Die Welt ist Text
Hallo Rybezahl,
Hallo Ostfriese!
Der
Signifikant (=Ausdrucksseite) bildet das Signifikat (=Inhaltsseite)
eines
Zeichens nie vollständig ab – die Zeichen gehen immer der
Körperlichkeit voraus.
Ich verstehe den Gedanken der Inflation der Zeichen vor dem Hintergrund
einer zunehmend komplexer werdenden Welt.
der Hintergrund ist für mich die Machttheorie und der Debitismus mit seinem Zwang zur Aufschuldung, der zur Notwendigkeit des realökonomischen Wachstums im weitesten Sinne führt und damit eine komplexer werdende Welt erzeugt und widerspiegelt. Dem muss die 'wahnhaften Besessenheit der Überbietung und Übertreibung der Zeichen' (Seite 111) vorausgehen.
Bedeutungen werden zwangsläufig
unscharf oder bedürfen neuer Differenzierungen, alles verliert sich in
Beliebigkeit und pausenloser Reproduktion, um neuen Sinn zu stiften, das
Rad zu drehen - am Rad zu drehen.
Aber gehen die Zeichen immer der Körperlichkeit voraus, oder liegt hier
nicht vielmehr der Irrtum vor, dass im Angesicht der Flut der Zeichen kein
handfester Ursprung mehr ausgemacht werden kann?
Ich hatte versucht, das an einigen Beispielen zu verdeutlichen, wie die nachfolgende Realität durch die vorangehende Montage von Bildern konstruiert wird, wenn wir die Begriffe 'Körperlichkeit' und 'Zeichen' in einem weiteren Umfang – wie JB es vollzieht – gebrauchen. Worauf beziehen sich die Bilder? Der Mensch wird durch ihm vorgelagerte Modelle und codes definiert – z. B. durch 'Dresscodes'. Die Bilder erzeugen eine neue Wirklichkeit. Die Inflation der Zeichen führt zur Inflation der Körperlichkeit. Würde die vollständige Erklärung der Welt mittels Zeichen (Texte, Bilder, 'Erweiterte Realität', usw.) nicht ihre Verdoppelung bedeuten? Geht das? Die Textwerdung und Verbildlichung der Welt muss deshalb immer unvollständig bleiben.
»Was man radikal in Zweifel ziehen muss, ist das Prinzip der Referenz des Bildes, jene strategische List, mit der es immer wieder den Anschein erweckt, sich auf eine reale Welt, auf reale Objekte zu beziehen, etwas zu reproduzieren, was ihm logisch und chronologisch vorausliegt. Nichts von alledem ist wahr. Als Simulakrum geht das Bild dem Realen vielmehr voraus, insofern es die logische, die kausale Abfolge von Realem und Reproduktion umkehrt.«
Zitiert von S. Strehle in: Christian Steuerwald, Klassiker der Soziologie der Künste, Seite 709
Das scheint mir schon eher
der Fall zu sein und in diesem Sinne deute ich auch den Begriff der
Simulation, das langsame entgleiten ...
Baudrillard hat in seinen dreistufigen – sogar vierstufigen – Betrachtungen (Archaik, Imitation, Produktion, Simulation) seines Hauptwerkes die Entwicklung bis in die heutige Zeit in Worte und Sätze gefasst.
... der wahren Lebensgrundlage des
menschlichen Lebens zugunsten einer auf Sand gebauten Scheinwelt.
Die wahre Lebensgrundlage – die auf Sand gebaute Scheinwelt – gibt es nicht: Sie ist die hyperreale Realität. Noch kürzer: Sie ist die Realität – eine andere gibt es nicht. Auch in den Diskussionen des Forums genießen wir die Meisterhaftigkeit der 'Überschreitung und Übertreibung' der User – ein Genuss, wie die Hemmungslosigkeit der Kommunikation zum 'Realitätsrausch' (Seite 135) führt.
Auf der Seite 13 erinnern mich die Sätze:
"Das ist das Schicksal eines jeden Systems, das sich durch seine eigene Logik zur totalen Perfektion und zur totalen Zerrüttung verurteilt, zur absoluten Unfehlbarkeit und also zur unwiderruflichen Ohnmacht: Alle gebundenen Energien zielen auf ihren eigenen Tod. Darum ist die einzige mögliche Strategie katastrophisch, nicht dialektisch. Man muss die Dinge bis zum Äußersten treiben, bis zu jenem Punkt, an dem sie sich von selbst ins Gegenteil verkehren und in sich zusammenstürzen."
an die Gedankenwelt von Paul C. Martin über ein 'game over' und an die Quintessenz der "Textwerdung des Menschen und dem letztendlichen Verschwinden der Menschlichkeit" von @Ashitaka am eventuellen Ende eines globalen zivilisatorischen Durchganges und der Geschichte in den letzten Jahrtausenden, wie wir meinen, sie zu kennen.
Wie die Ideenwelten doch zusammenlaufen und sich vereinen!
Gruß vom
Rybezahl.
Gruß zurück – Ostfriese