Beide Grafiken zur Sterblichkeit sind untauglich (analytischer Dreck)

paranoia, Die durchschnittlichste Stadt im Norden, Montag, 07.08.2023, 19:08 (vor 474 Tagen) @ Dieter1776 Views
bearbeitet von paranoia, Montag, 07.08.2023, 19:13

Hallo Dieter,

wenn Du die Sterblichkeit und insbesondere Übersterblichkeit analysieren willst, musst Du folgendes Tun:

Berechne die Sterblichkeit wie folgt:

Betrachte die Bevölkerung im Jahr x.
Zähle die Anzahl der Geburten, der 1-jährigen, der 2-jährigen ... dieser Population, Männlein und Weiblein getrennt.
Das Ergebnis ist eine Matrix mit zwei Spalten, pro Geschlecht eine Spalte und für jedes Alter eine Zeile.

Zähle am Ende des Jahres, wieviele Tote es in jedem Kasten der Matrix gab, z.B. die Anzahl der verstorbenen 52-jährigen Männer.

Dividiere die Toten in jeder Kategorie durch die Anzahl der Mitglieder, also

z.B. 15000 tote 52-jährige Männer dividiert durch eine Menge von 3 Millionen lebenden 52-jährigen Männern, macht 0,5%.

Die Sterblichkeit im Betrachtungsjahr für 52-jährige Männer liegt also empirisch bei 0,5%.
Mit Hilfe der Populationen zu Jahresbeginn und der Tote in jeder Kategorie ermittelst Du die empirische, realisierte Sterblichkeit im Betrachtungsjahr x.

Dasselbe machst Du im Jahr x+1 und in den folgenden Jahren.
Du hast dann eine Datenbank von Sterblichkeitsraten, alters- und geschlechtsabhängig über fünf Jahre.

Dann mittelst Du in jeder Kategorie über Deinen Betrachtungszeitraum, also z.B.
bei 52-jährigen Männner im Jahr

Jahr Sterblichkeit
x 0,5%
x+1 2%
x+2 0,4%
x+3 0,3%
x+4 0,4%

Das macht eine durchschnittliche Sterblichkeit der 52-jährigen Männer von 0,72%.

Die Sterblichkeit ist eine relative Größe, weil sie die Anzahl der Toten relativ in den einzelnen Klassen erfasst.
Die absolute Anzahl der Toten ist eine bezugslose Größe ohne Aussagekraft.
Interessant ist der Vergleich der Sterblichkeit über Jahre hinweg, siehe oben im Beispiel.

Hast Du einmal eine solche Sterblichkeitstabelle gebastelt, ist Dir egal, wieviele lebendige Mitglieder es in den jeweilige Klassen gibt. Du kannst mit Hilfe der Sterblichkeitstabelle die erwartete Totenzahl jeder beliebigen Population berechnen, sofern sie denn dasselbe Sterblichkeitsverhalten aufweist.

Allerdings differenziert man in Deutschland noch weiter, ich las' einmal von Deutschland/West und Deutschland/Ost.

Eine steigende Anzahl von Toten ist kein Weltuntergang, eventuell handelt es sich um eine aussterbende Population mit vielen alten Menschen.

Die Sterblichkeitstabelle berücksichtigt das.

"% of additional deaths compared with average monthly deaths in 2016-2019" ist analytischer Dreck ohne Erkenntnisgewinn!

Wenn Du aber die Durchschnittssterblichlichkeit in jeder Alters- und Geschlechtsklasse mit der Anzahl der Menschen in dieser Klasse multiplizierst, gewinnst Du eine Anzahl von zu erwarteten Toten in einer Rechnung, die die relative Häufigkeit in den Altersklassen berücksichtigt.

Das ist bei der Eurostat-Grafik nicht der Fall.
Du kannst dann die geschätzte Anzahl von Toten auf Basis der von Dir ermittelten Durchschnittssterblichkeit in den einzelnen Klassen Jahr für Jahr vergleichen mit den tatsächlichen Toten. Das ist meiner Meinung nach dann analytisch in Ordnung.

Die Toten, aber auch die erwarteten Toten in den einzelnen Jahren aber miteinander zu vergleichen ist aber Kokolores, wie der Rheinländer zu sagen pflegt!

=> kein Vergleich der Toten auf der Zeitachse! Das ist Unsinn!
=> Immer Vergleich der erwarteten Toten mit den realisierten Toten.

Die Sterberate aus dem ersten Link ist auch Kacke.
Wie sieht denn die Population aus?
Altersheim oder Fußball-Nationalmannschaft?

Ich hoffe, ich konnte etwas vermitteln. Verzeih' mir die umgangssprachlichen Formulierungen!

Danke.

Gruß
paranoia

P.S.:
Als börsentechnische Analogie muss ich irgendwie an historische Volatilität und implizite Volatilität von Optionen denken...

--
Ich sage "Ja!" zu Alkohol und Hunden.


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