Geld und Staatsanleihen sind besichert, aber anders, als sich das der Mainstream vorstellt

Miesepeter, Freitag, 23.10.2020, 00:22 (vor 1279 Tagen) @ BerndBorchert1865 Views
bearbeitet von Miesepeter, Freitag, 23.10.2020, 00:42

Auch die heutigen Staatsleihen sind darüber hinaus nicht anders zu bewerten als Luft: es weiss doch inzwischen jeder, dass Staatsschulden nicht zuruückgezahlt, sondern in aller Regel rolliert werden.


Ganz falsch, und in diesem Debitismus-Forum noch falscher: Die Staatsanleihen sind besichert, und zwar durch das Recht der Staaten, Steuern einzunehmen und das auch zu tun

Ja, Du kommst der Sache näher. Die Besicherung erfolgt nicht durch zukünftige Steuereinahmen (die könnten ja auch sonst explizit verpfändet werden), sondern "durch das Recht der Staaten, Steuern einzunehmen und das auch zu tun". Ich würde den Begriff noch erweitern auf "Macht", die Macht, das Recht zu setzen. Und auch die entsprechende Fähigkeit, damit eine Rechtsordnung aufrechtzuerhalten, die produktiven Gegenwert für die geschaffenen Zahlungsmittel hervorzubringen vermag, kurz gesagt: Leistung zu erzwingen.

Effektiv wird diese Macht nicht dazu eingesetzt, tatsächlich Steuern zu erheben, um den Staat zu entschulden. Warum auch? Zum Einen würde der Staat dabei seine Macht verlieren, weil die dabei entstehende Deflation die gesamte Wirtschaft einreissen würde.

Zum anderen ist es auch gar nicht nötig: der Staat kann ebensogut seine Finanzierung erzwingen. Dabei bleibt das Eigentum (ebenfalls ein vom Staat gesetztes Recht) an der Forderung auf das Geld beim Gläubiger (dieser fühlt sich also weiterhin reich), und der Staat erhält trotzdem die Verfügungsgewalt über die Zahlungsmittel und kann deren Verwendungszweck festlegen.

Die Staatsverschuldung ist praktisch selbst Steuer, die bessere Steuer. Der Staat hat nicht nur die Macht, Steuern zu erheben. Er hat ebenso die Macht, Staatsverschuldung endlos zu rollieren und so in Summe niemals zurückzuzahlen.

Zumindest solange er bei seinen inländischen Untertanen verschuldet ist, oder bei externen Gläubigern, die selbst nicht ausreichend Zwingmacht haben (schön zu sehen gerade am Beispiel USA/China: die Chinesen werfen US-Anleihen ab, die FED übernimmt diese: Der Gläubiger ist jetzt inländisch und staatlich. Gleichzeitig steht auch die latente Drohung im Raum, dass die USA die von China gehaltenenen Anleihen für ungültig erklären zb zwecks Verrechnung mit dem Schadensersatz für das "China-Virus")

bis zu 50% der realen Wirtschaftsleistung kassieren die Staaten. Und das Rollieren hat eine klare Funktion: jedesmal wird auf dem Markt getestet, ob der Staat noch kreditwürdig ist.

Der Staat wäre ein armes Würstchen, wenn er vom Markturteil abhinge, das ist der Wunschtraum aller Neoliberalen. Vielmehr hängt der Markt vom Staat ab, und der Staat kann diesen jederzeit so tanzen lassen, wie er möchte, wenn er nur genügend Zwang einsetzt.

In der Realität zwingt der Staat ganz einfach interne oder externe Wirtschaftsteilnehmer, seine Anleihen zu zeichnen. Im Gegenzug liefert er ihnen je nach Bedarf Rechtssicherheit oder Immunität bzw. Sonderrechte.

Und wenn das nicht ausreicht, bittet er seine Notenbank um Finanzierung. Diese kommt auch dann helfend herbeigeeilt, wenn Marktteilnehmer tatsächlich einmal in kritischem Ausmaß in die falsche Richtung unterwegs sein sollten.

Solange der Staat seine Macht aufrechterhalten kann, solange kann er auch für seine Finanzierung sorgen.

Das ist eine grosse Fehlannahme, die übrigends Dottore selbst auch gemacht hat. Er sah den Zeitpunkt sogar noch früher, nämlich an dem Tage, an dem eine ZB Staatsanleihen aufkaufen würde (statt sie nur im Repogeschäft zu refinanzieren).


Schön, dass dottore da diese klare, seriöse Meinung vertritt. Wann wurde für den Euro eigentlich das Aufkaufverbot aufgehoben? Gemäß des Charts unten würde ich annehmen ca. 2008 "Finanzkrise", oder später Griechenlandkrise? "Never let a good crisis go to waste" ...

2008.

Dass es soweit kommen würde, war Dottore klar. Er sah dort aber die Grenzen der Aufschuldung erreicht. Er war halt auch deutscher Historiker, und deutsche Historiker, insbesondere wenn sie auch noch durch den Monetarismus gelaufen sind, leiden oftmals an einem Hyperinflation-Trauma aus der offiziellen (viel zu kurz gegriffenen) Analyse der Geschehnisse in Deutschland in der ersten Häfte des 20.Jahrhunderts: eine deutsche Spezialität, denn ansonsten erlitt keine Industrienation eine Hyperinflation.

Die Grenzen der Aufschuldung waren 2008 nicht erreicht. Sie sind auch heute noch nicht erreicht. Ihre Grenzen wird die Aufschuldung nicht in den Notenbankbilanzen finden, sondern in der realen Wirtschaft. Es wird nicht eine kollabierende Finanzwirtschaft die Realwirtschaft zu Fall bringen, dafür versteht man die Mechanismen heute zu gut. Eine kollabierende Realwirtschaft hingegen wird die Finanzwirtschaft zu Fall bringen.

Ob man eine kollabierende Realwirtschaft ebensogut wieder einzufangen weiß wie eine kollabierende Finanzwirtschaft, das werden wir im nächsten Jahr womöglich erfahren. Auch da hat es in Deutschland im 20.Jahrhundert einen richtungsweisenden Präzedenzfall gegeben.

Gruss,
mp


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