Schuld
Hallo Diego2
Sie müssen sich nicht entschuldigen. Ich verstehe Ihre Sorge, dass Verallgemeinerungen wie "die Juden" oder "die Kirche" bei den nicht Wenigen, die sich ihr Weltbild aus Resentiments machen, weil das viel einfacher ist, als zu differenzieren,zu Gruppenverfolgungen übelster Art führen kann. Eben deshalb sind solche Verallgemeinerungen nicht nur gefährlich, sondern auch dumm und so scheint es mir besonders wichtig, uns allezeit mit gesundem Menschenverstand zu wappen und aufzuklären.
Bei meiner Religionskritik bitte ich eines allerdings als unabdingbar zu beachten: Der größte Widersacher der Aufklärung ist für mich keine Institution als solche, auch kein katholisches oder protestantisches Gottesvolk und auch keine einzelnen Menschen, die sie vertreten (und seien sie Papst oder Jesuitengeneral) - also niemand, der in der Lage wäre, Verschwörungen anzuzetteln -, sondern der Geist, den die Kirche, egal welcher Konfession, verbreitet. Denn der Geist der Kirche ist ein Geist der Furcht. Nennen Sie es von mir aus Gottesfurcht. Der Herr sieht alle unsere Sünden und am Jüngsten Tag kommt die Rechnung, wenn man nicht vorher Buße tut.
Gegen diese permanente Selbstzucht durch Selbstzensur, die daraus zwangsläufig für den Gläubigen folgt, ist die NSA die reinste Geheimdienst-Stümperei. Da war der Vatikan schon vor 1500 Jahren weiter. Ich verkürze mal überspitzt. Wenn ich an sowas wie das Fegefeuer, die Hölle und den Jüngsten Tag glaube, dann besteht mein Leben zwangsläufig aus Sichschuldigfühlen. Dem folgt dann in der Regel der innere Wunsch nach Wiedergutmachung, nach Erlösung von unserer Schuld durch gute Werke oder guten Glauen und wie wir spätestens seit Tucholsky wissen, ist das Gegenteil von gut gut gemeint.
Wenn ich mir dagegen die wirklich zentrale Lehre des Jesus Christus ansehe, den Kern der christlichen Ethik, also die Bergpredigt mit den Seligpreisungen, dann heißt es bei ihm nie: "Selig sind, die sich schuldig fühlen." Oder? Laß ich die ganze Erzählung namens Bibel weg, nehme mir nur die Worte Jesu oder die Gesetztafeln von Moses, und führe sie auf einen einzigen Kern zurück, dann ist die Botschaft wirklich eine universale: Die Goldene Regel! Und die findet sich im Kern aller Religionen wie in den Sittengesetzen aller Völker. Jesus hätte keine Katholische Kirche mit Vatikan und all dem Bimbam gebraucht.
Wie will man z.B. als Deutscher die Verbrechen der Hitlerdikatur wieder gutmachen? Was bedeutet "Wiedergutmachung" überhaupt? Ermordete kann man nicht wieder auferstehen lassen. Man kann zwar deren Hinterbliebene mit Geld unterstützen, was nur recht und billig ist, aber ein Menschenleben ist nicht mit Geld aufzuwiegen. Das ist also keine "Wiedergutmachung". Versöhnung ist nur im gegenseitigen Verstehen und gemeinsamen auf einander zugehen und von einander Lernen möglich. Das ist keine Moral, sondern eine Tatsache. Ebenso, dass das nicht funktionieren wird, wenn man sich dabei gegenseitig als "Katholik", "Protestant" oder "Jude", "Moslem" oder gar "Mensch" verallgemeinert. Da projeziert man nur die eigenen Ideale aufeinander oder positioniert sie im Kampf gegeneinander.
Der Schuldkult ist seit Bestehen des Papsstums die wirksamste Waffe, die er gegen die Menschheit führt. Zu was hat denn das "mea culpa, mea maxima culpa" in den Gottesdiensten geführt? Zu mehr Frieden auf der Welt oder zu mehr Heuchelei in den Kirchen -sich selbst und seinem Gott gegenüber? Was Gott auch immer ist, er ist ganz bestimmt nicht die Idee von ihm, die irgend ein Mensch zu hegen vermag. Die Idee von der Dreieinigkeit könnte mir auch der weiseste Papst nicht erklären.
Die eigentliche falsche Information die Sie haben ist, dass Sichschuldigfühlen aus uns bessere Menschen machen soll oder solche, die sich wenigstens besser fühlen. Du schuldest mir, Du schuldest Gott, Du schuldest dem Papst, Du schuldest der Kirche, dem Kaiser, der Bank usw... und zwar bis an Dein Lebensende! Und nur, wer seine Schulden in welcher Form auch immer brav mit seiner Lebenszeit abbezahlt, darf sich eines reinen Gewissens rühmen, das ihn geradewegs ins Paradies führt. Ein gutes Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen.
Sie sehen, wie effektiv diese Machttechnik "Die Sünde und der Sünder" ist. Sie wirkt auch bei Ihnen noch! Denn der Mensch sucht Sicherheit vor den Folgen seiner Sünden, wenn sie als Ewige Verdammnis beschrieben werden und er daran glaubt.
Wem Sie in all dem Informationswust wirklich trauen können? Letztlich nur sich selbst! Wenn sie sich selbst gegenüber einen Vertrauensverlust feststellen, müssen Sie sich Ihre eigenen Schlussfolgerungen bezüglich Desinformation, Fake News und Propaganda erarbeiten. Das kann Ihnen niemand abnehmen. Mißtrauen Sie vor allem solchen Leuten, die Ihnen das eigenständige Denken abnehmen wollen. Sie tun recht daran, nicht alles von mir hinnehmen zu wollen und ich freue mich, wenn Sie mich hinterfragen. Denn nur das bringt uns beide weiter.