Zen Buddhismus
Den Wandel zu akzeptieren, daraus zu lernen - und sich anpassen (also "anpassen" im positiven Sinnen von "sich zu Nutze machen").
Mit dem Zen-Buddhismus liegst du glaube ich nicht verkehrt. Denn was wir aktuell sehr vehement erleben, und woran sich auch hier und andernorts entsprechend viele sehr frustriert abstrampeln, ist kein "Wandel" mehr im früher verstandenen Sinne, so nach dem Motto: im Prinzip das Gleiche, aber in wechselnder Form. Sondern was wir heute erleben ist, siehe jüngst in Manchester, eine zunehmend stärker und gehäufter in Erscheinung tretender Nihilismus. Ich mein: natürlich meldet sich da schon wenige Stunden später die IS-PR und verkündet "wir waren's!" und natürlich werden die Medien und die Politik und die Rechten und die Hastenichtgesehen auf den Zug aufspringen und "böser Islam" schreien. Aber macht das Sinn? Klar, für uns schon, denn wir rationalisieren damit das Irrationale und machen es erträglich. Und finden auch gleich entsprechende Lösungen: die Islamisten sind's, also muss man sie bekämpfen. Oder die Mexikaner sind's, also muss man eine Mauer an der mexikanischen Grenze bauen. Oder die Rechten sinds, also muss man sie verbieten. usw usw Ich mein: natürlich mag der Junge da in Manchester ein paar mails mit irgendwelchen Fanatikern ausgetauscht haben und vielleicht war er auch ansatzweise religiös. Aber trotzdem: Sich selbst in die Luft zu jagen, nur um möglichst viele mit in den Tod zu reißen, das erfordert mM nach eine ganz andere Motivation, als diesen djihadistischen Jungfrauen-Nonsense. Über die wahre Motivation haben wir im Grunde doch gar keine Ahnung. Dem Mohammed Atta und seinen 911-Fliegern musste man noch zubilligen, dass da ein Gottvater Bin Laden als Spiritus rector im Hintergrund wirkte, und die schiere Unglaublichkeit des Vorhabens überzeugend genug war, selbst in den sicheren Tod zu gehen. Aber so ein Amri da mit seinem popeligen LKW? Oder jetzt der Junge in Manchester? Welche subjektiv wahrgenommene "Größe" des Projektes soll denn da motivierend gewesen sein? Nota bene: Motivierend genug, um sich selbst umzubringen? Macht für mich keinen Sinn.
Die schockierende, weil unerträglich nüchterne Conclusio liegt für mich eher in dem (zugegeben abgegriffenen) Satz: Die machen das, weil sie es können. Und "können" heisst in diesem Kontext nicht, "die Möglichkeit zu haben", sondern vielmehr: "nichts zu haben, was dagegen spricht". Das ist für mich der entscheidende Faktor. Manche nennen das nihilistisch, andere nennen das "totalen Werteverfall", aber wie auch immer: es hat mit rechts oder links oder islamistisch oder christlich oder jüdisch oder ungarisch oder deutsch oder englisch oder amerikanisch ... herzlich wenig zu tun. Typen, die sowas wie in Manchester zuwege bringen, findest du wahrlich überall, lediglich nach aktuellem air du temps ist halt alles djihadistische dafür mehr prädestiniert als manches andere.
Worauf ich hinauswill ist: ich und du und unsere Kids geraten zunehmend in eine gesellschaftliche Realität, in der es für das unerwartete, urplötzliche "Aus und vorbei!" keiner besonderen Begründung und keines bestimmten "Sinns" mehr bedarf. Sterben, und das in Massen, kannst du überall und jederzeit, und wenn dein Flieger nicht wegen vermeintlich fanatasierender Islamisten vom Himmel fällt, dann halt womöglich nur wegen eines depressiven Germanwings-Piloten. Und wenn du dich von allem Unbill der weiten Welt schützen und deine Zeit lieber beschaulich auf dem heimischen Chrsitkindlmarkt zubringen willst, dann erwischt dich halt dort ein anderer Verrückter mit seinem gestohlenen 20-Tonner.
In einer derartigen Welt ist das Wort "Sicherheit" natürlich völlig fehl am Platz und wirkt angesichts der sich wiederholenden Ereignisse selbst in politischen Sonntagsreden schon arg naiv. Aber die Politik muss das halt als an sie selbst gestellte Forderung aufrechterhalten, denn wenn man nicht mal mehr den Schutz von Leib und Leben von ihr erwarten darf, was denn sonst? Alles nur Wunschdenken, klar, die Sicherheitsvorkehrungen sind heute so hoch wie nie zuvor, dennoch passieren die Massaker immer und überall. Die Sicherheitsvorkehrungen mögen auch evoluieren, aber das können bewiesenermaßen die Massakerproduzenten auch. Also hoffnungslos. Die "Kontingenz" ist zurück, wie Soziologen wohl sagen würden, mitten im Leben, und das mit Karacho.
Was spendet Trost? In der Tat eine Prise Buddhismus (oder auch hinduistisches Tantra, je nach Geschmack). Nach dem Motto: Lebe jetzt! Klingt banal, empfindet jeder als abgedroschen, ist es aber keineswegs. Und wenn dieser ganze Terrorwahnsinn überhaupt für irgendwas gut ist dann möglicherweise für die Erkenntnis, dass man besser im Jetzt leben sollte weil es ein Morgen womöglich nicht gibt.