Feudalgesellschaft vs Informationsgesellschaft

Miesepeter, Mittwoch, 16.06.2021, 18:53 (vor 1045 Tagen) @ Mephistopheles2217 Views
bearbeitet von Miesepeter, Mittwoch, 16.06.2021, 19:05

Über Jahrhunderte geplant? Na, da sehen wir doch mal. Wie das vor 100 Jahren war, darüber weiß ich zufällig Bescheid.
Meine Großeltern waren Bauern, Getreide, Kartoffeln, Schweine, paar Rinder, Hühner und ein Pferd. Das Pferd war das Wichtigste, weil das der einzige Bauer war im Dorf, der ein eigenes Pferd hatte.

Was Du hier und im Folgenden beschreibst ist ein Aspekt der feudalistischen Agrargesellschaft, so wie sie seit der neolithischen Revolution über Jahrtausende geplant und gestaltet wurde. Der Zeitpunkt des Vergleichs vor 100 Jahren ist dabei unglücklich gewählt, denn 1920 war die Feudalgesellschaft im Westen bereits zu grossen Teilen in der demokratischen Industriegesellschaft aufgegangen.

Diejenigen, die über die Jahrhunderte das Management der Feudalgesellschaft planten und ausführten, der Adel und seine intellektuellen Helfershelfer aus Kirche und Verwaltung, hatten auch meist mehr als ein paar Rinder, Hühner und ein Pferd.

Allerdings hatten sie vor 100 Jahren den Kampf um die Zukunft und die gesellschaftliche Vorherrschaft bereits vorloren an die erfolgreichen Schäfer der städtischen Massen, welche unter den Slogans der neuen Religionen der Freiheit mithilfe des entfesselten Privateigentums die Gesellschaft zu ihren Gunsten umformen konnten.

Die wirtschaftliche Verwertung der Massen wurde dabei in dem neuen System auf völlig neue Höhen intensiviert. In der Folge ging es allen besser, den Gestaltern insbesondere, aber den Massen ebenfalls. Die neuen Gestalter der Industriegesellschaft liessen die Herren des Feudalzeitalters aussehen wie unfähige, verstaubte Wirtschafts-Neanderthaler.

Dass man zum Militär musste, nicht wegen Zwang, sondern wegen Eigentum. Das Eigentum an Grund und Boden garantierte nur der Staat, das war jedem klar, ohne dass man ihm das groß erklären musste. Meine Großeltern wurden dann nach dem verlorenen Krieg konsequenterweise auch aus ihrem Eigentum vertrieben.

Eigentum gab es für die allgemeine Bevölkerung im Feudalismus m.W. nicht, sondern Lehen. Das Recht auf Privateigentum an Grund und Boden geht mit dem Ende der Agrargesellschaft seit dem 18. Jhdt einher.


Die Menschheit, deren Vorfahren jahrmillionen ohne Feuer exisiterten, kann es nicht mehr.

Es ist noch nicht einmal 100 Jahre her, da existierte so etwas wie eine totale Abängigkeit nicht. Totale Abhängigkeit in des Wortes doppelter Bedeutung: Nicht nur, dass die Untertanen totel vom System kontrolliert werden; sie könnten ohne dieses nicht einmal mehr existieren!
Der Beweis wird erbracht werden; wartet`s ab.

Die Bewirtschaftung ist intensiver geworden, und eines der grundlegenden Merkmale dessen war die zunehmende Spezialisierung, die gleichsam dazu führte, dass ausserhalb einer engen Kompetenz (wenn überhaupt) das Wirtschaftsobjekt keinerlei Fähigkeiten mehr benötigt und sich daher auch selten aneignet.

Umso zentraler ist natürlich der Wert der gestaltenden und die Spezialisierungen koordinierenden Zwischenräume. In diesen Zwischenräumen finden sich zb das Geldsystem, das (höhere) Bildungssystem, die Medien und natürlich auch weiterhin das Gewaltmonopol.

Das. was es vor 100 Jahren nicht gegeben hat, ist heute unausweichlich und unabänderbar bis zum Untergang: Die Menschen können ohne die totale Abhängigkeit in des Wortes doppelter Bedeutung nicht mehr existieren.

Vor 100 Jahren war diese Abhängigkeit allerdings bereits vollständig in der Entwicklung begriffen. Dabei ist anzumerken, dass die Abhängigkeit in beide Richtungen bestand: der Massenmensch war abhängig vom System, aber das System benötigte den Massenmenschen in gleichem Masse als ausführendes Organ.

Heute hingegen wird dies zunehmend obsolet, im Übergang in das Informationszeitalter, in welchem mehr und mehr die Herrscher über die Information die zentralen Entscheidungen der Gesellschaft bestimmen und den Rest der Menschheit ihrem Gesellschaftsmodell entsprechend angleichen. Auch dies gelingt nicht reibungslos im ersten Anlauf, sondern ist sicherlich ein Generationenprojekt, in welchem jede Iteration auf die festgestellten Fehler der Vorstufe reagiert.

So macht es zb. wöglich durchaus Sinn, dass in einem ersten breitangelegten Feldversuch zum genetischen Eingriff in das menschliche biologische System und dessen Züchtung erst einmal mit - soweit kenntlich - harmlosen genetischen Eingriffen gearbeitet wird. Der Eingriff in die informationellen Grundlagen des Menschen ist noch weitestgehend Neuland - bei Pflanzen und Nutztieren ist man viel weiter. Auch dort hat man klein angefangen.

Dass auf Dauer in einer Informationsgesellschaft noch Massen von Menschen mit obsoleten Begabungen aus Agrar- oder Industriezeitalter benötigt werden, ist nicht wahrscheinlich. Selbst auf dem Schlachtfeld sind sie bereits entwertet. Gegen die Herrscher über die Informationstechnologie stehen sie auf ebenso verlorenem Posten wie die Armeen einer Agrargesellschaft gegen den Willen der Gestalter einer Industriegesellschaft.

Die Abhängigkeit wird dabei erwartungsgemäß weiter zunehmen und eine Form annehmen, die jene einer Nutzpflanze im Gewächshaus gleichkommt, mit exakt abgemessener Zufuhr sämtlich benötigter Nährstoffe zur Maximierung der Nützlichkeit. Die Herrschaftsmöglichkeiten über die Koordinations- und Kommunikationszwischenräume des Systems ist in der Informationsgesellschaft noch einmal totaler als dies in der Industriegesellschaft jemals der Fall sein konnte.

Die Frage ist also nicht, können die Massen ohne das System noch überleben? Sie können es nicht.

Die aktuelle Frage ist vielmehr, kann das System der Herrschaft auch ohne die Massen überleben? Da stehen der Menschheit in diesem Jahrhundert womöglich einige Feldversuche zum Thema bevor.


Nur der Pfarrer und der sonntägliche Kirchgang waren vor 100 Jahren unverzichtbar. Warum, habe ich allerdings nie begriffen.

Aus dem gleichen Grund, aus dem die Programmübertragung der Massenmedien für das Industriezeitalter unverzichtbar war, und die Programmübertragung per Internet für das Informationszeitalter unverzichtbar ist. Warum befinden wir uns hier, warum lesen und tippen wir in Datenbanken, die wir nicht selbst geschaffen haben, sondern die uns freundlich und unentgeltlich von unbekannten Wohltätern zur geistigen Ertüchtigung zur Verfügung gestellt werden?

Gruss,
mp


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