Gesellschaftswissenschaften sind natürlich Ideologiewissenschaften, aber wir werden den Beweis bald in Händen haben

Mephistopheles, Donnerstag, 29.07.2021, 19:34 (vor 996 Tagen) @ Taurec2118 Views
bearbeitet von Mephistopheles, Donnerstag, 29.07.2021, 19:59

Hallo!

Das Konzept der Dunbarzahl scheint in der Wissenschaft mittlerweile stark angeschlagen sein:
https://www.scinexx.de/news/biowissen/mythos-von-maximal-150-freundschaften-widerlegt/

„Die theoretische Grundlage der Dunbar-Zahl ist wackelig“, sagt Lindenfors. „Wir haben daher noch einmal getestet, ob es statistische Belege für diese Idee gibt.“ Dazu versuchten die Forscher, Dunbars Berechnungen anhand neuer Daten zur Hirn- und Gruppengröße verschiedener Primatenarten zu replizieren.

Das Ergebnis: Je nachdem, welche statistischen Methoden sie anwendeten, kamen dabei ganz unterschiedliche Resultate heraus – teils mit deutlich niedrigeren, teil mit deutlich höheren Zahlen.

In allen Fällen waren die sogenannten 95-Prozent-Konfidenzintervalle, die den Rahmen der statistischen Unsicherheit angeben, so groß, dass sich keine zuverlässige Grenze bestimmen ließ. „Die enormen Konfidenzintervalle bedeuten, dass die Angabe einer einzelnen Zahl sinnlos ist“, schreiben die Autoren. „Eine kognitive Grenze für die menschliche Gruppengröße lässt sich auf diese Weise nicht ableiten.“

Abgesehen davon, dass die Dunbar-Zahl statistisch nicht haltbar ist, hat sie sich auch praktisch bereits in vielen Fällen als unzutreffend erwiesen. Zwar passte sie tatsächlich zur ungefähren Gruppengröße mancher indigener Gemeinschaften, „aber empirische Beobachtungen haben seither eine weite Spannbreite von Gruppengrößen ergeben“, so Lindenfors und seine Kollegen.

Überdies ging Dunbars Theorie davon aus, dass man die menschlichen kognitiven Sozialfähigkeiten einfach aus dem Volumen einer Hirnregion ableiten und durch den Vergleich mit Affen abschätzen könnte. „Doch die Gehirne anderer Primaten verarbeiten Informationen nicht genauso wie menschliche Gehirne“, betont Lindenfors. Völlig unberücksichtigt bleibe beispielsweise die Bedeutung der menschlichen Kultur.

Er vermutet, dass Dunbars Zahl deshalb so weit verbreitet ist, weil sie so plakativ und einfach zu verstehen ist. „Unsere Behauptung, dass es nicht möglich ist, eine Zahl zu berechnen, ist dagegen nicht ganz so unterhaltsam“, so der Forscher. In der Veröffentlichung schreibt sein Team dennoch: „Wir hoffen, wenn auch vielleicht vergeblich, dass diese Studie der Verwendung der Dunbar-Zahl in der Wissenschaft und in den populären Medien ein Ende setzt.“

Die Autoren führen aus: „Die ökologische Forschung zur Sozialität von Primaten, die Einzigartigkeit des menschlichen Denkens und empirische Beobachtungen deuten alle darauf hin, dass es keine harte kognitive Grenze für die menschliche Sozialität gibt. Unsere Reanalyse liefert den letzten Beweis, der nötig ist, um Dunbars Zahl zu ignorieren.“

Auf die Dunbarzahl argumentativ weiterhin zu rekurrieren, ist also nicht ratsam.

Genau so funktioniert Wissenschaft heutzutage. Es gibt nämlich keine Wissenschaft mehr von Einzelforschern die sich in jahrzehntelanger mühevoller Kleinarbeit in ihrem stillen Kämmerschen wissenschaftliche Erkenntnisse abringen, sondern es gibt bestimmte Gruppen, die bestimmte Erlenntnisse haben wollen. Und immer dann, wenn bestimmte wissenschaftliche Erkenntnisse gefordert sind, dann gibt es Forschungsmittel, manchmal von privater, meist von öffentlicher Hand. Wenn die zu erwartenden Ergebnisse unerwünscht sind, dann fließen auch keine Forschungsgelder. Die Wissenschaftler sind natürlich nicht dumm, bevor etwas veröffentlicht werden kann muss erst jahrelang geforscht werdn, in dieser Zeit müssen Löhne und Gehälter und Auslandsaufenthate finanziert werden und am ende wird das Ergebnis abgliefert, meist mit der Maßgabe, dass weitere Forschungen erforderlich sind. Wie ist das nun mit den zu erwartenden Forschungsgeldern, wenn die wissenschaftler mal ein Ergebnis abliefern, was so gar nicht den Erwartungen der Geldgeber entspricht?

Aber den tatsächlichen Beweis für Dunbars Number werden wir bald in Händen halten.
Angenommen, es kommt zu einem Blackout, wo 500 Millionwn Menschen davon betroffen sind.
Wenn nun das Stromnetz wieder in aufgebaut werden kann (wenn überhaupt*), wer war es dann?

- 3-4 Genies?
- eine Gruppe von 100-150 Spezialisten, die zusammengearbeitet haben?
- Milllionen Betroffenen, die gegen den Blackout demonstriert haben?

Was meint ihr?

Vielleicht gibt es eine Grenze der maximalen Gruppengröße. Diese wäre denkbarerweise aber vom kulturellen Entwicklungsstand abhängig: Früh- und Urmensch, Nomaden- vs. seßhafte Stammesverbände, Hochkultur (darin ländliche Frühzeit vs. späte Stadtkultur), Zivilisation

In einer Zivilisation gehört jeder unendlich vielen Gruppen an. Was sich bei deiner Aufzählung ändert, ist nicht die Gruppengröße, sondern die Anzhl der Gruppen, denen einer angehören kann. Nicht die Gruppenzugehörigkeit, aber die Anzhl der Gruppen, denen einer angehören kann, scheint durchaus vom Intelligenzquotienten abhängig zu sein.

(wobei hier wohl zwischen eher ländlichen und urbanen Lebensweisen bzw. "Somewheres" und "Anywheres" zu unterscheiden wäre). Sie könnte sogar höchst individuell von der Persönlichkeitsstruktur (introvertiert vs. extrovertiert) oder gar dem Intelligenzquotienten abhängig sein, nachdem bestimmte Modelle der Intelligenztheorie sie schlicht mit der kognitiven Geschwindigkeit und der Gedächtnisspanne verbinden, was einen gewissen Erklärungswert zu haben scheint. Somit wären klügere Menschen in der Lage, mehr Kontakte und größere Gruppen (= schneller wechselnde Kontakte, mehr und komplexere zu verarbeitende Informationen) zu handhaben als solche am unteren Ende des Intelligenzspektrums – ganz unabhängig von der physischen Gehirngröße. Man könnte davon ausgehend ferner vermuten, daß Populationen mit höherem durchschnittlichem Intelligenzquotienten (Juden, Asiaten, Europäer) größere Gruppengrößen als weniger intelligente (z. B. Teile Afrikas?) aushalten können. Das ist aber alles spekulativ und weit davon entfernt, für irgendeine Gruppe einen Wert zu definieren, ab dessen Überschreitung die Zusammenarbeit schlechter funktioniert und die Gruppe zum Zerfall neigt.

Gruß
Taurec

Gruß Mephistopheles

*) Ob das Stromnetz wiederaufgebaut werden kann ist zeitabhängig. Die Wahrscheinlichkeit der Wiedererrichtung singt von Tag zu Tag. Es ist wie bei einem Atemstillstand. Je länger der andauert, um so geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Betroffene wieder ins Leben zurückgeholt werden kann. Meph


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