Ergänzung dazu

Rheingold2, Montag, 11.09.2023, 10:18 (vor 467 Tagen) @ Plancius2316 Views

Ich war von 1968 bis 1982 Gast bei der Familie Schmitz-Malberg auf Schloß Malberg in der Eifel.

https://www.schloss-malberg.de/start

Das Dorf war in den 60er Jahren so, wie es alle Klischees erzählen.
Witwen erkannte man daran, dass sie ganz in schwarz gekleidet waren, überall gab es das Dorf-Dööfchen, das einen am Ortseingang begrüßte, Misthaufen gab es, Kopfsteingepflaster, ein Postbus, der zwei Mal täglich die Dorfbewohner in die nächstgrößere "Stadt" Kyllburg brachte, denn dort war ein verschlafener Bahnhof, natürlich üppig mit Fahrkartenverkäufer, Schrankenwärter usw. besetzt.

Die Töchter verdingten sich als Mägde auf dem Schloß, ein Knecht kümmerte sich um das Vieh, drumherum wurde Landwirtschaft betrieben.

Dann kamen die Strukturmaßnahmen.

Erst einmal wurden die Wälder für die seinerzeit modischen Trimm-Dich-Pfade zerschnitten, das Kopfsteinpflaster zugunsten einer Asphaltierung aufgegeben, die Bäche zugeschüttet oder kanalisiert.

Malberg gewann jedes Jahr den "Schönheitswettbewerb" der Dörfer, weil sie besonders konsequent waren. :-)

Die großen malerischen Scheunentore durch Industrietore ersetzt, die Holzfenster durch Plastikgedöns, die Hausfassaden aus regionalem Steinbruch mit modischer Übertünchung gleich gemacht.

Eine geförderte Fabrik eröffnete. Die Bauern wurden so Fabrikarbeiter und Nebenerwerbslandwirte. Man hörte den ganzen Tag die Schmerzensrufe der aus Zeitmangel nicht rechtzeitig gemolkenen Kühe.

Bald hatten mehr und mehr Leute Autos und wurden mobil. Die Gaststätte schloß mangels Publikum. Die Jugend wanderte ab.

Als dann vor der Schloßeinfahrt eine mächtige Straßenlaterne aufgebaut wurde, war es vorbei mit den phantastischen Nachthimmeln, vorbei mit den Schwärmen von Glühwürmchen.

Eine Weile leistete der Sohn des Schlosses Christoph Widerstand und zerschoß nachts heimlich mit einem Blasrohr die Glühbirnen der Straßenlaterne.

Lange drohte der Bau einer Autobahn quer durch das Panorama.

Zwiegespalten beobachtete ich diese Entwicklung.

Einerseits ruinierte das Dorf seine Identität, es zerstörte seine Geschichte, es wurde häßlich und gesichtslos,

andererseits wurde mir auch die gesellschaftliche Standeskluft deutlich, die uns "gebildete" Städter von den Bauern trennte.
Deren fehlende Mobilität und Bildungschancen sicherte uns das gewünschte Erholungspanorama mit preiswerten Mägden, Zimmermädchen und Knechten. Wir empfanden das "alte" Dorf idyllisch und erholsam und gingen respektvoll von oben herab (wir redeten sie mit Vornamen an) mit den Ureinwohnern um, die sichtlich Mühe hatten, sich auf Hochdeutsch mit uns zu verständigen, sprachen sie doch ein Eifeler Platt, das eher dem Letzenburgischem nahe war.


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