Auch Gutes haben wir geleistet

Rotti, Pampa, Donnerstag, 03.08.2017, 09:28 (vor 2459 Tagen) @ Otto Lidenbrock1765 Views

Ich hatte als männlicher Nachkriegsdeutscher auch noch das vermeintliche
Privileg, in einer dieser tollen, auf das wirkliche Leben vorbereitenden,
mich läuternden "kostenlosen Erziehungsanstalten" gehen zu müssen.
Eineinviertel Jahre meines bis dato noch so kurzen Lebens durfte ich beim
"Barras" hautnah, live und in Farbe miterleben, was es alles für Menschen
gibt und wozu diese fähig sind.

Ein Gutes hat diese Zeit tatsächlich gehabt. Ich verlor innerhalb von
wenigen Wochen sämtliche Illusionen, die ich vorher über das Leben und
die Menschheit gehabt hatte, die mir von meinen Lehrern in mühevoller
Kleinarbeit eingetrichtert wurden. Seither habe ich über Menschen eine
völlig andere Meinung und lasse mich nicht mehr so leicht täuschen.

Ansonsten aber war diese Zeit einfach nur schrecklich. Geläutert war ich
aber nicht von meiner unfertigen, naiven Persönlichkeit, sondern von
meiner Vorstellung, dass Menschen im Grunde altruistische, aufgeschlossene
und sozialkompetente Wesen seien.

So viele Arschlöcher, wie ich sie damals kennenlernen musste, habe ich
auf einem Haufen tatsächlich niemals wieder gesehen. Es gab nur eine
Möglichkeit, diese Zeit psychisch einigermaßen heil zu überstehen: Man
musste lernen, täglich sein Gehirn am Kaserneneingang abzugeben, ansonsten
lief man Gefahr, einen ernsthaften psychischen Schaden davonzutragen.

Wer das erlebt hat, was ich bei dieser Ansammlung von rohen, primitiven
Psychopathen erleben musste, würde mit Sicherheit nicht gefühlsduselig
und sozialromantisch von "Erziehung", "Läuterung" und "positiven
Auswirkungen" für die Betroffenen sprechen.

Sorry, das musste ich aus meiner persönlichen Sicht an dieser Stelle los
werden. Und ich stehe mit dieser Meinung nicht alleine da, mehr als 100
"Kameraden" würden mir mit Sicherheit beipflichten.

Jedenfalls bin ich sehr froh, dass mein Sohn diese Hölle nicht
durchmachen muss!

Servus Otto Lindenbrock!

Meine Grundwehrdienstzeit möchte ich nicht missen. 1989/90 habe ich als W15 meine Dienstzeit abgeleistet. Neben dem Erlernen von Ordnung und Sauberkeit, waren es genau, die von Dir kritisieren Punkte, die einen auf das Leben vorbereiteten. Man lernt, dass entgegen der Schulweisheiten, der Mensch eben nicht nur gut und edel ist.
Zeitsoldaten wurden von uns Wehrpflichtigen i.d.R. als "Zivilversager" angesehen. Es mag pauschalierend sein, aber ein gewisses Maß an Wahrheit steckt sicher dahinter.[[freude]]
Mein persöhnliches Fazit sieht wie folgt aus:

- Die Welt kann hässlich sein
- es gibt so Sachen wie Krieg
- um einen Krieg zu verhindern, muss man wirksam abschrecken können
- Humanismus sollte nicht gleichbedeutend mit naiv und dumm sein

Während meiner Dienstzeit ging in Ungarn der eiserne Vorhang auf.
Im Sommer 1989 überrollten uns dann die Ereignisse. Stationiert war ich als Panzerfahrer (Leopard 1) in Waldstatt bei Kirchham in Niederbayern. Über Nacht haben wir damals unsere Kaserne für die ankommenden Flüchtlinge aus der ehemaligen DDR hergerichtet. Unsere Stuben haben wir ausgeräumt und vom Rest des Kompaniegebäudes abgesperrt. So wurde das bei zwei Panzerbatallionen gemacht. Im Laufe des Tages kamen dann die Menschen mit Bussen und Trabis am Standort an und bekamen ein vorübergehendes Notquatier. Sie waren dann ca 2 Wochen hier, bis der Staat was besseres hatte....................
Für mich war das eine unvergleichliche Erfahrung, man hat sozusagen ein historisches Ereignis hautnah miterlebt. Daran kann ich nichts schlechtes sehen.

M.f.G.
Rotti

--
Ich esse und trinke, also bin ich.


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