die nähere und weitere Zukunft (@Waldläufer)
Werter Waldläufer,
ganz herzlichen Dank für Deinen Beitrag! Ähnlich wie bei der parallelen Antwort von NST habe ich auch bei Dir das Gefühl, dass Dich meine Frage interessiert und Du Dir selbst über eine Lösung schon ernsthaft Gedanken gemacht hast.
In den letzten 6000 Jahren hat die von mir aufgeworfene Fragestellung keine Rolle gespielt. Das System "STAAT & KAPITALMONOPOL" war die einzige real funktionierende Antwort, hat sich überall verbreitet und konnte sich in allen Varianten austoben. Denn die Zahl der Menschen blieb überschaubar, und die natürlichen Ressourcen des Planeten erschienen, gemessen an den noch bescheidenen technologischen Fähigkeiten des Menschen, unverwüstlich und nicht erschöpfbar. Seit etwa 100 Jahren ist die Situation dagegen eine komplett andere. Die technologische Kreativität, die ökonomische Kraftentfaltung (mit nachfolgender Bevölkerungsvermehrung) und die machtpolitische Konkurrenz der historisch gewachsenen 'Staats- und Kapitalkomplexe' (die Form, in der sich Menschengruppen überwiegend organisieren) haben uns alle in eine existentiell bedrohliche Situation gebracht. Es ist so viel Dampf im Kessel, dass eine Explosion im Bereich des Möglichen liegt.
Ich bin Optimist und sage mir, dass "die Geschichte des Menschen" (ist sie ein autonomes Subjekt?) keinen so langen Anlauf genommen hat, um sich in irgendeinen dunklen Abgrund zu stürzen. Ich vermute sehr, dass sie eine alternative und bessere Lösung anstrebt. Es erhebt sich dann sekundär die Frage, ob diese Lösung jetzt schon erkennbar ist - und ob ich selbst, nur ein winziges Schräubchen im riesigen Getriebe, etwas dazu beitragen könnte und sollte.
Im Augenblick erkenne ich zwei Problemfelder, die noch nicht bearbeitet sind. Erstens wäre es nötig, eine globale Solidarität herzustellen. Darunter verstehe ich die Erkenntnis sowie das Angebot und die Erwartung, dass eine Handlung hier in Deutschland einem anderen Menschen auf der gegenüberliegenden Seite der Erde, genaugenommen allen Menschen rund um den Globus nicht schaden darf. Das klingt jetzt sehr übertrieben, und ich ahne schon alle möglichen, diese Erwartung lächerlich machenden Kommentare. Aber tatsächlich ist das gegenwärtig schon die Realität: täglich sehe ich Leute in Sneakers und Hosen rumlaufen, die in China oder Bangladesh von Menschen unter unwürdigen und nicht ökologischen Bedingungen hergestellt wurden. Und umgekehrt darf eine jemenitische Familie von mir erwarten, dass ich hier in Deutschland mich dafür einsetze, dass die Rheinmetall AG (via verschachtelte Firmenstrukturen und vom Produktionsstandort in Sardinien aus) keine Raketen und Bomben an Saudi-Arabien verkauft. Eine solche Solidarität empfinde ich einerseits als eine Selbstverpflichtung, andererseits als Eintrittspreis für ein Leben in Gemeinschaft - was dann umgekehrt auch von anderen Menschen erwartet werden darf.
Lässt sich eine solche umfassende und weit gespannte Solidarität herstellen? Auf den ersten Blick eigentlich nicht! Wir haben aber in den letzten zwei Jahrzehnten Phänomene beobachtet, dass durch die neuen Medien (TV, Internet etc.) sich so große Menschzahlen an ein Ereignis binden (sogar emotional) - und sich zu Reaktionen motiviert fühlen, wie das bislang nicht denkbar schien. Zusammengefasst: ohne eine generelle Empfindung von allgemeiner Solidarität aller Menschen untereinander oder miteinander, lokal wie global, lässt sich kein Ausweg finden.
Noch viel schwieriger als die Frage nach einem grundlegenden und allumfassenden Gemeinschaftsgefühl und nach gegenseitigem Respekt ist die Frage, wie darauf bauend eine funktionsfähige Struktur für menschliches Wirtschaften und politisches Zusammenleben gefunden werden kann. Man macht einen solchen Entwurf auch nicht aus dem hohlen Bauch heraus, sondern muss sich an die aktuell bestehenden Strukturen anlehnen und diese als (eventuell ungünstigen) Ausgangspunkt nehmen. Ich könnte nun eine lange Liste aufzählen von Brettchen, die hier gebohrt werden müssen. Manchmal, wenn ich Ablenkung brauche, arbeite ich an einem eigenen Entwurf oder sammle Materialien dafür. Vielleicht ergibt sich nach der Rente mal die Möglichkeit ein Jahr dafür zu verwenden. Die Schwierigkeiten sind die folgenden:
Erstens blicken in bestimmten Bereichen offenbar nur ganz wenige Menschen wirklich durch. Und zweitens können diese wenigen dann ihre Mitmenschen nicht davon überzeugen, dass ihre Sichtweise optimal vernünftig und tragfähig ist. Sprich: wir können uns nicht koordinieren und können nicht miteinander kooperieren. Selbst dann nicht, wenn die "richtige" Lösung gefunden ist (z.B. Elektroauto oder Verbrenner ...). Ich halte es aber für denkbar, dass für einzelne Bereiche geschlossene und funktionsfähige Entwürfe erschaffen werden können (Wie sieht die Landwirtschaft, die Industrie, das Gesundheitssystem, der Verkehr, die militärische Balance der Zukunft aus?). Ich halte es sogar für denkbar, das so eingängig und klar darzustellen, dass es jedem Menschen auch ohne Fachstudium einsichtig gemacht werden kann. Denn wer eine solche Darstellung versucht, muss auf Interessen zunächst keine Rücksicht nehmen, allenfalls auf regionale geographische Spezifika.
(I) Alles, was ich bisher verargumentiert habe, unterstellt gewissermaßen, dass über sehr große Gruppen von Menschen hinweg eine einvernehmliche und gemeinschaftliche Lösung gefunden werden kann. Das ist eine Herausforderung in der Kommunikation (basierend auf einer eingangs skizzierten globalen Solidarität) sowie vom inhaltlichen Entwurf her: der Vorschlag eines funktionsfähigen und umfassenden Modells- und Masterplanes des globalen wirtschaftlichen und politischen Zusammenlebens.
[EINSCHUB: Das wäre quasi wie eine neue Verfassung und einen neuen Aktionsplan für die UN, jetzt aber die UN nicht mehr verstanden als Staatengemeinschaft sondern als Welt-Bürgergemeinschaft, und eine UN-Verfassung nicht mehr nur verstanden als Verfassung für den Bereich der internationalen Politik sondern auch als Grundverfassung für die einzelnen Sektoren der Politik, wie etwa die oben genannte Landwirtschaft, die Umwelt, das Geldsystem etc. etc. - wobei diese Arbeitsbereiche geographisch ausdifferenziert werden müssen. Aus dem Blickwinkel geschichtlicher Zyklen gibt es innerhalb der nächsten 20 Jahre tatsächlich ein Zeitfenster, in dem ein solches Projekt, so unmöglich es erscheint, in die Existenz gebracht werden könnte. Es würde zyklisch referieren auf die Umbrüche 1770ff, 1848ff und 1940ff, in denen ähnliche Vorgänge stattfanden.]
Selbstverständlich hat die menschliche Geschichte in der aktuellen Situation auch noch andere Optionen, die aktuell als genauso wahrscheinlich im Raume stehen. Davon zwei weitere will ich noch kurz anführen.
(II) Wir haben die Option des "Game Over", die ich hier auf dem Forum erst kennengelernt habe. Ich brauchte ein paar Tage, als ich anfangs hier mitlas,
bis ich verstanden hatte, was das Kürzel 'GO' bedeutet. Inzwischen taucht es nicht mehr so oft auf - vermutlich weil gegenwärtig viele hier davon träumen, dass Trump zusammen mit Putin und Xi und der AfD das Paradies auf Erden schaffen werden. Ich halte von der Option GO rein gar nichts. Sie widert mich an, und deshalb beschäftige ich mich erst gar nicht mir ihr. Es ist aber klar, dass gewisse Grade von GO regional notwendig sind (!), um sowohl das, was ich bisher umrissen habe, wie auch das, was ich nachfolgend beschreibe, umzusetzen.
(III) Die dritte Option ist, dass der Entwicklungsprozess "STAAT & KAPITAL" sich fortsetzt und quantitativ wie qualitativ ein neues Niveau erklimmt. Geopolitisch wird das so aussehen, dass die eurasiatische Landmasse zwischen China und dem Westen (Westen = US+EU+RU) aufgeteilt wird. Das läuft nach meiner Einschätzung auf eine bipolare Welt hinaus, vergleichbar der Situation den Jahrzehnten zwischen 1950 und 1990. Der chinesischen Mentalität und realen Wirtschaftskraft entsprechend wird es aber keinen verzehrenden Wettbewerb wie einst zwischen den USA und der UdSSR geben sondern eine Art friedliche Koexistenz. Die gesellschaftliche Schichtung innerhalb dieser beiden Blöcke wird darin bestehen, dass eine Eignetum haltenden und die wirtschaftlichen wie politischen Prozesse bestimmende Elite (=Herrschaftsschicht) von etwa 30% der Weltbevölkerung alles Geschehen dominieren wird (eigentliche Entscheider nur 5%), die die arbeitende und konsumierende Masse (70%) vollkommen kontrolliert und gesteuert knapp über deren Existenzminimum halten wird. Das chinesische wie auch das westliche System, beide dann vollkommen totalitär, werden in den Grundzügen einander dann sehr ähnlich sein.
Bis ein solch bipolares Kooperationssystem sich herausgebildet hat, wird es Dutzende Kriege hin und her geben. Deren Gesamtdauer schätze ich auf zwei Generationen. Selbstverständlich werden Hunderte von Millionen Menschen dabei sterben. Das ist aber aus Sicht derer, die diese Kriege führen werden, nicht weiters schlimm, da es ausreichend Menschen gibt. Es darf mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass in beiden Blöcken am Ende gewisse Umweltstandards durchgesetzt werden (schon aus Eigen- und Überlebensinteresse). Die Eliten und Herrschaftsschichten beider Blöcke werden dabei in ausgewählten und ganz besonders gepflegten Regionen leben, in die niemand reinkommt, der dort nicht rein soll. Das sind dies dann nicht mehr "protected communities" sondern ganze "protected states and regions". Im Laufe des Entwicklungsprozesses dieser Richtung werden dann von den beiden Blöcken die je benachbarten peripheren Gebiete unterworfen: von den USA das südliche gelegene Lateinamerika, von der EU das südliche gelegene Afrika, von der EU in Kooperation mit Westrussland der Nahe- und Mittlere Osten, von China gesamt Asien und Südasien. Selbst Länder wie Ägypten oder Brasilien werden dann kein eigens Militär mehr haben sondern nur noch interne "Ordnungskräfte".
Es gibt noch einige weitere Optionen der geschichtlichen Entwicklung, die ich aber nicht darzustellen brauche - ohnehin habe ich gestern und heute mein Schreibkonto (s.u.) völlig überzogen ...
Wünsche allseits eine gute neue Woche!
Weiner
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