Weltgeschichte ist nicht Moral …

Ostfriese, Samstag, 20.07.2024, 12:00 (vor 50 Tagen) @ Weiner1573 Views

Hallo Weiner

In den letzten Tagen gab es hier auch einen Dialog mit Dieter und Ostfriese über die Legitimität des >Zwangsstaates, in dem ich sagte, dass wir alle, auch hier und jetzt, in jeder Sekunde uns unterwerfen.

Exakt

Ausgehend von Rom bedeutete Legitimität das traditionell-nützlich Ordnungsgemäße z. B. der Erbfolge, im Mittelalter das Gottesgnadentum, in der Neuzeit kam die Idee der moralischen Rechtfertigung hinzu: Kant thematisierte inhaltlich das soziologische Begriffspaar Gesetzlichkeit versus Sittlichkeit - für Hegel bedeutete das die problematische Unterwerfung des Rechts der Welt unter die individuelle Moralität als subjektives Recht des freien Willens.

Franz Oppenheimers soziologischer Begriff der Legitimität orientiert sich an der beobachtbaren Realität. Sie erfährt ihre Legitimation aus sich selbst heraus, d. h. durch die Macht, Recht und Ordnung. Die Staatsangehörigen akzeptieren die staatliche Macht durch aktive Zustimmung oder passive Ohnmacht.

Oppenheimer schreibt 1929 in seinem Hauptwerk Der Staat in Vorwegnahme debitistischer Gedankengänge: Der Staat ist seiner Entstehung nach ganz und seinem Wesen nach auf seinen ersten Daseinsstufen fast ganz eine gesellschaftliche Einrichtung, die von einer siegreichen Menschengruppe einer besiegten Menschengruppe aufgezwungen wurde mit dem einzigen Zwecke, die Herrschaft der ersten über die letzte zu regeln und gegen innere Aufstände und äußere Angriffe zu sichern. Und die Herrschaft hatte keinerlei andere Endabsicht als die ökonomische Ausbeutung der Besiegten durch die Sieger.

Paul C. Martin in

https://archiv.dasgelbeforum.net/ewf2000/forum_entry.php?id=180845 Die neue Weltgewaltordnung - zur Hondrich-Diskussion verfasst von dottore, 04.04.2003, 13:24

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Prof. Dr. Karl Otto Hondrich, Gesellschaft-Wissenschaftler an der Uni Frankfurt und Suhrkamp-Autor (Der neue Mensch) hat jüngst in der NZZ die Weltgewaltordnung (WGO) vorgestellt, die in der klassischen Tradition von Machiavelli bis Carl Schmitt steht.

Dabei setzt er (zur Enttäuschung seiner früheren Anhänger) jetzt auf Gewalt statt auf Moral. Für letztere hat er nichts als Hohn und Spott übrig. Es gehe nicht um Recht, Rechtfertigungen, Resolutionen und derlei schöne Dinge, sondern einzig und allein um die Anwendung von Macht.

Diese sei nicht etwa nur eine Sache der Tyrannei, sondern sei ganz genauso in Demokratien vorhanden, die er ausdrücklich als Gewaltordnung bezeichnet - ein Gedanke, dem ich bekanntlich ebenfalls zustimme. In Demokratien ist die Macht nur besonders perfide maskiert und getarnt: Das Gefühl der Ohnmacht gegenüber dem Handeln der politischen Klasse (Helmut Schmidt) nimmt ersichtlich zu, wie auch andauernde Empörungsausbrüche in diesem Forum zeigen.

Einwände gegen Hondrichs Ableitungen basieren hauptsächlich auf dem Argument der Legitimität, die einer Gewaltanwendung fehle (vorgetragen u.a. von Prof. Dr. Gernot Böhme, Uni Darmstadt, dem wir das Buch Ethik im Kontext, 2002, verdanken), vor allem der zwischenstaatlichen Gewaltanwendung.

Hondrich argumentiert vor allem, dass in der WGO Gewalt durch noch größere Gewalt bezwungen werde und Konstrukte wie die UNO mit lauter gleichberechtigten Staaten illusionäres Denken sei. Dabei überträgt er das Modell des Gewaltmonopols, das den innerstaatlichen Frieden sichere, auf übereinzelstaatliche Ensembles - schließlich ist auch die UNO im Kern ein nach demokratischen Prinzipien (Abstimmungen in der Vollversammlung und im Sicherheitsrat) gebildetes Modell.

Die UNO, die selbst nicht im Stande ist, ein von ihr angestrebtes Gewaltmonopol auch in die Praxis umzusetzen, muss sich just dem Prinzip fügen, nach dem sie angetreten ist, letztlich also dem Recht des Stärkeren.

So wie der Staat stärker ist als der einzelne Bürger (jedenfalls bis zum offenen Ausbruch einer Revolution), ist auch der jeweils Stärkste in einer Weltordnung stärker als der Rest der einzelnen Staaten.

Das Prinzip ist demnach klar und die Frage der fehlenden Legitimität, die in Demokratien sich in Wahlen manifestiert bzw. der Gewaltenteilung stellt sich dann nicht, wenn just das zur Legitimierung von zwischenstaatlichen Gewaltaktionen hergenommen wird, was die Legitimation von innerstaatlichen Gewaltaktionen selbst ist: Nämlich das demokratische Prinzip als solches bzw. dann dessen Einführung weltweit.

Insofern könnten wir durchaus an der Schwelle zu einer neuen Zeit stehen: Die US-Führung wird - unter Hinweis auf ihre eigene Legitimation als vom Volk gewählt - solange jene Regime attackieren, die nicht über diese Legitimation verfügen. Andere demokratische Regime (siehe old Europe) werden dem - außer den bekannten Moral-, Friedfertigkeits- und Humanismus-Argumenten - wenig entgegen zu setzen haben.

Damit nicht wieder Missverständnisse aufkommen, erkläre ich noch einmal, dass ich derartige Entwicklungen nicht etwa bejahe oder gar fordere, sondern dass mir ihre (potenzielle) Zwangsläufigkeit einleuchtet. Der Ablauf der Weltgeschichte, die wir kennen, bestätigt dies auch weitgehend. …, sondern Machtgeschichte.

Was bisher fehlte, war der Legitimationsaspekt zur Gewaltausübung über das demokratische Prinzip und dessen weltweite Verbreitung, dem argumentativ kaum beizukommen ist. Das demokratische Prinzip, zumal in Form eines quasireligiösen (God bless America) Durchsetzungswillens, ersetzt nur andere Gewaltprinzipien, etwa die der Herrschaft und Herrschaftsgewinnung sowie -mehrung durch Formeln wie z. B. die des direkten Gottesgnadentums.

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Gruß - Ostfriese


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