Einige deiner Angaben stimmen sicher nicht
Hallo Literaturhinweis, einige deiner Angaben stimmen sicher nicht.
Ich weiß ja nicht aus welchen Quellen du dein Wissen beziehst, warst du überhaupt jemals in Libyen? Ich habe über 30 Jahre immer wieder Libyen besucht und kenne das Land längs der Mittelmeerküste von Sabratha bis Bengasi und in den Süden über die Sokna Oasen bis Sebha, Murzuq, Gatrun, bis Aouzou, das jetzt ja im Tschad liegt. Anfangs waren es wilde Jahre, die sich aber kaum bis Europa herumgesprochen habe: Die staatliche Doktrin war: Das Haus gehört seinen Bewohnern, und entsprechend hat niemand Miete bezahlt. Und noch mehr: Wenn ein Haus unbewohnt war, sind ganz einfach irgendwelche Leute eingezogen und haben das Haus als ihren Besitz erklärt. Ich habe noch viele Jahre später Leute getroffen, die zu diesem Zeitpunkt in den USA studiert haben und auf diese Weise, weil nicht anwesend, ihr Haus verloren haben.
Gleichzeitig wurden eine Vielzahl von Landwirtschaftsprojekten errichtet, und jeder, der wollte, konnte tatsächlich eine vollständig eingerichtete Farm übernehmen; es hat sich aber herausgestellt, dass das zumeist nicht Libyer waren, sondern Palästinenser oder andere Zugewanderte, die als Bauarbeiter bereits bei der Errichtung der landwirtschaftlichen Projekte mitgearbeitet hatten und dieses Angebot angenommen haben. Ob die Leute nun für den Elektrizitätsanschluss bezahlt haben oder Steuern entrichtet haben kann ich nicht sicher sagen, aber ich gebe zu bedenken: Wie hätten diese Zahlungen nachverfolgt werden sollen? In Libyen gibt es kein Meldesystem und keine Postanschriften. Wer Post erwartet, läßt sich die Post zu einem Postfach liefern und holt die Post ab oder auch nicht. Die Postfächer sind keinen Personen zugeordnet und eine Rückverfolgung ausgeschlossen. Wie sollte die Elektrizitätsgesellschaft oder der Steuereinzug feststellen, wer nun wo gerade wieviel bezahlen muß? Wie soll überhaupt der Staat von sich aus mit den Leuten in persönlichen Kontakt treten? (Exkurs: Ein ähnliches Problem tritt bei der Verfolgung von Falschparkern auf: Wo wohnen die Fahrer der Fahrzeuge, wie kann der Strafbefehl zugestellt werden? Libysche Lösung: Die Polizei montiert die Nummernschilder ab, die Fahrer melden sich dann schon).
Ich habe in dieser Zeit viel erlebt (z.B. die Abschaffung des Geldes - Motto: Jedem nach seinen Bedürfnissen) - die Grundversorgung wurde über staatliche Geschäfte aufrechterhalten, die die Waren gegen einen nur nominalen Betrag abgegeben haben. Ein Beispiel, das mich damals selbst beeindruckt hat: Ein kleiner Marktflecken mittem in der Wüste, es kommt ein Tiefkühl-Lkw, öffnet seine Türen und verschenkt gefrorene Seefische an die Umstehenden (die solche Fische noch nie zuvor gesehen haben). Ich war zuvor einige Jahre in Nigeria, bei vergleichbarem staatlichen Öl-Einkommen ist dort jedenfalls wesentlich weniger bei der einfachen Bevölkerung angekommen.
Ich kann nicht auf jeden einzelnen Punkt eingehen, aber ja, die Behandlung in den Krankenhäusern war umsonst (ich war selbst in Behandlung und kenne auch eine Reihe anderer Patienten). Allerdings bestand die medikamentöse Behandlung nicht in der Abgabe von Tabletten, sondern hauptsächlich aus Injektionen, wohl um nicht wirklich ernstlich Kranke abzuschrecken. Die Krankenhäuser in denen ich war wurden von Bulgarien betrieben und waren einwandfrei.
Was die Behandlung im Ausland betrifft: Ich kenne ein damals kinderloses libysches Ehepaar, das auf libysche Staatskosten monatelang in Deutschland behandelt wurde, um den Kinderwunsch zu erfüllen; das waren ganz normale Leute aus der Provinz. Mehr als das: Ich kenne Libyer, die mit Ausländerinnen verheiratet waren. Natürlich wollten diese Familien auch mal ihre Verwandten im Ausland (hier: Südamerika) besuchen, und der Staat hat auch das bezahlt: natürlich, wie hätten die Leute denn sonst dahin kommen sollen, es gab doch offiziell kein Geld mehr ...
Dass im vorstehenden Beitrag am Man-Made-River-Project herumgemäkelt wird finde ich besonders ungerecht. Schließlich ist das Projekt da, kann in Google Maps besichtigt werden, und die ganzen Regionen um Tripolis und Sirt werden dadurch mit Trinkwasser versorgt. Immer noch. Was soll hier die Bemerkung mit Mao?
Durch einen Zufall hatte ich Einblick in die Pläne für einen von Ghadafis Bunkern in Tripolis. Es stimmt, neben den Wohnräumen gab es Versorgungseinrichtungen und eine voll eingerichtete Krankenstation mit Operationssaal. Damals hat mich das nicht überrascht, schließlich sollte der Bunker einem Atomschlag widerstehen (aber nur einem, wie mir der Planer anvertraute: eine zweite Atombombe an der gleichen Stelle wäre das Ende gewesen).
Es war auch nicht so, dass die Regierungsgewalt schrankenlos von Ghadafi selbst und seinem Clan ausgeübt wurde: No Democracy without Popular Congress (Wer noch einen Slogan braucht: Partners- not Wage Workers). Es gab den Volkskongress, in dem eigentlich jeder seine Meinung durch Vertreter äußern konnte. Zwar gab es keine Wahlen, sondern die Delegierten wurden durch für außenstehende Ausländer nicht zu durchschauende Regeln ermittelt. Manchmal äußerte der Volkskongress aber Wünsche, die auch Ghadafi nicht erfüllen konnte, zum Beispiel, als die Delegierten aus der Sahara ebenfalls ein Meer und einen Strand verlangten: In diesem Fall verwies er die Antragsteller an Allah.
Ich will hier nicht alles gut heißen, es gab eine Opposition, und in späteren Jahren ist wohl nicht alles nach der reinen Lehre verlaufen, mancher wurde mit einem Peugeot abgefunden obwohl er für sich eine Range Rover oder zumindest Land Cruiser erwartet hatte. Aber es gab überall Schulen, Bildung war umsonst, und z.B. bei den Bauingenieuren waren 50% der Absolventen Frauen, und für Frauen gab es keine staatlichen Beschränkungen. Die Gerüchte, die nun über Perversionen aller Art verbreitet werden, wären mir sicher schon zuvor zu Ohren gekommen, wenn etwas Wahres dran wäre.
Nicht in diesen Thread, aber anderswo wurde ein Auszug aus einem Buch besprochen, in dem ebenfalls über die armen Mädchen in den dunkeln, feuchten Kellern von Bab al-Azizya berichtet wurde. Ich kann nun dazu nicht viel beitragen, aber aus meinen Bodenuntersuchungen in dieser Gegend weiß ich: Feuchte Keller gibt es dort nicht.