Was mich an der Diskussion grandios ärgert:
Auch ich danke erstmal ganz herzlich für diesen Bericht. Es ist der erste (und einzige) inner-libysche Bericht in diesem Thread, der überhaupt Hand und Fuß hat.
Aber, was mich ärgert: erst erfrecht sich hier einer, einen VON A BIS Z GELOGENEN Bericht einzustellen, an dem KEIN PUNKT wahr ist. Er geht -erfunden vermutlich von entkommenen Gaddafi-Schergen, wem sonst?- darauf zurück, daß es ein angebliches UN- (!) -Dokument gebe, in dem das "berichtet" würde.
Ja, hallo? Sonst ist die UN etc. immer dafür gescholten worden, irgendwelche Brutkastenlügen zu stützen, jetzt, wenn erstens ersichtlich bei der UNO den Bericht überhaupt keiner kennt, ist er "wahr", weil man gerne glauben möchte, Gaddafi sei doch kein so schrecklicher Kerl gewesen?
Daher erst mal nur zu ein paar Details, denn auch Du argumentierst blauäugig:
Ich weiß ja nicht aus welchen Quellen du dein Wissen beziehst, warst du überhaupt jemals in Libyen?
Nein, aber ich habe mich sofort mit Gaddafi zu beschäftigen begonnen, als er putschte, habe dann sein grünes Buch gelesen und die Vorkommnisse verfolgt. Mir war auch bald klar, daß das so nicht funktionieren konnte, denn so etwas hat historisch nie funktioniert. Er hat nur etwas Glück gehabt, daß sein Experiment nicht gleich so geendet hat, wie in Venezuela unter Chavez, denn ... die Libyer, wie Du schön beschreibst, fingen "viel weiter unten" an, da ist die Fallhöhe eines sozialistischen Projekts nicht so hoch.
Anfangs waren es wilde Jahre, die sich aber kaum bis Europa herumgesprochen habe:
Doch, in linken Zirkeln sehr wohl, es gab auch Verbindungen dorthin und "Studiengruppen".
Die staatliche Doktrin war: Das Haus gehört seinen Bewohnern, und entsprechend hat niemand Miete bezahlt. Und noch mehr: Wenn ein Haus unbewohnt war, sind ganz einfach irgendwelche Leute eingezogen und haben das Haus als ihren Besitz erklärt.
Ja, das ist aber nicht das, was in dem Bericht behauptet wurde. So ähnlich hat es die DDR auch gehandhabt ...
Ich habe noch viele Jahre später Leute getroffen, die zu diesem Zeitpunkt in den USA studiert haben und auf diese Weise, weil nicht anwesend, ihr Haus verloren haben.
Ja, Großzügigkeit auf Kosten anderer nennt sich Sozialismus.
Gleichzeitig wurden eine Vielzahl von Landwirtschaftsprojekten errichtet, und jeder, der wollte, konnte tatsächlich eine vollständig eingerichtete Farm übernehmen;
Übernehmen. Das Modell Zimbabwe, stimmt's?
es hat sich aber herausgestellt, dass das zumeist nicht Libyer waren,
Ja, ja, wie hieß es in dem "Artikel"???
Ob die Leute nun für den Elektrizitätsanschluss bezahlt haben oder Steuern entrichtet haben kann ich nicht sicher sagen, aber ich gebe zu bedenken: Wie hätten diese Zahlungen nachverfolgt werden sollen?
Aha, auch das das Gegenteil des behaupteten:
a) Muß das dann bereits unter Idris so gewesen sein und ist damit keine Gaddafische Wohltat, sondern eben Schlendrian
und
b) ist das dann über kurz oder lang gar keine Stromversorgung mehr, weil irgendwer muß ja die Brennstoffe, die Wartung der Kraftwerke und der Leitungen bezahlen. Als Regel, die ich sogar aus Griechenland mit den Schwarzbauten kenne: irgendwann bricht das zusammen, denn eine nicht im Register vermerkte Leitung, an der offiziell kein zahlender Verbraucher hängt, wird nicht gewartet.
Auch hier wieder: das ist keine staatliche Segnung gewesen, das ergab sich halt so.
n Libyen gibt es kein Meldesystem und keine Postanschriften. Wer Post erwartet, läßt sich die Post zu einem Postfach liefern und holt die Post ab oder auch nicht. Die Postfächer sind keinen Personen zugeordnet und eine Rückverfolgung ausgeschlossen. Wie sollte die Elektrizitätsgesellschaft oder der Steuereinzug feststellen, wer nun wo gerade wieviel bezahlen muß? Wie soll überhaupt der Staat von sich aus mit den Leuten in persönlichen Kontakt treten?
Gegenfrage: wie sollte Gaddafi da auch nur eine einzige Wohltat "an den Mann gebracht" haben? Du verstehst schon, daß das die vorherigen Behaupter nicht stützt, sondern grandios unterminiert???
Ich habe in dieser Zeit viel erlebt (z.B. die Abschaffung des Geldes -
Indische Zustände also. Nochmal: dort gab es viele Nomaden, die hat das vorher nicht und hinterher nicht interessiert.
Motto: Jedem nach seinen Bedürfnissen) - die Grundversorgung wurde über staatliche Geschäfte aufrechterhalten, die die Waren gegen einen nur nominalen Betrag abgegeben haben.
Ja, das muß aber in den Anfängen gewesen sein, nach dem Furore mit dem grünen Buch, als selbst im Westen unter dem Eindruck von "Die Grenzen des Wachstums" sogar in ernsthaften Umwelt-Think-Tanks Gaddafis Ideen diskutiert wurden.
Ein Beispiel, das mich damals selbst beeindruckt hat: Ein kleiner Marktflecken mittem in der Wüste, es kommt ein Tiefkühl-Lkw, öffnet seine Türen und verschenkt gefrorene Seefische an die Umstehenden (die solche Fische noch nie zuvor gesehen haben).
Ja, kann sein, wir waren aber bei dem "UN-Bericht". Die Frage ist doch, wie lange das
a) aufrechterhalten werden konnte
und
b) ob das nicht ein ähnlich hirnrissiges Verhalten der Zentrale war, wie deutsche Entwicklungshilfe, mit der Ränder um Brunnen in Afrika mit Beton eingefaßt werden, worauf sich dann, nachdem der Troß weitergezogen ist, die Seile zum Wassereimer abscheuern und die Leute hinterher ohne Wasser dastehen. Wir hatten es aber von den gloriosen Behauptungen.
Ich war zuvor einige Jahre in Nigeria, bei vergleichbarem staatlichen Öl-Einkommen ist dort jedenfalls wesentlich weniger bei der einfachen Bevölkerung angekommen.
Das hat mit der dortigen Stammesgesellschaft zu tun. Gaddafi hat, das konzediere ich ihm, das konzediere ich aber auch Saddam Hussein, sich über die Stämme teil- und zeitweise erhoben und umverteilt.
Es ging darum, daß hier ein Dutzende-Punkte-Plan behauptet wurde, und der ist widerlegt, denn er war eine Erfindung.
Ich kann nicht auf jeden einzelnen Punkt eingehen, aber ja, die Behandlung in den Krankenhäusern war umsonst (ich war selbst in Behandlung und kenne auch eine Reihe anderer Patienten).
Wie in Großbritannien oder auch Irland ...
Allerdings bestand die medikamentöse Behandlung nicht in der Abgabe von Tabletten, sondern hauptsächlich aus Injektionen, wohl um nicht wirklich ernstlich Kranke abzuschrecken. Die Krankenhäuser in denen ich war wurden von Bulgarien betrieben und waren einwandfrei.
Ja, das ging ja weidlich durch die Presse, daß Gaddafi mit Ölgeld fremde ausländische Dienstleistungen einkaufte. Nach Jahrzehnten eines angeblich hochmodernen Bildungssystems: wo waren die einheimischen Ärzte und Pflegekräfte???
Gaddafi hat sich ja dann sehr bedankt bei den Bulgarinnen und damit vermutlich durch Ausländerflucht seinem eigenen Regime den Todesstoß versetzt.
Auch hier: alles Lügen und laue Luft.
Was die Behandlung im Ausland betrifft: Ich kenne ein damals kinderloses libysches Ehepaar, das auf libysche Staatskosten monatelang in Deutschland behandelt wurde, um den Kinderwunsch zu erfüllen;
Ich vermute, es waren Regimegegner. Da war er besonders großzügig.
das waren ganz normale Leute aus der Provinz. Mehr als das: Ich kenne Libyer, die mit Ausländerinnen verheiratet waren. Natürlich wollten diese Familien auch mal ihre Verwandten im Ausland (hier: Südamerika) besuchen, und der Staat hat auch das bezahlt: natürlich, wie hätten die Leute denn sonst dahin kommen sollen, es gab doch offiziell kein Geld mehr ...
Kann sein, aber das ist jetzt mal ausnahmsweise kein Punkt der Liste. Der Rest scheint widerlegt.
Dass im vorstehenden Beitrag am Man-Made-River-Project herumgemäkelt wird finde ich besonders ungerecht.
Das ist Dir unbenommen.
Schließlich ist das Projekt da, kann in Google Maps besichtigt werden, und die ganzen Regionen um Tripolis und Sirt werden dadurch mit Trinkwasser versorgt. Immer noch. Was soll hier die Bemerkung mit Mao?
Weil es, wie der Drei-Schluchten-Damm ein sozialistisches Großprojekt ist, dessen ökologische Rechnung demnächst präsentiert werden wird. Es ist einer gewissen Großmachtsucht und der Idee geschuldet, alles sei mit Technik und Geld machbar. Dazu gibt es Bedenken und Studien, aber hier muß ich noch um Geduld bitten, es wird noch Jahre oder Jahrzehnte dauern, bis das seine Wirkungen zeitigt, so, wie in Deutschland Elb- und Oderhochwasser auch nicht am nächsten Tag zuschlugen, als Auen versiegelt wurden.
DARUM mäkele ich daran herum. Die nächsten Jahrzehnte werden mr recht geben.
"Die angezapften Reservoire haben keine Zuflüsse, es handelt sich hier also um den Verbrauch einer nicht erneuerbaren Ressource." Gaddafi verschleudert die Zukunft seines Volkes.
Daß ich solche Propaganda ausgerechnet im debitistischen Gelben lesen muß, tut in Augen und Seele weh ...
Ich will hier nicht alles gut heißen, es gab eine Opposition, und in späteren Jahren ist wohl nicht alles nach der reinen Lehre verlaufen,
Das ist zwangsläufige Folge sozialistischer Experimente: Die Revolution frißt ihre Kinder.
Aber es gab überall Schulen, Bildung war umsonst, und z.B. bei den Bauingenieuren waren 50% der Absolventen Frauen, und für Frauen gab es keine staatlichen Beschränkungen.
Ja, das deckt sich mit Sowjetunion und China - dennoch zieht es dann erstaunlich viele ins Ausland.
Die Gerüchte, die nun über Perversionen aller Art verbreitet werden, wären mir sicher schon zuvor zu Ohren gekommen, wenn etwas Wahres dran wäre.
Da steht es meinetwegen unentschieden, auch wenn ich stark bezweifle, daß einem durchreisenden Ausländer in einem Land, wo dank Geheimpolizei die Wände Ohren haben, so etwas zugetragen würde. - Es ging aber drum, daß hier ein unverschämtes Lügendokument zitiert wurde, dessen Inhalt nach wie vor widerlegt ist.
Nicht in diesen Thread, aber anderswo wurde ein Auszug aus einem Buch besprochen, in dem ebenfalls über die armen Mädchen in den dunkeln, feuchten Kellern von Bab al-Azizya berichtet wurde. Ich kann nun dazu nicht viel beitragen, aber aus meinen Bodenuntersuchungen in dieser Gegend weiß ich: Feuchte Keller gibt es dort nicht.
Nachdem der Man-Made-River durchgeflossen ist, schon ...
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