Das Problem der Urschuld
Woraus läßt sich aber die Urschuld, also die Verpflichtung eines
Lebewesens, jede Zeiteinheit seines Lebens neu für den eigenen Erhalt
seines Lebens zu rödeln bis es falliert, im Letzten ableiten?
Hallo Silke,
eine Urschuld existiert. Das erste Ziel aller Lebewesen ist das Überleben. Jetzt stellt sich die Frage auf welche Weise.
Nehmen wir die Indianer Nordamerikas als Beispiel. Sie konnten ihr Überleben in Gemeinschaften sichern. Dabei
gab es bessere und schlechtere Jahre. Darüber hinaus hatten sie aber weiteres Potenzial zur Verfügung mit dem
sie sich spirituell und sozial weiter entwickelt haben. Immer in kleinen Schritten.
Das Abgaben-System dieser Völker beruhte auf Solidarität mit den anderen Menschen der Gemeinschaft. Wer zuviel
hatte, gab es an andere weiter. Dieser Brauch kam der Gemeinschaft als Ganzes zugute, so dass die Frage des
Überlebens nicht der einzige Lebensinhalt war. Die Gemeinschaft konnte aufgrund dieses solidarischen Prinzips
das Problem der Urschuld lösen.
Im Gegensatz zu unserer Gesellschaft, die dieses Problem bis zum heutigen Tage nicht gelöst hat. Da existiert ein
riesiger Schuldenberg, die permanente Ausbeutung der Natur und des Menschen, sowie der debitistische Zwang,
immer so weiter zu machen bis zum Zusammenbruch.
Eine Entwicklung kann erst stattfinden, wenn das Problem der Urschuld gelöst ist. Erst dadurch entsteht das
Potenzial sich mit dem Lebenssinn und höheren Zielen auseinanderzusetzen. Der Lebensinn ist oder kann viel
mehr sein, als das Problem des Überlebens zu lösen. Es ist jedoch das erste Problem, das einer Lösung bedarf.
Solange dieses Problem nicht gelöst wird – und es kann nur auf eine solidarische, soziale Weise gelöst werden –
wird es im Leben immer nur darum gehen „irgendwie durchzukommen“. Es ist ein schreckliches Armutszeugnis
des menschlichen Verstandes, das Leben ausschließlich mit der Arbeit um sein Überleben zu verbringen,
aus Angst zu verhungern.
Wenn man einen tieferen Grund sucht, weshalb unsere Gesellschaft in einer sinnlosen Arbeits- und Unterhaltungs-
kultur degeneriert und daran schließlich zugrunde geht, dann wird man hier die Ursache finden. Unser
gesamtes Potenzial wird ausschließlich dafür verwendet, Geld zu erwirtschaften oder die Konsequenzen dieses
Wirtschaftens zu reparieren. Mehr ist es nicht.
Daher simulieren wir nur eine Gesellschaft, eine Kultur, einen Lebenssinn und eine Ethik. Wir simulieren diese
Dinge, weil wir nicht das Potenzial besitzen, sie Wirklichkeit werden zu lassen. Es gibt die Möglichkeit Dinge
in die Wirklichkeit zu bringen, wenn das Potenzial dafür zu Verfügung steht. Das Leben ist keine Simulation,
wie Du vermutest. Es ist Wirklichkeit, die noch nicht verwirklicht wurde und daher nur als Möglichkeit in
unseren Köpfen existiert. Die Idee ist eine Sache, die Verwirklichung dieser Idee eine ganz andere.
Inzwischen leben wir in einer Welt, die nur noch aus Ideen und Vorstellungen besteht, aber keine Wirklichkeit
mehr hat. Das ist das, was Baudrillard zu sagen versucht.
Gruß
nemo