Macht verspricht sich keinen Erfolg
Hallo Weissgarnix,
Macht ist doch nicht etwas Vermittelndes (keine aktive
Potenz)
Also, wenn ich das jetzt unbedingt in die aristotelessche Begriffswelt
einkleiden wollte (was ich eigentlich nicht will, gell, weil mir seit
meinem Ferialpraktikum bei der FAZ dieses ganze feuilletonistische
Geschwurbel ein Greuel ist), dann ist "Macht" klarerweise die Potenz.
Glasklarerweise. Macht ist die Möglichkeit der Sanktion, keinesfalls der
Akt der Sanktion. Der Akt ist das Scheitern der Macht, das Zwingen der
Möglichkeit, zum Akt zu werden. Und somit im Prinzip ihre Umkehrung.
Ich bitte dich, eine Möglichkeit (Potential, Passivität) ist nicht bezwingbar, scheitert auch nicht. Sich die Potenz als einen bezwingbaren Gegner, ein aktives Etwas, dass sich dann sogar noch Erfolg verspricht, zu simulieren, was bringen solche Simulationen denn?
Der Akt, er ist die Realisation des Potentials (=aktive Potenz). Die realisierte Potenz (Möglichkeit, Passiva) wird nicht bezwungen (kein Gegeneinander), sondern sie verschwindet "in der Gegenwart ihrer Realisation". Und sofern dem Aktiven nicht neues Potential bis zu dieser durch die aktive Potenz beeinflussten Gegenwart verschafft wird, so mindert sich das Vermögen des Akteurs (was er zukünftig vermag), mindert sich sein Potential (was ihm bis in die Gegenwart verliehen wurde). In dem Zusammenhang stellen auch Verbindlichkeiten aufgrund ihrer den Rückzahlungstermin in die Zukunft schiebenden Wirkung (Finanzierung, finis = Grenzsetzung) nichts anderes als zeitlich befristete Potentialverleihungen dar.
Denn
wenn die Macht unter dem Eindruck des nicht normkonformen Verhaltens nicht
die Sanktion folgen lässt, stellt sie sich selbst in Frage (wie etwa rote
Verkehrsampeln in Süditalien).
Macht (Potential) stellt sich keine Frage. Macht ist eine passive Position eines Machtverhältnisses.
Die Macht, die als Potenz auf ihren Akt
rekurrieren muss, verliert ihre Potenz (ok, das ist jetzt ein wenig
tautologisch).
Nur ein wenig tautologisch?
Nicht die Macht verliert ihre Potenz, sondern der Akteur. Macht ist Potenz.
Literaturtipp zum Thema, nur mal so nebenbei: Walter Benjamin, Zur Kritik der Gewalt, in: Sprache und Geschichte, Philosophische Essays, Reclam
Warum die Macht ein "Medium" ist, genauer: ein Kommunikationsmedium,
erschließt sich aber aus etwas anderem. Dafür muss man ein wenig
systemtheoretisches Soziologenvokabular pauken, insbesondere das von
Talcott Parsons und Niklas Luhmann. Entscheidender Begriff ist der der
"doppelten Kontingenz". Die doppelte Kontingenz regiert überall dort, wo
Menschen miteinander kommunizieren, insbesondere dann, wenn sie dabei nicht
in direktem Kontakt stehen. Also zB wenn der eine ein Gesetz erlässt, an
das sich der andere tunlichst halten soll. Wegen der doppelten Kontingenz
ist es an sich extrem unwahrscheinlich, dass der eine, der das Gesetz
befolgen soll, mitkriegt, dass er 1) überhaupt gemeint ist und 2)
nachvollziehen kann, warum er sich denn an das Gesetz halten soll. Zumal
dann, wenn das vom Gesetz sanktionierte Verhalten so naheliegend wäre,
also zB bei Rot über die Kreuzung zu fahren oder den nervigen Nachbarn bei
der Gurgel zu packen. Die "Macht" des Gesetzgebers reduziert die Kontingenz
kolossal, sie macht das erwünschte Verhalten wahrscheinlich, wo es ohne
das Wirken der Macht angesichts eines Universums von Handlungsoptionen
gänzlich unwahrscheinlich wäre. Daher wirkt sie wie ein Medium.
Und solche Ansichten resulieren meiner Ansicht nach aus der Simplifizierung und falschen Verwendung des Begriffs "Macht". Nicht die Macht reduziert die Kontingenz (denn sie ist Potential, Passiv, keine Handlung), sondern derjenige/diejenige, der/die die Machtposition hält, (in deiner Welt der öffentlich rechtliche Gesetzgeber).
Das Medium kann ausschließlich der Akteur sein, nicht die Macht. Selbes gilt für das Geld, welches auch nichts anderes als Potenz (Systemeigenschaft) ist und Eigenschaftsfunktionen (primär Abgaben- gleich Besicherungsfunktion) bietet.
Simplifizierend ist da gar nichts. Lies doch mal Luhmanns "Soziale
Systeme" von vorn bis hinten durch und dann erzähl noch mal was von
"simplifizierend". Kommunikationstheorie ist abstrakt, ja, diesen Vorwurf
muss sie sich wohl gefallen lassen; aber simplifizierend ist nicht gerade
das Urteil, das ich darüber abgeben würde.
Luhmann hab ich hinter mir. Nach reiflichen Überlegungen bleibt mir kein anderer Weg. Er wickelt einen so dermaßend in theoretische Simplifizierungen und realitätsferne Simulationen ein, von seiner faszinierenden Strahlkraft sollte man ganz weit Abstand nehmen und ihn im Detail hinterfragen.
Es schüttelt einen doch, sobald man z.B. nach der Potentialverleihung seiner autopoietischen Systeme fragt und das Abschieben der sich beziehen sollenden Elemente autopoietischer Systeme in die Umwelt als nicht realisierbar, lediglich als abstrakt simulierbar, erkennt. Was bleibt von der Selbsterschaffung / Selbsterhaltung des Systems eigentlich real über?
Das Unmögliche mag zwar faszinieren, aber was sonst? Was hilft uns das in Bezug auf unsere Realität? Ein System der Beziehungen ohne die sich beziehenden Elemente (und damit ihr Potential zur Schaffung der Beziehungen, Kommunikationen) zu analysieren, sich die Beziehungen einfach als selbst erschaffend und erhaltend simulieren? Nee, ich bin auch ohne Fiktion schon von vielem fasziniert genug.
Wie gesagt: abstrahiert vielleicht. Aber sicher nicht simuliert. In der
Abstraktion liegen bekanntlich viele Vorteile für die Theoriebildung.
Die da wären? Systeme zu simulieren, die es unter realen Bedingungen nie geben wird?
Herzlichst,
Ashitaka
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Der Ursprung aller Macht ist das Wort. Das gesprochene Wort als
Quell jeglicher Ordnung. Wer das Wort neu ordnet, der versteht wie
die Welt im Innersten funktioniert.