Die 'Russische Föderation' als Zentralmachtordnung

Ostfriese, Montag, 24.10.2022, 08:47 (vor 555 Tagen) @ Plancius3126 Views

Hallo Plancius

So

Putin geht es gar nicht nur um die Ukraine. Das ist nur ein Teil des Problems.

ist es: Wir dürfen auf der Grundlage der debitistischen Gesetzmäßigkeiten das gegenwärtige Geschehen nicht außerhalb der längeren historischen Zusammenhänge interpretieren.

Das Schwedisches Reich hielt von 1611 bis 1721 mehrere bedeutende Provinzen im Raum der Ostsee außerhalb des eigentlichen Kernlandes in tributäre Abhängigkeit. Es ging um das ‘Dominium maris baltici’, die Herrschaft über das Baltische Meer – die Ostseeherrschaft. Rund einhundertfünfzig Jahre von 1558 bis 1721 dauerte das russische Ringen um die Herrschaft im Baltikum. Es handelte sich um das 'Zeitalter der Nordischen Kriege', das als eine eigenständige Geschichtsepoche im frühneuzeitlichen Osteuropa betrachtet wird. Es gelang Russland erst nach dem dritten, 'Großen Nordischen Krieg', im Baltikum dauerhaft Fuß zu fassen. Zar Peters Niederlage bei Narwa im November 1700 war ein wichtiger Anlass für eine umfassende Modernisierung der russischen Armee. Damit war der Grundstein für die Reichshauptstadt St. Petersburg gelegt. Bis zum Ersten Weltkrieg wurde dem Russischen Reich der Besitz der baltischen Provinzen nicht mehr streitig gemacht. Grund dafür war das preußisch–habsburgisch–russische Einvernehmen über die Bewahrung und Weiterentwicklung ihrer konvergierenden Machtinteressen. Dieser 'Allianz der drei schwarzen Adler' fiel am Ende des 18. Jahrhunderts die polnische Adelsrepublik durch Teilung zum Opfer, wodurch Preußen der Aufstieg zur europäischen Großmacht ermöglicht wurde. Das Einvernehmen der drei Großmächte garantierte aber auch, dass die russische Herrschaft über die baltischen Provinzen nicht ernsthaft in Frage gestellt wurde.

Das frühneuzeitliche Russland hat diese Grenze überwunden, indem es sich nach Westen ausdehnte. Für Russland hatte dabei das Baltikum auch die Funktion einer Brücke zur westeuropäischen Kultur. In der gegenwärtig entstehenden neuen europäischen Ordnung fällt den baltischen Staaten wieder eine vergleichbare Funktion zu. Weil Russland auch langfristig auf eine stabile Brücke nach Westeuropa angewiesen ist, könnte dies ein Ansatzpunkt sein, um die Unabhängigkeit der baltischen Staaten dauerhaft im Rahmen einer gemeinsam mit Russland und den NATO-Staaten entwickelten gesamteuropäischen Friedensordnung abzusichern.

https://www.owep.de/artikel/187-baltikum-russlands-bruecke-nach-europa

Nach dem Schlingern des US-Imperiums wird das russische Zentralmachtsystem (aktiv) auf der Grundlage seiner Zentralmachtordnung (passiv) Wolfram von Schelihas Ansatzpunkt nicht Genüge tun. Ich frage mich, ob sich das russische ZMS nach dem Ukraine-Krieg erneut dem ‘Dominium maris baltici’ und der Wiederherstellung des alten zaristischen Reiches mit der Einverleibung des Gebiets der heutigen Staaten Estland, Lettland, Litauen im Baltikum zuwenden wird. Paul C. Martins Erkenntnisse, dass es “der die Vorfinanzierung aller Entwicklungen notwendig machende Systemcode selbst ist” und dass das “Geld [] ein Kriegskind [ist], nichts anderes. Ist es groß und stark, wird es zum Kriegsvater” sind zu beherzigen.

Beide Weltkriege wurden 1914 und 1939 ausgelöst durch Sekundärereignisse an der Peripherie (Sarajevo, bzw. Danzig). Irgendwann sollte man doch auch einmal aus der Geschichte lernen.

Vielleicht wird Russland im Sinne des Satzes: “Russland ist überall dort, wo Russen leben” einen wohl 60 Kilometer langen eigentumsmäßig unter eigener Kontrolle stehenden Suwalki-Korridor vom Oblast Kaliningrad nach Belarus https://de.wikipedia.org/wiki/Suwalki-L%C3%BCcke verlangen, mit der Folge, dass die baltischen Staaten im Zangengriff Russlands landmäßig mit allen Konsequenzen von der EU getrennt werden.

Der in diesen Stunden erst so richtig ins Laufen kommende ukrainische Stellvertreterkrieg zwischen Russland und den Vereinigten Staaten kann nur mit Paul C. Martins Debitismus, dessen Kern die Machttheorie ist, verstanden werden. Letztendlich wird auch Deutschland seinen Preis zahlen.

Ich denke, dass er uns spätestens dann zu mehr Reflexion führen wird, wenn das russische Zentralmachtsystem mit der Aussage, dass “die Auflösung der UdSSR die größte Katastrophe des 20. Jh.” gewesen sei, seinen immer wieder angekündigten Anspruch auf die ganze Ukraine einschließlich Transnistriens, das formal Teil der Republik Moldau aber heute defacto politisch und wirtschaftlich von Russland abhängig ist, und letztendlich noch viel mehr, umsetzt. Welche Antworten hat die sich nicht allein selbst verteidigende gesamte EU auf die Herausforderungen der Zeit? Hat jeder einzelne Nationalstaat sie? Sind die Konsequenzen schon diskutiert worden, wenn die Frage in Bertholds, Brauns und Cobans Abhandlung "Das Scheitern historischer Währungsräume: Kann sich die Geschichte auch für die Eurozone wiederholen?" mit ja beantwortet werden muss?

Das Problem ist ja nicht die Erringung der Macht, sondern ihre Beibehaltung, was automatisch Expansion bedeutet. Dazu gehört auch, dass das Zentralmachtsystem sein Rechtssystem nach eigenem Gutdünken setzen und ändern kann, wenn es seiner umfassenden Herrschaft dient.

Paul C. Martin im Jahr 2001: “Ich halte den Versuch, ob es Sinn macht, aus der Vergangenheit zu lernen und das Gelernte von Generation zu Generation weiter zu reichen, damit sie eine Verbesserung der Lage aller Menschen, soweit ökonomisch definierbar, erreichen ließe, für gescheitert.”

Gruß - Ostfriese


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