Transzendenz
Hallo NST,
vielen Dank für Deine ausführliche Antwort!
Zunächst zu den Begriffen Kultur und Zivilisation. Ich gebrauche sie in Anlehnung an Spengler und Frobenius, aber ordne sie (aus zyklischer Sichtweise) anders ein. Deswegen habe ich zur Abgrenzung in meinem vorigen Beitrag auch von (Hoch-!) Kulturen gesprochen. Es gab nur eine beschränkte Anzahl von Hochkulturen, im Augenblick ist nur die abendländische übrig geblieben. Was zB. in China oder Indien als deren eigenständige Kultur heute noch sichtbar ist, sind die Reste der chinesischen und indischen Zivilisation. Die Zivilisation ist dabei immer das Endstadium einer Kultur, das in Einzeltraditionen sehr lange fortleben kann, die aber keine innere Entwickungskraft mehr haben. Man bräuchte einige Seiten Text, um die Begriffe wirklich zu sortieren. "Kultiviertheit" kann im Bereich der Zivilisation herrschen, also bei der Veredelung der von Dir zitierten Genußsucht. Die zitierte Herzensverdelung und Charakterbildung kann sowohl in Kulturen, in einer Zivilisation, in Stammesgesellschaften oder in anarchischen Gruppen vorkommen. Sie ist eine ganz allgemeine Option, die der Mensch hat, aber durchaus wurde sie in bestimmten Hochkulturen und Hochkulturphasen besonders gepflegt, weil sie den Menschen stark macht und zu sich selbst bringt.
Beim Begriff Transzendenz bin ich sehr radikal. Alles was in den Bereich der Materie und Energie gehört ist "diesseits". Das lichtschnelle Reisen im Universum ist immer noch innerhalb des Universums (und ist eigentlich 'Zeit'- und Energieverschwendung). Früher hat man bei uns im Abendland das Universum als 'Schöpfung' angesehen, und es wurde vom 'Schöpfer' begrifflich getrennt. Es ist aber unmöglich für uns, als Teile des Universums, den so genannten 'Schöpfer' zu sehen. Denn der liegt außerhalb. Wir können nichts über ihn sagen und wissen. Selbst zu behaupten, er wäre ein Nichts, ist falsch (obwohl viele metaphysische Denker wie Plotin, Eckhart, Cusanus etc. solche Aussagen benutzt haben). Es ist aber ganz offensichtlich, dass es eine transzendente Struktur geben muss. Denn die Existenz (das 'Sein') des Universums wie auch die (vielfach mathematischen ...) Regeln, nach denen es gebaut wurde und gemäß denen es kreativ immer Neues hervorbringt, sind unabhängig von Zeit, Raum, Energie und Materie. Das gilt auch für Kulturentwicklungen und Persönlichkeitsentwicklungen.
Innerhalb des Universums gibt es nur Geburt und Tod. Manche reden von Wiedergeburt, aber das ist mir zuwider, weil es so nicht stimmt - und weil ich selbst hin und wieder auf das kleine Schlüsselloch schaue, das den Ausstieg verspricht. Diese Hintertür wurde schon vor Buddhas NIRVANA in der indischen Kultur als Moksha bezeichnet, von Patanjali in der Tradition der Upanishaden als "kaivalyam" (im Sinne von Befreiung bzw. absoluter Freiheit). Der korrespondierende Begriff im Christentum wäre die Auferstehung, im Islam ist es die "Fana", eine Art Erlöschen (um trotzdem noch 'da' oder erst dann WIRKLICH 'da' zu sein ...). Wie Du gesagt hast, ist jede(r) hier auf sich alleine gestellt. Aber man kann darauf bauen, dass es eben transzendete Strukturen gibt, die diesen Weg ermöglichen, befördern und vermutlich sogar wünschen. Und eben die von mir im vorigen Beitrag so genannten (schamanischen) "Meister der Steinzeit", lange vor den Hochkulturen, haben diesen geheimen Trampelpfad einst entdeckt. Das Wirken eines Pythagoras, Buddhas, Laotse oder Jesus war nur eine ermunternde Erinnerung an diesen Weg.
Gute Reise!
Weiner