Aus Goethes "Faust I"

Otto Lidenbrock, Nordseeküste, Donnerstag, 23.07.2020, 11:58 (vor 1345 Tagen) @ Falkenauge1612 Views

Aus Goethes "Faust I" (Faust spricht zu Wagner, seinem wissenschaftlichen Gehilfen):

Faust:

Oh könntest du in meinem Inneren lesen,
Wie wenig Vater und Sohn
Solch eines Ruhmes wert gewesen!

Mein Vater war ein dunkler Ehrenmann,
Der über die Natur und ihre heiligen Kreise,
In Redlichkeit, jedoch auf seine Weise,
Mit grillenhafter Mühe sann.

Der, in Gesellschaft von Adepten,
Sich in die schwarze Küche schloss,
Und, nach unendlichen Rezepten,
Das Widrige zusammengoss.

Da ward ein roter Leu, ein kühner Freyer,
Im lauen Bad, der Lilie vermählt
und beide dann, mit offnem Flammenfeuer,
Aus einem Brautgemach ins andere gequält.

Erschien darauf, mit bunten Farben,
Die junge Königin im Glas,
Hier war die Arznei, die Patienten starben,
und niemand fragte: Wer genaß?

So haben wir, mit höllischen Latwergen,
In diesen Tälern, diesen Bergen,
Weit schlimmer als die Pest getobt.
Ich habe selbst den Gift an Tausende gegeben:
Sie welkten hin, ich muss erleben,
Dass man die frechen Mörder lobt.

Johann Wolfgang v. Goethe (1749-1832)

--
"Eine Gesellschaft befindet sich im vorübergehenden oder finalen Verfall, wenn der gewöhnliche, gesunde Menschenverstand ungewöhnlich wird."

William Keith Chesterton


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