Stimmungsbild in der Wirtschaft - Beispiel aus dem Hotel- und Gaststättengewerbe

Plancius, Sonntag, 13.12.2020, 15:41 (vor 1230 Tagen)5908 Views

Pünktlich zum harten Lockdown ab kommendem Mittwoch - hier die Stimmungslage im Hotel-/Gaststättengewerbe anhand eines Beispiels.

Einer meiner Freunde betreibt mit seiner Frau ein Hotel mit Restaurant im Bergischen Land. Er ist als junger Mann in den 80er Jahren aus der DDR per Ausreiseantrag in den Westen übergesiedelt. Als ausgesprochener Antikommunist ist er strammer CDU-Wähler und nach wie vor ein Fan von Angela Merkel.

Seine Frau hat ein Hotel mit Restaurant in dritter Generation übernommen. Hotel und Restaurant wurden in den letzten beiden Jahrzehnten immer wieder modernisiert und ein Gästehaus mit weiteren Zimmern und Ferienwohnungen wurde angebaut. Beide betreiben ihr Unternehmen aus Leidenschaft. Das Restaurant ist in normalen Zeiten immer gut gefüllt und der Saal langfristig mit größeren Gesellschaften ausgebucht.

Der erste Lockdown im Frühjahr hat sie ziemlich unvorbereitet getroffen. Sie haben die Wochen dann kurzerhand vorwiegend mit vorgezogenen Malerarbeiten in Hotel und Restaurant in Eigenregie genutzt.

In den Sommermonaten war der Umsatz im Restaurant höher als im vergangenen Jahr, was im wesentlichen auf eine gestiegene Anzahl an Wandertouristen im Bergischen Land zurückzuführen ist. Auch Hotel und Ferienwohnungen waren im Sommer sehr gut belegt, weil die Leute mehr als sonst ihren Urlaub im Inland verbrachten. Weil die Messegäste aus dem nahe gelegenen Köln jedoch wegfielen und auch die hohen Messepreise am Markt nicht durchsetzbar waren, bleibt das Übernachtungsgeschäft mit einem dicken Minus in diesem Jahr stehen.

Ein weiterer großer Minusposten ist das stark reduzierte Geschäft mit Gesellschaften im Saal. Von Mai bis Oktober hat man lediglich 3 Hochzeiten ausgerichtet. Und auch bei diesen Hochzeiten bleib die Hälfte der Gäste der Feier fern, weil sie Angst vor eine Corona-Infektion hatten. Auch die Vereine, wie der Chor oder der Theaterverein kamen nicht mehr zu ihren regelmäßigen Terminen, die Firmen richteten keine Feiern mehr aus.

Anfang September erkrankte eine polnische Angestellte nach ihrem Heimaturlaub an Corona. Daraufhin blieb aus Angst vor eine Corona-Infektion mehr als die Hälfte des Personals zu Hause und erschien nicht mehr auf Arbeit. Daraufhin hat man das Hotel geschlossen und betrieb mit der reduzierten Belegschaft nur noch das Restaurant weiter.

Da man schon im Sommer mit einer zweiten Welle rechnete, war man auf den zweiten Lockdown ab Anfang November besser vorbereitet. Man plante umfassende Renovierungen im Hotel. Allerdings waren keine Handwerker aufzutreiben, weshalb man pensionierte Handwerker aus der Umgebung anheuerte. Das Personal wird jetzt im zweiten Lockdown soweit es geht als Hilfskräfte bzw. Handlanger bei der Renovierung weiter beschäftigt.

Mein Freund und seine Frau stehen nach wie vor fest hinter Merkel und den Corona-Maßnahmen der Regierung, auch wenn sie im Hotel-/Gaststättengewerbe ein dickes Umsatzminus für dieses Jahr aufweisen. Die Erstattung von 75% des Vorjahresumsatzes seitens des Staates macht jedoch einen Teil des Umsatzverlustes wieder wett, insbesondere weil sie die aktuelle Renovierungsarbeiten faktisch vom Staat bezahlt bekommen. Denn sie brauchen ihr Hotel nicht extra zu schließen, wo sie den Umsatzverlust zu 100% selbst tragen müssten.

Mein Freund und seine Frau sind typische Vertreter des familiengeführten, deutschen Mittelstandes, die hart arbeiten, Motoren unseres Wohlstands sind, grundehrlich und tugendhaft sind, ihre Angestellten fair behandeln, ihr Business mit Leidenschaft betreiben, sich in ihrer Gemeinde zum Vorteil aller engagieren. Sie sind aber auch sehr staatsgläubig, schenken Politik und Medien ihr Vertrauen, sind zutiefst vom demokratischen Charakter unseres Staatswesens überzeugt und diffamieren jeden, der ihrem Narrativ widerspricht als rechts und natzieh.

Auch ich muss mich mit politischen Äußerungen meinem Freund gegenüber zurückhalten, er kennt meine systemkritischen Ansichten, toleriert sie nur unserer Freundschaft wegen, ich fange ihm gegenüber aber keine politischen Themen an. Es bringt nichts, sich mit der Mehrheit der Menschen zu zerstreiten. Ich bin mit meiner Meinung nach wie vor in einer Minderheitenposition und muss das akzeptieren.

Der springende Punkt, weshalb die Mehrheit der Leute meines Erachtens noch hinter Merkel steht ist folgender. Der Mittelstand, das wirtschaftliche Rückgrat unseres Staatswesens, wie auch die meisten abhängig Beschäftigten, auch Künstler usw. eingeschlossen, sitzen auf einem gut gefüllten Geldsack oder werden vom Staat über Coronahilfen, Kurzarbeitergeld usw. ausreichend gepampert. Für viele - gerade hier in einem debitistischen Forum - ist es schwer sich vorzustellen, dass der Mittelstand nach einer jahrzehntelangen Aufschwungphase auf einem großen Berg an Eigenkapital sitzt.

Auch der Familienbetrieb meines Freundes ist nicht auf Kredite angewiesen. Sie können schon seit Jahrzehnten alle Ausgaben aus Eigenkapital bestreiten, was sich kontinuierlich vermehrt hat. Ähnlich sieht es bei vielen anderen alteingesessenen Unternehmen aus - sie sitzen auf Bergen voller Geld und können die Coronakrise - wenn sie im überschaubaren zeitlichen Rahmen bleibt - locker aussitzen. Die Leidtragenden sind neu gegründete Firmen oder Kapitalgesellschaften, deren Eigentümer die Firma ausgesaugt und mit Schulden beladen haben.

Auch im Immobilienbereich ist es längst nicht so, dass die Leute bei einem wirtschaftlichen Abschwung ihre Häuser los werden. Immobilienmakler können ein Lied davon singen, wie viele Immobilien heutzutage cash bezahlt werden.
Ich glaube, zu einer ernsten Staatskrise wird es erst kommen, wenn es einen Finanzkollaps gibt und die Geldvermögen vernichtet werden.

Gruß Plancius

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"Natürlicher Verstand kann fast jeden Grad an Bildung ersetzen, aber keine Bildung den natürlichen Verstand." ARTHUR SCHOPENHAUER


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