Leserzuschrift: Ist das vereinte Deutschland von heute de facto ein sozialistischer Einparteienstaat geworden? Teil 4
Angesichts der jüngsten Verluste der SPD bei verschiedenen Regionalwahlen und der immer deutlicher werdenden Anzeichen dafür, dass Bundeskanzler Gerd Schröder nach sieben Jahren Kanzlerschaft müde und erschöpft ist, wurde erwartet, dass Angela Merkels CDU die für den 18. September 2005 angesetzten vorgezogenen Neuwahlen leicht gewinnen und eine Koalition der rechten Mitte mit ihrem erklärten Favoriten, der FDP unter Guido Westerwelle, bilden würde. Die Meinungsumfragen sahen bis zum Wahltag ermutigend aus. Doch den ganzen Sommer über schien es, als ob Angela Merkel nicht wirklich viel Wahlkampf machte. Wollte sie verlieren? Steuerte sie auf eine große Koalition mit den Sozialdemokraten zu, um die FDP von der Macht zu verdrängen? Das Wahlergebnis war dann tatsächlich eine große Überraschung: Sowohl die Sozialdemokraten als auch die CDU/CSU (die bei der Wahl 2002 mit 38,5% gleichauf gelegen hatten) hatten deutlich verloren, die SPD um 4,3 Prozentpunkte, während die "siegreiche" CDU/CSU ebenfalls um 3,3 Prozentpunkte zurückgefallen war. Eine CDU/CSU-FDP-Mehrheit wurde verfehlt und auch Rot-Grün hatte seine bisherige Mehrheit verloren. Die einzige realistische Option (abgesehen von einer theoretischen linksradikalen Dreierkoalition von Rot-Grün mit Die Linke und einer ebenso unwahrscheinlichen Dreierkoalition von CDU/CSU-FDP mit den Grünen) war eine Koalition von CDU/CSU mit der SPD. So blieben die Sozialdemokraten, obwohl sie nicht mehr die stärkste Partei waren, in der Regierung, und ein substanzieller Politikwechsel hin zu mehr Konservatismus wurde nicht vollzogen. Hier das erste Round-Table-Gespräch am Wahlabend mit den sechs Parteivorsitzenden Angela Merkel (CDU), Edmund Stoiber (CSU), Gerhard Schröder (SPD), Guido Westerwelle (FDP), Lothar Bisky (Die Linke) und Joschka Fischer (Grüne).
https://web.archive.org/web/20181105025702/https://www.youtube.com/watch?v=pHYbZRFptZM
ANGELA MERKEL UND DIE NEUE ÄRA DER "NORMALISIERUNG"
Die erste Bundeskanzlerin in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hat schnell einen neuen Stil eingeführt. Einen Stil, der das Spektakuläre und Bombastische vermeidet (das ihr Vorgänger pflegte), aber dennoch wirksam ist: eine trockene und ruhige Entschlossenheit, gepaart mit einer guten Portion Geheimniskrämerei (mit anderen Worten: sie macht die Dinge auf die gute alte ostdeutsche Art). Angela Merkel lässt sich nicht in die Karten schauen, sodass sich ein ganzes 80-Millionen-Volk seit mittlerweile 13 langen Jahren fragt, was sie wirklich denkt und wie sie wirklich tickt! Ihr Privatleben ist genau das: privat und vertraulich. Vielleicht gibt es auch gar nicht so viel Privatleben: Merkel hat keine Kinder; sie und ihr Mann Joachim Sauer wohnen im obersten Stockwerk eines Wohnhauses aus dem 19. Jahrhundert direkt neben dem Berliner Pergamonmuseum; Bruder Marcus lebt und arbeitet als theoretischer Physiker in Hessen; ihre Schwester Irene, eine Ergotherapeutin, lebt in Oranienburg vor den Toren Berlins; der Vater, Horst Kasner, ist 2011 verstorben; Mutter Herlind Kasner lebt immer noch in Templin, mittlerweile 90 Jahre alt. Angela Merkels Freizeitvergnügen ist bescheiden: Sie und ihr Mann (der durch seine Blässe bis heute nicht im Westen angekommen zu sein scheint) besitzen ein Häuschen in der Uckermark, unweit von Templin, wo Angela Merkel aufgewachsen ist; ansonsten gehen die beiden jedes Jahr einem streng geregelten Urlaubsprogramm nach, das aus einer Osterreise auf die italienische Insel Ischia, Wanderurlauben im Vinschgau in Südtirol im Sommer und einem Winterurlaub (Langlauf-, nicht Abfahrtsski) im Schweizer Engadin besteht. Nicht zu vergessen die angeblich große Liebe des Paares zur Opernmusik, insbesondere zu Wagner, für die sie regelmäßig die Bayreuther Festspiele besuchen. Doch von Leidenschaft, Liebe oder Herzenswärme ist bei den beiden "Ex-" Kommunisten nichts zu spüren. Es ist genau die Sprödigkeit und diskrete Kälte (besser Leere) - gemischt mit viel kleinbürgerlicher, proletarischer Einfalt - für welche die alte DDR berühmt war.
Dies war also das neue Gesicht Deutschlands: und obwohl 35,2% der gültigen Stimmen (oder 27,35% der Wähler) sie gewählt hatten, sah es immer noch so aus, als wüssten die Menschen nicht recht, was sie von ihr halten sollten. Jedenfalls wurde ihr kometenhafter Aufstieg - so unwahrscheinlich er auch sein mochte - bald als das Ergebnis einer Kette erstaunlicher Zufälle oder einfach als Produkt unermüdlichen Ehrgeizes und harter Arbeit akzeptiert.
Aber hatte es da nicht ein "erstes Leben" von Angela Merkel gegeben? Ein erstes Leben von sechsunddreißig Jahren im kommunistischen Ostdeutschland, von dem die Öffentlichkeit so gut wie nichts wusste? Und warum war Merkel (wie ihre Familie, wie die ganze "ehemalige" DDR) so schweigsam über diese Jahre? Waren sie nicht alle außer sich vor Freude gewesen, als in jener historischen Nacht des 9. November 1989 die Berliner Mauer "fiel" (tatsächlich fiel die Mauer in den Westen)? Nun, viele, wenn nicht sogar die meisten von ihnen, waren es offensichtlich nicht. Hier ist ein mehr als ominöser Videoclip über eine Dame, die am 9. November 1989 tatsächlich als erste Ostdeutsche die Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten überquerte. Annemarie Reffert (damals 46 Jahre alt), Ärztin aus Magdeburg, hatte um Punkt 19:04 Uhr im DDR-Radio die Ankündigung des ZK-Mitglieds und Informationssekretärs Günter Schabowski gehört, allen DDR-Bürgern die sofortige, bedingungslose und dauerhafte Ausreise in den Westen zu erlauben. Sie vergewisserte sich, dass sie richtig gehört hatte, indem sie die folgenden Nachrichtensendungen abhörte, überprüfte sogar das Westfernsehen, nahm ihre 15-jährige Tochter und fuhr mit ihrem Wartburg-Pkw - aus reiner Neugier - in Richtung des Hauptgrenzübergangs Helmstedt/Marienborn, nur etwa 60 km von Magedeburg entfernt. Um 21:25 Uhr gelang es den beiden, die ahnungslosen DDR-Grenzbeamten davon zu überzeugen, dass eine generelle Reisegenehmigung vorlag, und so fuhren sie weiter nach Westdeutschland, wo sie kurz die beschauliche Grenzstadt Helmstedt umrundeten und, da sie kein Westgeld hatten, bald wieder in den Osten und nach Magdeburg zurückkehrten. Auf dem Rückweg, wiederum an der Grenze, wurde Annemarie Reffert kurz von einem westdeutschen Kamerateam interviewt, was ihr zu einiger Berühmtheit verholfen hat. Hier ist dieser wirtschaftliche Austausch (im Video unten, von 1:55 bis 2:17), der uns zum Nachdenken bringen sollte, weil er so symptomatisch ist:
INTERVIEWER: Haben Sie eigentlich vor, in nächster Zeit häufiger nochmal "Westluft" zu schnuppern, um das mal so zu sagen?
A. REFFERT: Ja, vielleicht Besuchsweise, um mal das Leben bei ihnen anzusehen, aber niemals ganz. Wissen Sie, Sie sind eine ganz andere Gesellschaft, und ich habe keine Meinung, bei Ihnen zu leben. Besuchsweise, ja.
https://www.youtube.com/watch?v=oDPdWAxoRpI
Aus dieser kalten und kaltschnäuzigen Antwort geht hervor, dass Ostdeutschland keineswegs den Anschluss an den Westen anstrebte. Die Opposition innerhalb der DDR bestand vor allem aus Reformkommunisten, die (im Sinne Gorbatschows) ein eigenständiges sozialistisches Ostdeutschland auf einer liberaleren Basis erhalten wollten. Eine wirklich bürgerlich-konservative politische Kraft war nach vierzig Jahren rigiden autoritären Kommunismus einfach nicht vorhanden.
Das war Helmut Kohls unverzeihliche Fehlkalkulation! Seine enthusiastischen Versprechungen an die verarmten Ostdeutschen von baldigen Wohlstandslandschaften erfüllten sich nicht so schnell und einfach, wie man es erwartet hatte. Und so wich die anfängliche Euphorie über ein vereintes Deutschland (sicherlich von den westdeutschen Medien stark übertrieben) bald einer großen Frustration in den "neuen" deutschen Provinzen, die dann von den untergetauchten Altkommunisten schön ausgenutzt werden konnte. So kam es, dass schon wenige Jahre nach dem Fall der Mauer eine gespenstische DDR- und sogar Sowjetnostalgie aufkam (eine Entwicklung, die parallel zu der in den anderen "ehemaligen" Satellitenländern verlief). Alle Arten von DDR- und Sowjet-Memorabilien, alte DDR-Filme, Produktmarken, Kleidung, militärische Gegenstände usw. waren plötzlich wieder beliebt wie nie zuvor. Die Menschen ignorierten nun die Tatsache, dass sie unter einer Tyrannei gelebt hatten (was viele von ihnen gar nicht einmal störte) und romantisierten stattdessen die "gemütliche, sozialistische Heimat", die sie verloren hatten, als das bessere Deutschland, das niemals hätte aufgelöst werden dürfen. Es entstanden eine Reihe von Filmen, zum Teil Tragikomödien, die auf die eine oder andere Weise die DDR-Vergangenheit idealisierten. Das dreisteste und perfideste Stück in dieser Lawine retrokommunistischer Propaganda war wohl der Blockbuster 'Good-Bye Lenin!' aus dem Jahr 2003, der rückblickend betrachtet fast schon den Boden für die zwei Jahre später beginnende Kanzlerschaft von Angela Merkel bereitet hat.
'Good-bye Lenin!' ist eine witzige, aber sichtlich tendenziöse Satire über eine Mutter, Lehrerin und überzeugte Kommunistin in Ost-Berlin, die einen Monat vor dem Fall der Berliner Mauer einen Herzinfarkt erleidet und in ein achtmonatiges Koma fällt, wodurch sie die Implosion des kommunistischen Regimes und die dramatischen Veränderungen im Leben der Ostdeutschen in den Monaten danach "verpasst". Ihr Sohn, der nie ein Freund der kommunistischen Unterdrückung war, aber sehr fürsorglich ist, wird von den Ärzten belehrt, als die Mutter im Juni 1990 aus dem Koma erwacht, dass alle Aufregungen und Irritationen gründlich vermieden werden müssen. Die Mutter ist noch schwach und muss im Bett bleiben und so schafft der Sohn mithilfe seiner Schwester, eines neuen Arbeitskollegen und sogar Nachbarn für seine Mutter die überzeugende Illusion, dass die DDR noch lebt und sich nichts geändert hat. Außerdem verliebt er sich bei seinen vielen Krankenhausbesuchen, während seine Mutter noch dort ist, in eine charmante russische Krankenschwester! Zusammen mit seinem Freund schließt er heimlich einen Videorecorder an den Fernseher seiner Mutter an, mit dem sie ihr sekundengenau zunächst alte DDR-Nachrichtenrollen und schließlich selbst gedrehte tägliche "Abendnachrichten" vorspielen, die sogar authentisches Nachrichtenmaterial verwenden, aber mit seinem Kollegen als "Nachrichtensprecher" den nötigen Spin hinzufügen, der alle Bilder auf die absurdeste Weise erklärt. Die Mutter schluckt ironischerweise die Scharade. Irgendwann bemerkt sie von ihrem Fenster aus eine Menge westdeutscher Autos auf der Straße, aber die "Nachrichtensendung" ihres Sohnes findet für alles eine Erklärung. Der Sohn sucht verzweifelt nach alten DDR-Produktverpackungen (z.B. Gurkengläser), stellt zum Geburtstag seiner Mutter eine Gruppe von Nachbarn zusammen, die dann die guten alten kommunistischen DDR-Lieder singen und so weiter und so fort. Sowohl seine Schwester als auch die russische Krankenschwester, mit der er inzwischen eine Romanze hat, bestehen darauf, dass er mit der Illusion aufhört und seiner Mutter die Wahrheit sagt. Schließlich tut die Krankenschwester dies, ohne es ihrem Freund zu sagen. Die Mutter erleidet einen weiteren Herzinfarkt und stirbt bald darauf, während ihr Sohn davon überzeugt ist, dass seine Mutter in der Gewissheit gestorben ist, dass ihr geliebtes sozialistisches System nach wie vor intakt ist, nachdem er für sie eine letzte "Nachricht" produziert hat, in der Erich Honecker von dem persönlichen Helden des Sohnes, dem ostdeutschen Kosmonauten Sigmund Jähn, verkörpert von einem ähnlich aussehenden Taxifahrer, abgelöst wird, der die Mauer öffnet, woraufhin Ostberlin von den Kapitalisten aus dem Westen, die endlich zur Vernunft gekommen sind, fröhlich geflutet wird! - Hier ist der offizielle Trailer:
https://www.youtube.com/watch?v=lVSGDWTLsMg
Der Film spiegelt nicht nur eine bestehende Stimmung in der ehemaligen DDR wider, sondern verstärkt diese Sehnsucht nach den alten kommunistischen Tagen (und wirbt beim westlichen Publikum für den DDR-Kommunismus als etwas Gutes und Erstrebenswertes). Der Film wurde von einem westdeutschen Filmemacher gedreht, aber die stalinistische Linke im Osten und die liberale Linke im Westen haben auf beiden Seiten des Zauns immer Hand in Hand gearbeitet, selbst jetzt, da dieser Zaun angeblich verschwunden ist.
Jetzt, unter der Genossin Merkel (die entschlossen zu sein scheint, die nächsten hundert Jahre an der Macht zu bleiben), hat sich in Deutschland eine seltsame und langweilige neue Normalität etabliert, höchstwahrscheinlich die Art von "Normalisierung", von der das kommunistische Regelwerk spricht, wenn es den endgültigen und ewigen Triumph des Kommunismus beschreibt. In diesem Fall wurde der Übergang nicht durch eine gewaltsame Revolution oder einen Einmarsch sowjetischer Armeen herbeigeführt, sondern einfach dadurch, dass ein jahrzehntelanger schrittweiser Prozess zu seinem logischen Abschluss gebracht wurde. Nur zwei Jahre nach Merkels Wahlsieg 2005 wurde der europäische Schengen-Raum, der ursprünglich einen Verbund westeuropäischer EU-Länder definierte, die ihre gegenseitigen Grenzkontrollen abgeschafft hatten, aber natürlich weiterhin Kontrollen nach Osten hin unterhielten, rücksichtslos und in höchst unverantwortlicher Weise um einen Kordon "ehemaliger" kommunistischer Staaten erweitert. Infolgedessen konnten und können fortan kommunistische Mafiosi und illegale Einwanderer völlig frei und unkontrolliert nach Westeuropa einreisen. Dieser Missstand wird auch nicht behoben werden, denn das erklärte Ziel der Europäischen Union ist eine grenzenlose, Post-nationalstaatliche Föderation. Die Ausdehnung der EU tief in das "ehemals" kommunistische Osteuropa hat jedoch das Schicksal Westeuropas besiegelt, da sie unwiderruflich die Tür geöffnet hat, um von Moskau geschluckt, umarmt oder wie auch immer man es ausdrücken möchte, verschluckt zu werden - und den Weg zu einem vereinten, kommunistischen Eurasien vom Atlantik bis nach Wladiwostok zu weisen. Natürlich bezeichnet Angela Merkel Russland häufig als "Deutschlands strategischen Partner" und nirgendwo gibt es einen Aufschrei, da Deutschland zumindest theoretisch Mitglied des westlichen Bündnisses ist.
Was den "Konservatismus" von Angela Merkel betrifft (immerhin ist sie seit 1990 Mitglied und seit 2000 Vorsitzende der Christlich-Demokratischen Union), so scheint er so gut wie nicht vorhanden zu sein. Denken Sie mal darüber nach: Diese Frau war zweimal verheiratet und obwohl man nicht genau weiß, warum, scheint sie kinderlos geblieben zu sein, weil sie es so wollte. Über ihre erste Ehe, die nur kurz war, ist nicht viel bekannt, aber es scheint, dass es sich eher um eine Zweckehe handelte, damit die beiden jungen Leute, Angela Kasner und Ulrich Merkel, leichter eine eigene Wohnung bekommen konnten (im Kommunismus ist alles streng geregelt). Seit Mitte der 1980er Jahre ist Angela Merkel (den Namen ihres ersten Mannes hat sie bis heute beibehalten) mit ihrem jetzigen Ehemann, dem Quantenchemiker Dr. Joachim Sauer, zusammen, den sie aus ihrer Arbeit an der Ostdeutschen Akademie der Wissenschaften kennt. Obwohl Angela Merkel seit 1990 eine zunehmend prominente Figur in Helmut Kohls konservativer Christlich-Demokratischer Union ist, heiratete sie Dr. Sauer erst am 30. Dezember 1998, nachdem sie am 7. November 1998 nach der verlorenen Bundestagswahl im selben Jahr zur Generalsekretärin der Partei gewählt worden war. Auch ihre zweite Ehe ist also eine rein pragmatische Angelegenheit, die sie auf dem Weg zum Parteivorsitz unternahm, um ihre Karriere voranzutreiben. Was sagt uns das über den moralischen oder religiösen Rahmen dieser "christlichen" Politikerin? Ist sie überhaupt eine Christin? Praktischerweise (was sie für Helmut Kohl attraktiv machte, um sie unter seine Schirmherrschaft zu nehmen) ist Angela Merkel die Tochter eines (protestantischen) Pfarrers. Doch auch hier ist ein genauerer Blick nötig. Horst Kasner, geboren 1926, war ein junger westdeutscher evangelischer Pfarrer, der gerade sein Studium abgeschlossen und eine Familie gegründet hatte. Sein erstes Kind Angela wurde noch im Sommer 1954 in Hamburg geboren, dann zog die ganze Familie in die DDR, wo Kasner eine kirchliche Stelle angeboten worden war. Horst Kasner war dem Sozialismus nicht feindlich gesinnt. Im Gegenteil, er entwickelte einen großen Ehrgeiz, Christentum und Sozialismus irgendwie zusammenzuführen. Er nennt es "Kirche im Sozialismus". Andere gaben ihm bald den Spitznamen "Roter Kasner". In der Tat wurde Horst Kasner als ein Mann bekannt, der hervorragende Verbindungen zu den progressiveren Theologen der DDR und damit zum System selbst hatte. Die ersten drei Jahre war er noch regulärer Pfarrer in dem kleinen Dorf Quitzow im Nordwesten Brandenburgs. Im Jahr 1957 wurde er eingeladen, ein religiöses Seminar und ein Pastoralkolleg außerhalb von Templin aufzubauen. Das als Waldhof bekannte Anwesen, das ab 1958 auch ein Heim für geistig Behinderte beherbergte, entwickelte sich bald zu einem viel beachteten Treffpunkt für intellektuelle Diskussionen jenseits der eng gesteckten Grenzen der offiziellen Staatsideologie. Horst Kasner konnte ungehindert Bücher aus dem Westen bestellen und durfte auch eine Reihe von Reisen in den Westen unternehmen. Interessant ist auch, dass Horst Kasner eng mit Clemens de Maizière und Klaus Gysi, den Vätern von Lothar de Maizière bzw. Gregor Gysi, zusammenarbeitete, die beide in der Zeit der deutschen Wiedervereinigung und danach zu wichtigen politischen Persönlichkeiten werden sollten. Die junge Angela scheint ihren charismatischen Vater bewundert zu haben. Obwohl sie nicht die sozialistische DDR-Jugendweihe, sondern noch die traditionelle evangelische Konfirmation durchlief, war sie dennoch schon früh Mitglied der kommunistischen Jugendorganisation FDJ (Freie Deutsche Jugend), was nicht verpflichtend und auch für Pfarrerskinder ungewöhnlich war. In der Schule zeichnete sie sich besonders in Mathematik und Russisch aus, gewann sogar die landesweite Russisch-Olympiade und dachte bald an ein Physikstudium. Im Gegensatz zu Kindern weniger sozialistisch gesinnter Pastoren, die in der Regel der FDJ fernblieben, hatte Angela Kasner keine Schwierigkeiten, an einer Universität zugelassen zu werden. Später, in ihren Zwanzigern, war sie sogar Funktionärin in der FDJ. Hier ein kurzer Ausschnitt aus einem ARD-Interview mit Angela Merkel aus dem Jahr 1991 (Merkel war damals bereits Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im neu gebildeten, ersten gesamtdeutschen Kabinett Kohl IV), in dem sie die Frage nach ihrer Mitgliedschaft und ihrem Engagement in der kommunistischen Jugendorganisation FDJ quasi beantwortet:
https://www.youtube.com/watch?v=CEAMsWfTrhA
Merkel sagt dazu: "Ich war gerne in der FDJ, muss ich sagen, als eine Teiltätigkeit innerhalb der FDJ, wo man auch Dinge gemacht hat - in Seminargruppen, unter jungen Leuten im Institut -, die im Grunde genommen wenig mit dem System und seiner Ideologie zu tun hatten. Das will ich zugeben. Aber ansonsten war es natürlich auch 70% Opportunismus."
Wie so oft klärt dieses "Eingeständnis" nichts. Eine alternative Möglichkeit, dieses Video zu betrachten, besteht darin, den Ton auszuschalten, um sich ganz auf die Mimik von Angela Merkel konzentrieren zu können. Was man zunächst sieht, ist das übliche Verhalten von Lügnern: Sie ist angespannt, sie sucht nach Worten, sie schaut nach unten. Während des gesamten Clips zeigt sie Trotz, Leugnen, Ausweichen. Die Quintessenz: Sie war eine Aktivistin in der Jugendorganisation der kommunistischen Partei, weit über ihre eigenen Jugendjahre hinaus, aber keine wirkliche Kommunistin und nie Mitglied der kommunistischen Partei selbst. Wie glaubwürdig ist das denn? Das Fehlen von Beweisen für ihre Parteizugehörigkeit beweist gar nichts. So viele Geheimakten wurden 1990 vernichtet, so viele Beweise verschwanden einfach über Nacht! Ein ganzes Volk von Kommunisten hatte sich plötzlich auf wundersame Weise einfach in Luft aufgelöst - und aus dieser neuen dünnen Luft heraus agieren sie wie eh und je. Kaum jemand spricht darüber. Über der ganzen Realität des ehemaligen kommunistischen Ostdeutschlands liegt ein undurchdringlicher Schleier der Verschwiegenheit.
Und dann ist da noch Angela Merkels Behauptung, sie habe Physik als Studienfach gewählt (als ob die Menschen in den kommunistischen Ländern völlig frei gewesen wären, etwas zu wählen, was sie wollten, was sicher nicht der Fall war), weil die Physik, so sagt sie, am wenigsten politisiert und ideologisiert sei. Was lustig ist, denn nach dieser Logik hätte sie auch niemals in der Politik auftauchen dürfen.
Was Angela Merkels offensichtliche christliche Erziehung in einem Pastorenhaushalt betrifft (obwohl ihr Vater ohnehin glühend pro-sozialistisch war und 1989/90 keineswegs eine deutsche Wiedervereinigung befürwortete), so hat Angela Merkel selbst die naiven Vorurteile über ihr Aufwachsen als Pastorentochter inmitten einer feindseligen atheistischen Gesellschaft entkräftet: Man wird nicht einfach dadurch gläubig, dass man in einem Pfarrhaus aufwächst. 'Aber natürlich wurden mir auf diese Weise einige ethische Grundsätze beigebracht.' (Übersetzung durch diesen Autor. Deutsche Quelle: Koelbl, Herlinde. Spuren der Macht: Die Verwandlung des Menschen durch das Amt - Eine Langzeitstudie. München: Knesebek, 1999. S. 49. - Über: Reuth, Ralf Georg, und Günther Lachmann. Das erste Leben der Angela M. München: Piper, 2013. S. 65.)
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Grüße
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Ich bin und zugleich nicht.