsprache entsprechen muß; andererseits bedeutet dies auch, daß manche Wörter entweder "veralten" oder im Sprachgebrauch ganz verschwinden.
Es spricht also überhaupt nichts dagegen, aus dem Substantiv "Gnade" ein entsprechendes Verb abzuleiten, sofern die Mitglieder der Sprachgemeinschaft die Bedeutung der Neuschöpfung verstehen - und im Idealfall lebt das neue Wort im Sprachgebrauch weiter. Im Falle von "Gnade"/"gnaden" ist das Verb mittlerweile offenbar fast obsolet und existiert nur noch in der Redewendung "dann gnade dir Gott (oder wer auch immer)", während das Substantiv weiterhin quicklebendig ist.
"Gnaden" kann man sich im Gegensatz dazu eben nicht selbst. Gnade kann nur passiv, als Objekt, empfangen/entgegengenommen/erhalten werden, sie wird einem zuteil, oder nicht zuteil.
Und "Gnade uns (von) Gott!"* als Ausspruch bzw. Redensart(Redewendung bedarf keines Verbs.
Es ist der (als Drohung oder Befürchtung) verkürzt formulierte Hinweis, was allein (dann, in/als Folge von was auch immer) noch helfen oder retten kann/könnte/sollte.
In "Da gnade dir Gott" geht es doch gar nicht darum, sich selbst Gnade zu erweisen, aber das nur am Rande.
Unterm Strich ist mein Eindruck, daß Du die Redewendung entweder gar nicht kanntest, oder sie zumindest nicht als korrekt akzeptierst, weil sie Deiner "Semantik" (Sprachgefühl) widerspricht. Letzteres wäre als individuelle Haltung zwar hinzunehmen, in linguistischer Hinsicht jedoch als Kampf gegen Windmühlenflügel zu betrachten.
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Zum Abschluß noch ein paar Belegstellen für das Verb "gnaden":
"Da gnade Gott denen von Gottes Gnaden." Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799, Sudelbücher)
"Soest: Die Regentin ist weg. Jetter: Nun gnad uns Gott!", Johann Wolfgang Goethe, Egmont IV, 1788
"In einer Stunde steht es [das Gesindel] hier angetreten, sonst gnade Ihnen Gott!", Bruno Apitz, Nackt unter Wölfen, 1960
"Dann gnade dir Gott", Michael Burk, Buchtitel von 1978
Darüber hinaus könnte ich noch mit Wörterbucheinträgen aus dem Duden von 1960, dem Wahrig von 1986 und dem Collins German Concise Dictionary von 1987 dienen. Aber das verkneife ich mir an dieser Stelle.
Gruß,
Nordlicht