Ihre Frage ist schon mal sehr richtig formuliert.

Diogenes Lampe, Samstag, 06.02.2021, 13:11 (vor 1387 Tagen) @ stokk4562 Views

Hallo stokk,

In der Tat kann ich bei meinem Antwortversuch nur "meinen" und nicht wissen. Ich habe diese Leute ja nicht persönlich fragen können, denke aber auch, dass, wenn dies möglich gewesen wäre, die Antworten subjektiv sehr unterschiedlich ausgefallen wären.

In jedem Fall wäre das eine genauere Untersuchung wert, inwieweit eben auch in der politischen Hemisphäre beim Wissenserwerb erst einmal psychologische Bedingungen eine Rolle spielen, wie Offenheit, Aufgeschlossensein, Neugier, Selbstbewußtsein, Mut, sich seines eigenen Verstandes ohne Anleitung anderer bedienen wollen, Umgang mit Ängsten, Verlusten, Niederlagen usw... Entsprechend wählen sich die Leute dann, wie alle anderen auch, ihre Wissensquellen nicht objektiv, sondern subjektiv aus. Es gibt hier also auch keine allgemein zutreffenden Antworten.

Merkel weiß über "diese Hintergründe" sicher eine ganze Menge schon von Hause aus. Schließlich ist sie sehr isoliert im Geheimdienstmilieu aufgewachsen, hat früh gelernt, wie sie funktionieren muss und als Bundeskanzlerin, also Statthalterin der Besatzungsmächte, ist sie natürlich auch entsprechend ausreichend informiert. Aber auch ihr Umgang mit ihrem Wissen ist natürlich letztlich subjektiv geprägt.

Grundsätzlich würde ich sagen, dass nur sehr wenige aktuelle Politiker - heute ja meist junge, schlecht bzw. gar nicht ausgebildete Leute, die nichts anderes kennengelernt haben, als ihre Funktionärskarriere - Bescheid wissen und noch weniger überhaupt Bescheid wissen wollen. Das macht es auch viel leichter, den politischen Gegner nach Herzenslust zu beschimpfen; hängt also sicher von der Person selbst, deren Charakter ab. Kaum vom tatsächlichen Wissensstand, der in signifikantem Maße ja, schaut man sich in den Parteien um, erbärmlich sein muss.

Aber da politische Gremien natürlich auch hierarchisch aufgebaut sind und man sich dort auf dem Weg nach Oben erst recht in die Taschen lügt, die Nächsten betrügt usw., spielen natürlich die jeweiligen objektiven Bedingungen, unter denen sie arbeiten, auch eine wichtige Rolle. Manche ahnen vielleicht das eine oder andere, aber auch nur dann, wenn aus irgend welchem Grund der eigene Leidensdruck so groß geworden ist über Dinge, die sie nicht verstehen können, dass sie sich dann doch an irgend einem Punkt ihrer Karriere um der eigenen psychischen Hygiene willen - sie alle stehen ja, ähnlich wie Beamte in den Behörden, auch beruflich unter einem enormen Selbstrechtfertigungsstress, der viel Sturheit erfordert - nach anderen, als den üblichen Antworten umschauen. Aber das sind, so glaube ich, Ausnahmen. Meist solche, die in die Politik gegangen sind, weil sie zwar einen starken Willen- doch naiv genug waren, zu glauben, sie könnten in Parteien gesellschaftlich etwas an den herrschenden Misständen ändern. Bis sie feststellen mussten, dass solche Unterfangen in Parteien ausgeschlossen sind.

In der Regel aber herrscht bei ihnen selbst noch im Scheitern soviel erstaunliche Selbstgerechtigkeit, dass sich nicht wenige nicht einmal einen klitzekleinen Fehler eingestehen können. Gerade bei kollektiv indoktrinierten Menschen fällt auf, dass sie, wenn sie folgenschwere Irrtümer begangen haben, nie sich selbst als Schuldige identifizieren, sondern immer nur Opfer der Anderen oder der Umstände gewesen sein wollen. Sie selbst haben es immer nur gut gemeint. Hätte man nur auf sie gehört.

In der DDR war ja die Situation ähnlich. In der Politik saßen die Ideologen, die nur das anschauen konnten, was ihrer Weltanschauung entsprochen hat. Alles darüber hinaus war Klassenfeind und alles, was man an noch so gut gemeinter und konstruktiver Kritik am System äußern wollte, wurde mit der Begründung abgeschmettert, dass solche Kritiken nur dem Klassenfeind dienen und man ganz schnell zu ihm gesellt wird, wenn man das nicht einsieht. Heute macht man das mit "Nazis", "Antisemiten" usw., die den "Klassenfeind" als Totschlagargument ersetzen.

Sie alle konnten Marx und Hegel zitieren und hielten sie für den Gipfel der Philosophie. Und sie waren sich sicher, auf der Seite des menschlichen Fortschritts zu stehen, und zwar des menschlich einzig möglichen Fortschritts; des Sozialismus, der zum Kommunismus führt, weil der Hegel'sche Weltgeist, der bei Marx "historische Mission der Arbeiterklasse" hieß, es so wollte, dachten sie.

D.h., ihr eigener Informationsradius wurde von ihnen selbst massivst eingeengt, so dass sie sich gar nicht hätten vorstellen können, dass die DDR kein Arbeiter- und Bauernstaat ist, sondern eine vatikanische Diktatur, die zwar ihre Direktiven aus Moskau erhielt, aber eben auch aus Rom oder der Ekletischen Loge in Frankfurt/Main oder dem Pariser Grand Orient. Universitäten und Hochschulen waren - ähnlich wie heute wieder - statt echte Wissenschaftsinstitute eher Kaderschmieden. Nur, dass man den Wissenschaftsbetrug noch längst nicht so weit treiben konnte, wie heute die Linken und Grünen es tun. Man wollte ja doch letztlich beim Aufbau des Sozialismus mit dem Klassenfeind mithalten. Eine der Hauptursachen gerade auch des ökonomischen Untergangs der DDR aber war tatsächlich, dass dort, um nach Oben zu kommen, keine Fachkenntnisse im eigenen Fachgebiet zählten, um an leitende Funktionen zu kommen, sondern ausschließlich das richtige Parteibuch, die richtige Ideologie. Und genau das führt jetzt - im Zeitalter der Quoten - auch zum Untergang der BRD.


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