Krieg und Frieden
Moin Julius,
Die Realität überholt die Satire auf dem Standstreifen mit 180 Sachen.
Vor welchem "Internationalen Gerichtshof" hätten dann die überlebenden
Azteken Cortés verklagen sollen wegen Mißachtung ihrer "Menschenrechte"
und Verbrechen gegen die "Menschlichkeit"? Und man beachte, daß beide
legalistischen Konstrukte auf beiden Seiten völlig unbekannt waren.
Natürlich. Ein Verbrechen, dass nicht angeklagt oder verurteilt wird, bleibt trotzdem ein Verbrechen. Und zwar unabhängig davon, ob die Täter sich dessen bewusst sind.
Das Verstörendste an der ganzen Sache ist womöglich, daß der
europäische Jetztmensch sich bemüßigt fühlt, seine weltgeschichtlich
höchst anomale (und vermutlich auch höchst vorübergehende) Auffassung
zum Thema rückwirkend auf alle Vorangegangenen anzuwenden - mit erhobenem
Zeigefinger.
Das nennt man "aus der Geschichte lernen". Ich kann auch Folter verurteilen, obwohl sie über den größten Teil der europäischen Geschichte hinweg eingesetzt wurde. Krieg hat noch niemals in der Geschichte ein Problem gelöst, jedenfalls keines, das nicht auch mit friedlichen Mitteln zum größeren Nutzen beider Seiten hätte gelöst werden können.
Kriegsvergessenheit äußert sich vor allem darin, Krieg als eine Art
"Ausnahmezustand der Tugendlosigkeit" zu rekonstruieren. Mit der Realität
der letzten dreißig Jahrtausende oder so hat das nichts zu tun.
Kein Grund, die nächsten dreißig Jahrtausende diese Idiotie weiter zu betreiben.
Weder das eine, noch das andere. Krieg wird einfach als eine unvermeidbare
Konstante des menschlichen Daseins erkannt - nicht mehr, aber auch kein
Iota weniger.
Wieso sollte der Krieg unvermeidlich sein? Ich kann mich einfach entscheiden, ihn nicht zu führen.
Das haareraufende, zuweilen pathetische Beharren auf einem
"Warum" kennzeichnet eher die im postheroischen Wohlstand des "Westens" (i.
S. d. alten Kalter-Krieg-Diktion) In-die-Welt-Geworfenen nach '45. Echte
Kriegsopfer steigern im Mittel eher ihren Vorrat an Stoik.
Möchte mal sehen, wie stoisch Du noch bist, wenn Du in den radioaktiv verstrahlten Trümmern im Dreck nach Nahrung wühlst, während der Blutkrebs Dein langsame Ende vorbereitet.
Ja, die Emotionalisierung des Sachlichen ist charakteristisch für die
Gegenwart. Eventuell steckt dahinter eine kollektive zivilisatorische
Kränkung, verursacht durch die Tatsache, daß wir trotz aller
aufgeblähten Versprechungen der Aufklärer und trotz aller "humanitären"
doppelten Böden und Sicherungsnetze nach wie vor am gähnenden Abgrund
stehen müssen.
Da magst Du sogar Recht haben. Aber ich würde meinen Kindern nun einmal gern einen noch halbwegs bewohnbaren Planeten hinterlassen. Wenn Du mich deswegen für einen irrationalen Romantiker hältst, sei's drum.
Aber wer sich zum Beispiel mal mit den Folgen der DU-Munition für irakische Kinder beschäftigt hat, und dennoch Krieg für einen als normal zu akzeptierenden Vorgang hält, der ist weit entfernt von dem, was ich unter "Menschlichkeit" verstehe.
Für mich ist Krieg der übelste denkbare Auswuchs einer hyperkollektivistischen Gesellschaft (danke, Zara), ein pathologischer Prozess der Selbstvernichtung, und jede Anstrengung zur Vermeidung eines Krieges ist unbedingt gerechtfertigt.
So sind sie halt, die Pazifisten, gell?
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"Nur die Lüge benötigt die Stütze der Staatsgewalt. Die Wahrheit steht von alleine aufrecht."
Thomas Jefferson