Nachtrag für @Ostfriese
Du leistest hier im Forum gute Arbeit, dafür danke ich Dir.
Und Du hast m. Mn. bisher sehr viel Zeit mit dem Studium der Grundlagen verbracht.
Deshalb an dieser Stelle Antwort zu einem Deiner Beiträge:
Zitat dottore:
"2.1 Das Loch in der Mitte
Jede zweite Nachricht, die wir heute hören, hat etwas mit Wirtschaft zu tun. Und das Schlimmste dabei: Zu jeder Nachricht gibt es meistens zwei Meinungen.
Nachricht: Der Ölpreis fällt.
Erste Meinung: Das ist wunderbar, wir können das Geld, das wir bei Öl und Benzin sparen, jetzt für andere Sachen ausgeben.
Diese zusätzlichen Ausgaben kurbeln die Wirtschaft an. Ein riesiger Konjunkturaufschwung steht uns bevor.
Zweite Meinung: Das ist ganz schlecht. Denn die Ölstaaten, die nun weniger Geld haben, können weniger bei uns einkaufen, unsere Exporte brechen zusammen. Wir starten in eine schwere Krise. Außerdem werden Ölstaaten wie Mexiko, die große Auslandsschulden haben, endgültig pleite sein. Und wer pleite ist, kann nichts mehr kaufen.
Nachricht: Die Löhne steigen.
Erste Meinung: Das ist schlecht. Je höher die Lohnkosten, umso höher die Kosten insgesamt. Das verschlechtert unsere Stellung auf dem Weltmarkt, wir werden Absatz verlieren.
Zweite Meinung: Das ist prima. Je mehr Lohn und Gehalt die Arbeitnehmer auf dem Konto haben, umso mehr können sie jetzt ausgeben, also bessert sich dadurch die Lage der Unternehmen, sie werden Absatz gewinnen.
Nachricht: Der Staat macht Defizit.
Erste Meinung:
Das ist fein. Denn jetzt kommt zusätzliches Geld in die Wirtschaft, kurbelt an, wird endlich dafür sorgen, dass die Arbeitslosen von der Straße kommen. Wir danken dem Staat für diese weitsichtige Politik.
Zweite Meinung: Das ist gar nicht gut. Der Staat muss sich das Geld, das er für seine Ausgabenprogramme braucht, auf dem Kapitalmarkt besorgen. Dieses zusätzliche Schuldenmachen treibt die Zinsen hoch. Bei hohen
Zinsen werden die Unternehmer weniger investieren, weil das Geld zu teuer ist. Weniger Investition bedeutet aber weniger Arbeitsplätze. Wir verfluchen die öffentliche Hand wegen ihrer kurzsichtigen Verschwendungssucht.
Hinter jeder Meinung steckt eine Theorie.
Und da es so viele Theorien über Wirtschaft gibt, wie man sich nur wünschen kann, ist nichts leichter, als für jeden Tatbestand sowohl ein »Prima« als auch ein »Großer Mist« zu konstruieren.
Es gibt keine wirtschaftliche Bewegung und erst recht keine wirtschaftspolitische Maßnahme, die ein erfahrener Ökonom nicht in die eine oder die andere Richtung interpretieren kann.
Über die Wirtschaftstheorie, die heute an Tausenden von Universitäten und Instituten gelehrt wird, kann man mit dem großen französischen Politiker Georges Clemenceau seufzen:
»Alles ist richtig, nichts ist richtig. Das ist der Weisheit letzter Schluss.«
Jede zweite Nachricht, die wir heute hören, hat etwas mit Wirtschaft zu tun. Aber kaum hören wir die Nachricht, schalten wir innerlich ab. Das hat drei Gründe:
1. Vielen ist Wirtschaft einfach »zu hoch«. Wer hat schon Lust, über so Worte nachzudenken, wie »Sozialprodukt«, »Grenzausgleich« oder »Diskontsenkung«. Das sind Dinge, die im normalen täglichen Leben nirgendwo erscheinen. Wirtschaftssendungen im Fernsehen haben lächerliche Einschaltquoten, obwohl sich die Moderatoren alle Mühe geben, möglichst flott vorzutragen und die behandelten Theorien »optisch aufzubereiten«. Aber auch die schönste Grafik mit elektronischer Spritzpistole vor dunkelblauem Hintergrund nutzt garnichts.
Die Leute interessiert es einfach nicht.
Das amerikanische Fernsehen hat daraus längst die Konsequenz gezogen. Sendungen mit dem Titel »Wirtschaft« existieren drüben einfach nicht. Alles, was den Zuschauer interessiert, ist »Geld«. Denn darunter kann er sich sein eigenes Geld, sein »Einkommen« vorstellen. Da schaut er dann hin.
2. Vielen ist das dauernde »Pro und Contra« einfach langweilig. Egal, was auf der weiten Welt geschieht, die einen sagen, das sei gut für uns, die anderen, das sei schlecht. Dadurch wird der Zuschauer verwirrt und zieht sich in ein Schneckenhaus zurück: Ihn interessiert nur noch, was sein Einkommen unmittelbar beeinflusst, sein laufendes Einkommen in der unmittelbaren Gegenwart.
DAS LOCH
Die Zukunft bedeutet ihm wenig. Sogenannte »Langzeiteffekte« sagen ihm nichts. Selbst wenn dramatische Entwicklungen vorprogrammiert sind, wenn beispielsweise langanhaltende gewaltige Defizite gefahren werden, die eines Tages doch zum Ausgleich oder zur Zahlung anstehen müssen: der Zuschauer sinkt mit einem »Das wird schon nicht so schlimm werden« oder: »Das haben die da oben dann im Griff« wieder in seinen Sessel zurück und schaltet um auf eine Unterhaltungssendung.
3. Die Leute, die etwas von Wirtschaft »verstehen«, haben sich bis heute auf keine allgemein anerkannte »Theorie« geeinigt, wie denn nun Wirtschaft letztlich »funktioniert«. Jede Diskussion endet in endlosen Streitereien unter Experten, und das ist etwas, was auch den Gutwilligsten vergrault.
In stillen Stunden geben die Experten in Sachen Wirtschaft dies unumwunden zu.
Der amerikanische Wirtschafts-Professor Muncur Olson, er lehrt an der weltberühmten Yale-Universität, hat dies in seinem neuesten Buch »Aufstieg und Niedergang von Nationen« klar formuliert:
»Alle bekannten makro-ökonomischen Theorien, obwohl voller tiefer und unverzichtbarer Einsichten, sind in diesem Sinne verhängnisvoll unvollständig – jede Theorie hat ein Loch genau in der Mitte.« (Seite 242)
»Makro-ökonomisch« (auch wieder so ein schreckliches Wort) bezieht sich auf die gesamte Wirtschaft, im Gegensatz zu mikro-ökonomisch, worunter Theorien über einzelne Erscheinungen innerhalb des großen Ganzen verstanden werden. Makro-ökonomische Theorien behandeln: Arbeitslosigkeit, Wachstumsraten, das
Preisniveau.
Mikro-ökonomische sind zuständig für: Kostenrechnung, Absatzplanung, Bilanzen.
Auf den nächsten Seiten wird das »Loch in der Mitte« aufgefüllt. Wir werden eine Theorie der Wirtschaft entwickeln, die - endlich - stimmt. Die deshalb auch mit den bisher gelehrten Wirtschafts-Theorien in einigen
Punkten übereinstimmt.
Was an den alten Theorien nicht stimmt, wo sie also ihr Loch haben, soll auch gezeigt werden.
Es ist gar nicht so schwer – vorausgesetzt, man hat das Loch erst einmal gefunden."
https://www.dasgelbeforum.net/sammlung/Martin,%20Paul%20C.,%20Der%20Kapitalismus%20-%20...
LG
D-Marker