Wir müssen wieder lügen lernen

Miesepeter, Donnerstag, 18.11.2021, 11:45 (vor 895 Tagen) @ Taurec2580 Views
bearbeitet von Miesepeter, Donnerstag, 18.11.2021, 11:52

Der einzige Weg ist der Blick nach vorne und die Überlegung, welche Formen des Lebens in Zukunft überhaupt noch möglich sein werden, und zwar unter Hinterfragung und notwendigenfalls Ablegung all dessen, was man aus der Vergangenheit als "normal" in persönliche dogmatische Glaubenssätzen übernommen hat. Niemals hat die Geschichte stillgestanden. Das kann sie gar nicht. Die Funktionäre des Systems zwingen uns diesen Wandel auf, nicht etwa weil sie es so beschlossen hätten, sondern weil er tatsächlich alternativlos ist. Sie tun es allerdings nach ihren Vorstellungen. Statt zu bremsen, was nicht gestoppt werden kann, wäre es sinnvoller, die Lage (und sich selbst) zu erkennen und nach der pseudoreligiösen Floskel der Systemideologen den "Wandel zu gestalten" oder besser – männlich-aktiver – den Tiger zu reiten und das Heft zur Gestaltung des eigenen Schicksals wieder (oder zum ersten Male im Leben) in die Hand zu bekommen.

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Nur: da das System nun in eine Phase eingetreten ist, in dem es mit eisernem Zwang die Entropie an den Rändern verringern und Entscheidungen zentralisieren muss, um nicht auseinanderzufallen, ändern sich auch die Spielregeln. Die Machtkonzessionen der Demokratie werden rückgängig gemacht, anstatt der individuell-freiheitlichen Rhetorik übernimmt die Narrative der utilitaristischen Gesamtverantwortung und gesellschaftlichen Solidarität - also der zentralistischen, politischen Entscheidungsfindung anstelle des atomistischen, marktwirtschaftlichen Modells.

Dort, wo also vorher erfolgreich war, was/wer in einem atomistischen Modell viele individuelle Entscheidungsprozesse im eigenen Sinne beeinflussen konnte, bedeutet Gestaltung nunmehr, politischen Einfluss auf die übergeordneten Gremien zu nehmen, welche gesamtgesellschaftlich die Entscheidungen treffen - oder in ihrem Fahrwasser mitzuschwimmen.

Um in politischen Gesellschaften erfolgreich zu bestehen, muss man gut lügen und betrügen können, denn dies sind die humansten, und zugleich wirkungsvollsten Mittel der Politik.

Man kann es auch in der augenblicklichen Transformationsphase sehr gut erkennen. Mit dreist vorgetragenen Lügen treibt die Politik die Entwicklung voran, die Richtigstellungen der vielen Lügen gehen völlig unter in der Kakophonie der Halb- und Unwahrheiten. Unerbitterlich treibt die Lüge das Geschehen voran und das Volk vor sich her.

Eine zentralisierte Staatswirtschaft, ein Comeback der Politik bedeutet insbesondere die Renaissance der Lüge und des Betrugs. "Den Wandel gestalten" oder "den Tiger reiten" beinhaltet entsprechend, selbst politisch zu agieren, und das heisst, sich der Mittel der Politik zu bedienen.

Der Totalitarismus erzwingt Flucht oder Unterwerfung, wer den Tiger reiten will, muss sich ihm zuerst unterwerfen - eine gelogene Unterwerfung natürlich. Ein historisches Beispiel ist der Aufstieg Putins zur Macht, der seine Gegner im Glauben liess, er sei ein willfähriges Instrument in ihren Händen - bis er die Zentralmacht in seinen Händen hielt. Danach konnte er sie aus dem Weg räumen.

In diesem Forum suchen Menschen nach Wahrheiten unter dem immer wilder werdenden Bombardement der Lügen, um die kognitiven Dissonanzen, die sich aus der Spannung zwischen vermuteter Wahrheit und der wahrgenommen Allgegenwart der Lügen ergibt, aufzulösen. So hechelt auch dieses Forum permanent der von den politischen Protagonisten gesetzten und ausgespielten Agenda hinterher, ohne sie je einzuholen oder selbst irgendeine gestalterische Wirkung zu entfalten.

Wer in einer politischen Gesellschaft etwas gestalten will, muss gut lügen und betrügen können. Wahrheit ist in einer solchen Gesellschaft zu langsam, ineffektiv und zu passiv im immer neuen Stakkato der Unwahrheiten. Allerdings wirkt sie auch subversiv, denn die Zweifel werden irgendwann, wenn auch die eiserne Klammer des zentralistischen Modells die systemischen Fliehkräfte nicht mehr wird zurückhalten können, die staatliche Kontrolle erodieren.

Aber das ist eine andere Zeit.

Gruss,
mp


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