Liegt das Gute nicht so nah? Längerer Text zum Thema
Als Auslandsgelber fühle ich mich angesprochen und veranlasst, zum Thema Auswanderung ebenfalls etwas beizutragen.
Meine erste "Auswanderung" fand 1982 statt, nannte sich "unerlaubtes Verlassen" und war zu dieser Zeit, in jenem Teil Deutschlands, ein Straftatbestand. Ich bin der "Diktatur des Proletariats" davon gelaufen, was wörtlich zu nehmen ist. Ich hatte Alles aufgegeben, was aber 2 Jahre nach dem Abschluss eines Studiums an einer Technischen Universität überschaubar gewesen ist. Das Reisegepäck war leicht und bestand aus der Kleidung, die ich trug, dem Perso, 50 DM und ein paar Tuuls, die in die Hosentaschen passten und das Fortbewegen in weitestgehend unbekanntem Terrain in der Nacht risikoloser machen sollten.
Schon nach wenigen Jahren in der Bundesrepublik wurde mir klar, dass ich das Streben nach dem Glück, wie es in materiellen Gesellschaften vorgelebt wurde, nicht meins war, also nicht mitmachen wollte. Kredit finanzierter Wohlstand, ohne die Gewissheit, morgen noch einen Job zu haben, um diesen Kredit zu bedienen, war nicht mein Ding.
So kam es, dass ich 1994 dieses Anwesen im Osten Frankreichs erwarb, weil Gleichwertiges in D für mich nicht bezahlbar war. Damals gab es in Ostfrankreich (und vermutlich nicht nur dort in F) noch viel Grund mit Haus in Alleinlage, entsprechendem Abstand zum Nachbarn, eigener Quelle, aber nicht vorhandener Abwasserversorgung, um die man sich selbst kümmern musste, zu moderaten Preisen. Darüber, wie man im Winter den Weg bis zum ersten Schnee geräumten Fahrweg schneefrei bekommt, galt es, sich ebenfalls Gedanken zu machen.
In den ersten Jahren, in denen Renovieren angesagt war, bin ich noch gependelt. Dann entstand der Wunsch, das Potential des Anwesen auch "am Stück" zu nutzen. Einem inneren Impuls folgend, wollte ich einmal ein ganzes Jahr dort "aussteigen."
Das war 2007. Aus diesem Jahresausstieg sind dann 10 Jahre geworden und aus familiären Gründen pendele ich seit 2017 vorerst wieder.
Mein Fazit: Für mich waren insbesondere diese 10 Jahre eine Art Therapie. Mit Gartenbau und Kleintierhaltung zur Teil-Selbstversorgung und Brennholzgewinnung aus eigenem Wald, inmitten von Natur habe ich vermutlich ein Gen ausgelebt, das in 4 Generationen meiner Vorfahren prägend gewesen ist. Der Unterschied zu heute war lediglich, dass es damals kein Auffangnetz, keinen doppelten Boden gegeben hat, wie ich ihn mir gestalten konnte: Deutsche Krankenversicherung und vermietete Mietwohnung für den Fall einer, z.B. krankheitsbedingten, Zwangsrückkehr.
Es gab hier zu Beginn auch eine kleine Kommjunitie aus Einwanderern, von denen die meisten aber wieder durch Scheidung, Alter und Ableben aufgegeben haben bzw. aufgeben mussten.
Ein nicht zu unterschätzendes Kriterium, Gleichsprachige im Ankunftsland zu treffen, als Brücke zu der Einheimischen Bevölkerung.
Leider führten diese Kontakte auch dazu, dass ich sprachlich auf dem Deutschen bzw. Englischen "sitzen" geblieben bin und das Erlernen der französischen Sprache (ich hatte in der Schule nur Englisch und Russisch gelernt) bis heute vernachlässigt habe. Ich bedaure dies sehr, aber durch Faulheit - französisch im Selbststudium stand immer am Schluss der vielen Dudu-Listen -, keinerlei Sprachpflege durch nicht vorhandene Nachbarschaft und inzwischen altersbedingte, abnehmende Merkfähigkeit, war es mir einfach nicht möglich.
Dennoch bin ich der Meinung, dass Sprachkenntnisse des Einwanderungslandes unabdingbar sind.
Da nach dem Kauf das Geld für Handwerker fehlte, war ich mit den anfallenden Arbeiten auf mich gestellt und fern jeder Langeweile.
Ich empfinde das Leben hier bis jetzt als entspannt. Keine Behördengängelei (Ohrmarken für Tiere, die ich von einem abgewanderten Freund bekommen hatte, liegen im Schrank für den Fall, dass mal jemand vorbei kommt ...), Rundfunkgebühren nur bei Selbstbezichtigung Empfangsgeräte zu unterhalten, keine Kfz-Steuer, (noch) bezahlbarer Strom, keine Steuerabgaben, weil unter der Einkommensgrenze - den Beruf des Schornsteinfegers z.B. gab es bis vor einigen Jahren überhaupt nicht. Hier ist/war es möglich, "unter dem Radar" zu leben, in Ruhe gelassen zu werden.
Mir ist bewusst, dass im Zuge der "grossen europäischen Nivellierung" auch hier die Gleichschaltung fortschreitet. Macron prescht ja mit seinen restriktiven Carolagesetzen schon vor, was sich die deutschen vor der Wahl noch nicht trauen. Wenn das durchkommt, sind die Franzosen ausnahmsweise mal schneller.
Andererseits hoffe ich noch auf die revolutionäre Tradition der Franzosen. Einen Antrag zur Genehmigung einer Demonstration gibt es hier z.B. nämlich (noch) nicht.
Obwohl ich wieder soweit bin, mir Gedanken darüber zu machen, wie ich dem Land mit der ebenfalls aufziehenden Diktatur endgültig den Rücken kehren kann und auch im Hinblick darauf, wie lange es hier in F noch so unbeschwert weitergeht, wie bisher, werde ich eine erneute Auswanderung wohl verwerfen.
Wäre ich 20 Jahre jünger - und hier kommen wir zu einem wichtigen Punkt, das Alter, würde mein Land wohl Ungarn sein - sofern es Europa sein soll.
Ab etwa dem 40.Lebensjahr wird ein Neuanfang schwierig. Ist man jünger, fehlen einem i. d. Regel die Mittel und wesentlich Ältere haben Anhang und schon mit abnehmender Energie zu kämpfen, ständen finanziell aber besser da.
Mir ist auch bewusst, dass die EU auch Ungarn früher oder später den Geldhahn zudreht, wenn Orban nicht "spurt", aber in der jüngsten Vergangenheit und evtl. noch kurze Zeit wird man sich noch gegen kulturfremde Einwanderung, Gender-Gaga, Schuldkult und morgenländischen Kulturimport wehren.
Ungarn war seit dem Mittelalter Einwanderern aufgeschlossen - wohlgemerkt abendländischen! Ungarische Könige schätzten nicht nur deren Fleiss und Wissensvorsprung.
Neuen Auftrieb bekam diese Siedlungsbewegung am Ende des 17. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, als eine fast 150 jährige türkische Besetzung militärisch beendet wurde und ein beispielhaftes Besiedlungsprogramm durch die Habsburger - als Erben des ungarischen Königtums - in´s Leben gerufen wurde (--> Donauschwaben)
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So entstanden 7 deutsche Siedlungsgebiete in den Grenzen des historischen Ungarns, welches bis zum Ersten Weltkrieg 2/3 grösser war, als heute.
Deutsche haben in Ungarn immer noch eine hohe Reputation, ganz egal, was die deutsche Regierung und deren Sprachrohre gegen Orban geifern. In den ehemaligen deutschen Siedlungsgebieten sind die Ortsschilder inzwischen wieder zweisprachig. In einigen Orten dort gibt es kleine Dorfmuseen, die die ehemalige Kultur und das Brauchtum der Deutschen liebevoll dokumentieren. Man ist in gewisser Weise stolz auf die deutsche Siedlungsgeschichte und bedauert, dass etwa 200.000 Deutsche nach dem WKII enteignet und vertrieben wurden.
Deutsch ist eine beliebte Fremdsprache in der Schule und man trifft auch noch auf deutschsprachige ehemalige Bewohner - vornehmlich ältere. Der Euro macht Immobilienerwerb noch preiswert und ist für EU-Bürger kein Problem.
Das Land ist durch das warme kontinentale Klima fruchtbar und ertragreich.
Somit ist Ungarn eher ein Einwanderungsland für Menschen mit subsistenziellen Absichten und Fähigkeiten sowie dem Hang zur Scholle, die gleichzeitig in Ruhe gelassen werden wollen und weniger für Ingenieurberufe. Ich kann mich da aber irren!
Um die Frage vorweg zu nehmen, weshalb ich dann nicht dorthin ausgewandert bin: !994 hatte ich andere Kriterien zu berücksichtigen. Den Familienbesitz, den ich von meinen Vorfahren bzw. Eltern einmal erben würde - es hat bisher dafür keine Entschädigung gegeben und eine Rückübertragung wäre heute juristisch nicht aussichtslos - konnte ich zu dieser Zeit nicht übernehmen.
Heute fühle ich mich für eine dritte Auswanderung energetisch nicht mehr in der Lage. Vielleicht war die Entscheidung für Lothringen ein Kompromiss. Das wird die nahe Zukunft zeigen. Besser als D-Land war die Wahl auf jeden Fall.
Und überhaupt - in den 80ern hiess es ja noch: "Der Russe kommt nur bis zum Rhein!"
Herzliche Grüsse
vom
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Albatros