zum abgeschafften Geld

Eugippius, Dienstag, 04.04.2017, 14:39 (vor 2789 Tagen) @ nereus6013 Views

Eine Frage habe ich zu dem abgeschafften Geld.

Wie wurde das bewerkstelligt?
Offiziell gab es den libyschen Dinar seit der Machtübernahme des Oberst
Anfang der Siebziger.
Es gab auch am Ende seiner Ära über 1,5 Millionen Gastarbeiter.
Die mußten doch irgendwie bezahlt werden.

Beschränkte sich das kostenfreie Verteilen auf bestimmte Lebensbereiche
und Waren? Ganz ohne Kohle kann es doch nicht wirklich abgelaufen sein. Wie
zahlte man in der Teestube oder am Basar?

Ich schreibe aus meiner Erinnerung, ohne jetzt genaue Daten nachgeschlagen zu haben: Ich war gerade anfangs der 80er Jahre in unserem Büro in Tripolis, als an einem ganz normalen Arbeitstag am frühen Nachmittag in den arabischsprachigen Nachrichten durchgegeben wurde, dass mit sofortiger Wirkung die gegenwärtige Währung außer Kraft gesetzt und damit wertlos wäre. Unser Büromanager raffte sofort alles vorhandene Bargeld zusammen und kaufte damit bei einer nahe gelegenen Lufthansa-Niederlassung Tickets (open). Weil man dort noch nichts von der Nachricht gehört hatte, war das problemlos möglich; die Tickets wurden später umgetauscht oder abgeflogen.

Abends kam dann in den Nachrichten: Weil sich einige Leute im Staatsapparat schamlos bereichert hätten, und weil im Übrigen für die Organisation des Zusammenlebens im Jamahiriya kein Geld erforderlich wäre, weil ja jeder mit den zum Leben notwendigen Gütern ohnehin versorgt werde, könne das Geld jetzt abgeschafft werden. Für eine kurze Übergangszeit würden nun noch neue Banknoten eingeführt, die aber auch bald verschwinden sollten.

Das bisherige Geld verlor seinen Wert nicht ganz, sondern sollte auf spezielle Konten eingezahlt werden, von denen es vielleicht irgendwann unter noch festzulegenden Bedingungen auch wieder abgehoben werden könnte. Jede Person konnte am nächsten Tag einen geringen Betrag (umgerechnet etwa 20 DM) als Anfangsausstattung erhalten.

Was mit den Konten von Firmen geschah weiß ich nicht, aber irgendwie blieb das Kapital erhalten. Es entstanden aber zunächst Problem, das Tagesgeschäft ganz ohne Bargeld weiter zu führen. Unsere Firma beschloss nach einiger Überlegung, zunächst die weiblichen Angestellten um einen Kredit zu bitten, weil die Schlangen vor den Banken (für Frauen und Männer getrennt aufgestellt) für Männer länger als für Frauen waren. Die Frauen wurden in einen Bus gepackt und zur Bank mit der kürzesten Frauen-Schlange gefahren ...

Es gab bald Nachrichten, dass z.B. am Strand Säcke gefüllt mit Bargeld gefunden wurden, aber viele Leute haben tatsächlich ihr Geld auf die neuen Konten eingezahlt. Nach einigen Monaten wurde dann nach dem Ursprung der eingezahlten Beträge geforscht, z.B. wenn ein Projektdirektor ein mehrfaches seiner Jahreseinkünfte eingezahlt hatte, also Beträge, die er legal nur schwer eingenommen haben konnte (ohne Glückspiel, Pferderennen, Nebenbeschäftigung etc.)

Gleichzeitig wurde der private Handel verboten. Der Basar in Tripolis war geschlossen und leer; einige Ladenbesitzer drehten durch, tanzten durch die Straßen, erschienen verrückt und sangen Loblieder auf das Regime.

Für die Versorgung gab es neu eröffnete Selbstbedienungsläden (so etwas gab es vorher nicht), in denen grundlegende Güter des täglichen Bedarfs in großer Menge zu ganz niedrigen Preisen (praktisch umsonst) zu haben waren. Trotzdem bemühten sich vor allem ältere Frauen unter ihren weiten Schleiern versteckt ganze Schachteln mit Waren zwischen die Beine geklemmt an den Kassen vorbei zu schleusen. Das Personal der Läden bestand aus ganz jungen Leuten, vielleicht noch Schülern und Schülerinnen, die eigentlich nur versuchten, die Ordnung einigermaßen aufrecht zu erhalten und am wirtschaftlichen Erfolg (wie auch?) nicht besonders interessiert waren und nicht wagten, die Frauen näher zu untersuchen.

Ich persönlich hatte ohnehin nur einen geringen Betrag in libyscher Währung, so dass mir durch den Umtausch kein Schaden entstand.

Wie zu erwarten konnte von den eingerichteten Konten mit der alten Währung kein Geld mehr abgehoben werde, mit einer Ausnahme: Bei einer Hochzeit war es möglich einen gewissen Betrag von dem alten Konto abzuheben. Weil nun Scheidung und Hochzeit im Islam leichter fallen und auch mehrfache Eheschließungen möglich sind, hat das zu einer stark steigenden Anzahl von Hochzeiten geführt, erkennbar an fast ununterbrochenen hupenden Autocorsos.

Nach einigen Monaten began die allgemeine Begeisterung für die Selbstbedienungsläden wieder abzuflauen, erste private Geschäfte öffneten wieder (soweit sie nicht in der Zwischenzeit abgerissen worden waren), und bald war alles wieder wie vorher.

Was davon zurückblieb: stark subventionierte Preise für Grundnahrungsmittel (Tee, Zucker, Brot). Für die kleinste Banknote (0,25 Dinar, damals weniger als 0,5 €) konnte man 12 Brote kaufen, und weil es nur wenige kleinere Münzen gab, war das auch die kleinste Menge, die man normalerweise kaufen konnte (wir haben uns mit unserem Bäcker arangiert und jeweils nur 6 Brote mitgenommen und dafür nur jedes 2. mal bezahlt). Viele Leute haben zuhause eine kleine Hühnerfarm unterhalten, wo sie das billige Brot verfüttert haben. Tee und Zucker wurden nach Tunesien, Algerien, Niger und Tschad geschmuggelt, was wieder zum zeitweiligen Verbot von Allrad-Geländewagen führte ...


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