Macht als Potenz und Reduktor von Kontingenz

weissgarnix ⌂, München, Donnerstag, 25.05.2017, 16:45 (vor 2740 Tagen) @ Ashitaka5463 Views
bearbeitet von unbekannt, Donnerstag, 25.05.2017, 19:50

Macht ist doch nicht etwas Vermittelndes (keine aktive
Potenz)

Also, wenn ich das jetzt unbedingt in die aristotelessche Begriffswelt einkleiden wollte (was ich eigentlich nicht will, gell, weil mir seit meinem Ferialpraktikum bei der FAZ dieses ganze feuilletonistische Geschwurbel ein Greuel ist), dann ist "Macht" klarerweise die Potenz. Glasklarerweise. Macht ist die Möglichkeit der Sanktion, keinesfalls der Akt der Sanktion. Der Akt ist das Scheitern der Macht, das Zwingen der Möglichkeit, zum Akt zu werden. Und somit im Prinzip ihre Umkehrung. Denn wenn die Macht unter dem Eindruck des nicht normkonformen Verhaltens nicht die Sanktion folgen lässt, stellt sie sich selbst in Frage (wie etwa rote Verkehrsampeln in Süditalien). Die Macht, die als Potenz auf ihren Akt rekurrieren muss, verliert ihre Potenz (ok, das ist jetzt ein wenig tautologisch).

Literaturtipp zum Thema, nur mal so nebenbei: Walter Benjamin, Zur Kritik der Gewalt, in: Sprache und Geschichte, Philosophische Essays, Reclam

Warum die Macht ein "Medium" ist, genauer: ein Kommunikationsmedium, erschließt sich aber aus etwas anderem. Dafür muss man ein wenig systemtheoretisches Soziologenvokabular pauken, insbesondere das von Talcott Parsons und Niklas Luhmann. Entscheidender Begriff ist der der "doppelten Kontingenz". Die doppelte Kontingenz regiert überall dort, wo Menschen miteinander kommunizieren, insbesondere dann, wenn sie dabei nicht in direktem Kontakt stehen. Also zB wenn der eine ein Gesetz erlässt, an das sich der andere tunlichst halten soll. Wegen der doppelten Kontingenz ist es an sich extrem unwahrscheinlich, dass der eine, der das Gesetz befolgen soll, mitkriegt, dass er 1) überhaupt gemeint ist und 2) nachvollziehen kann, warum er sich denn an das Gesetz halten soll. Zumal dann, wenn das vom Gesetz sanktionierte Verhalten so naheliegend wäre, also zB bei Rot über die Kreuzung zu fahren oder den nervigen Nachbarn bei der Gurgel zu packen. Die "Macht" des Gesetzgebers reduziert die Kontingenz kolossal, sie macht das erwünschte Verhalten wahrscheinlich, wo es ohne das Wirken der Macht angesichts eines Universums von Handlungsoptionen gänzlich unwahrscheinlich wäre. Daher wirkt sie wie ein Medium.

Bei so stark simplifizierten Annahmen über das Wesen
der Macht führt kein Weg an Filtertüten vorbei.

Simplifizierend ist da gar nichts. Lies doch mal Luhmanns "Soziale Systeme" von vorn bis hinten durch und dann erzähl noch mal was von "simplifizierend". Kommunikationstheorie ist abstrakt, ja, diesen Vorwurf muss sie sich wohl gefallen lassen; aber simplifizierend ist nicht gerade das Urteil, das ich darüber abgeben würde.

Erklär doch mal in ein paar Sätzen, was diese Annahme (Macht = Medium)
begründet? Meiner Ansicht nach ist das stark simuliert.

Wie gesagt: abstrahiert vielleicht. Aber sicher nicht simuliert. In der Abstraktion liegen bekanntlich viele Vorteile für die Theoriebildung.

By the Way: Die Filtertüte ist natürlich ebenfalls ein Medium. Insofern besteht dann doch ein Zusammenhang mit der Macht.


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