Antwort
Hallo Oblomow,
Wir spielen uns selbst ständig uns selbst vor, um Boden unter die Füße zu kriegen. Und sogar das Schreiben in einem Forum gehört dazu, indem wir das vorgespielte Weltverständnis als Realität verteidigen und was nicht passt, wird passend gemacht. Logo(s)! Ich würde uns also vermutlich eher als Fallende beschreiben, die auf Teufel komm raus Boden unter den Füßen gewinnen wollen, weil wir einen nichtexistierenden Aufprall befürchten. Der Gedanke an den befürchteten Aufprall ist mächtiger als der niemals kommende Aufprall selbst. Insofern gibt eine Maske die Illusion von Sicherheit und hat genau darin ihren einzigen Wert. Die Pointe ist, dass die Maske das wahre Gesicht zeigt, nämlich das Gesicht der kaschierten Angst. Man könnte auf die Maske einen Jokermund aufmalen, dann würde alles stimmen.
Ja, die Verfolgungsjagd des nichtexistierenden Aufpralls, des Gedanken an das Scheitern, der Angst davor losgelassen zu werden, das Zuhause nie zu erreichen, niemals mehr eine Balance zu finden. Oder anders ausgedrückt: Der Grund weshalb Menschen anfangen zu rauchen, Minuten-Eskapismus vor den Folgen der Tyrannei und Zurückgelassenheit (The Leftovers, Zizeks Geheimtip während eines Vortrags 2017 zum Weiterdenken dessen, was global gerade mit uns medial angetrieben passiert).
https://www.nzz.ch/feuilleton/die-wahren-zurueckgelassenen-werden-aufbegehren-ld.1337956
Baudrillard habe ich nicht gelesen, mir erscheint aber schlüssig, dass es gerade um eine komplette Löschung der Festplatte geht und wir also zunächst ins Nichts fallen, was wir sowieso schon immer taten. Aber keine Bange, die Übermenschen programmieren schon fleißig. Ich beziehe mich da eher auf Nietzsche und dessen Umwerthung (Umprogrammierung) aller Werte, die der Unzeitgemäße eben vor 140 Jahren angekündigt hat und zum Verschwinden des Menschen, wie wir ihn kannten, führt. Nur ein Gott kann uns noch retten. Blub. Ich gehe jetzt laufen. Der Boden im Wald ist gerade schön weich vom Regen.
Die Umwertung aller Werte bedingt das Simulakrum eines äußeren, von allen Einflüssen des Umschlags unabhängigen Beobachters bzw. Programmieres. Den gibt es aber in Wirklichkeit nicht, den hat sich der Nitzsche zum Erbau seines die Umschlagung vorhersehen könnenden Gedankengebäudes nur ausgedacht.
Die wachsende Tyrannei der Echtzeit, das zunehmende Spektakelbombardement, wird jeden Wert, jedes halten müssen einer Bedeutung zur Implosion zwingen, wird das Ende des Begreifens, des Willens zur Bewertung bzw. des Umwerten könnens, mit sich bringen. Es wird von Zeit zu Zeit immer schlimmer werden. Zumindest solange, wie man die erdrückende Realität, angefangen bei den das Selbst betreffenden Fragen bis hin zu den global konsumierbaren "Geschichten ohne wirklichen Inhalt" (Covid-19, Weltwirtschaftskrise, Kriege, Umbrüche) nicht als eine unsere, auf die unmittelbaren Systemelemente Einfluss nehmenden Potentiale, fesselnde Simulation begreift.
Ich vermute, dass ich Deinen Text garnicht verstanden habe, bitte um Pardon, wollte aber dennoch antworten, weil ich bei allem Spott Deinen Stil und Deine Sprachspiele schätze und mich freue, dass du hier schreibst.
Spott habe ich auch oft genug über gehabt. Freut mich, dass dich meine Gedanken trotz des zugegebener Maßen schwer erkennbaren roten Fadens interessieren. Deine Texte sind auch interessanter geworden. Was eine Entschuldigung, das Loslassen, alles bewirken kann.
Herzlichst,
Ashitaka
Da aus Spott in anderen Foren sehr schnell Hass erwächst: Die innerliche Zerissenheit der meisten Menschen wird uns in Zukunft, wie Zizek es richtig beschrieben hat, dazu zwingen alles und jeden der eine, aufgrund der Tyrannei der Echtzeit für uns zeitlich nicht mehr nachvollziehbare, nicht vollständig verkostbare Wertvorstellung vertritt, als Faschisten in den Abgrund zu stoßen und ihm/ihr den argumentativen Tod zu wünschen ("cancel arguments").
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Der Ursprung aller Macht ist das Wort. Das gesprochene Wort als
Quell jeglicher Ordnung. Wer das Wort neu ordnet, der versteht wie
die Welt im Innersten funktioniert.