Weil Du uns ein Zuhause gibst und zur Familie gehörst - aus der Ferne.

modesto, Mittwoch, 15.02.2017, 20:37 (vor 2840 Tagen) @ Elli6807 Views

Lieber Jürgen,

jeden Tag sind wir hier, meine Herzdame und ich - wenn es mir soweit gut geht.

Dieses Jahr fing überall so an.
Ich war schon zweimal im Krankenhaus und habe die Schmerzen meines Lebens erlebt.
In den letzten 2 Jahren habe ich 20 Kilo verloren..
Ich kenne inzwischen Wochen am Stück, in denen keine feste Nachrung runtergeht.
Mein Magenschließmuskel (nach oben) macht was er will. Inoperabel und es gibt keine Medizin dafür.
Aber ich bin immer noch da!

Der Vater meiner Herzdame kämpft seit Wochen auf Intensiv um sein Leben.
Herz + Schlaganfall + Infektion.
In wachen Momenten schickt er Nachrichten, dass er auf den Frühling wartet, damit er bei offenem Fenster die Vögel wieder hören kann.
Er ist unter anderem ein Leben lang Pianist - und wird die geliebten Tasten, die ihm in allen Krisen geholfen haben, nie wieder spielen können.
Und doch wünscht er sich gefüllte Weinblätter als Mitbringsel.
Denn der Gaumen kann andere Genüsse zwar nicht voll, aber teilweise ersetzen.

Ich könnte mit den Tumoren beim Nachwuchs weitermachen und noch weiter ausholen. So einen Jahresanfang mit soviel Krankheit und Unfällen habe ich persönlich noch nie erlebt.
Uns erscheint es, als würde ringsherum alles zusammenkrachen.
..

Jeder Leidende stellt sich die Frage aller Fragen, meist sind es Phasen, in denen man dann irgendwie lernt, die neueste Einschränkung irgendwie als Dauerzustand zu akzeptieren.
Wie ein altes Auto oder ein Montagsstaubsauger, der dauernd repariert wird.
Dabei wird es/ er nicht besser, gehört aber zum Haushalt dazu und erfüllt noch seine Aufgabe.

Ich darf das so offen schreiben, weil ich mich selber als recht defekten Oldtimer sehe ;) - der aber immer noch nützlich ist im Rahmen seiner beschränkten Möglichkeiten.

Du bist für so viele Menschen so wertvoll, egal wie Du es anstellst, aber Du gibst zum Beispiel mir und meiner Herzdame, die mit den ganzen Kranken um sich herum momentan als einzig Starke (wie lange noch?) das Fähnlein hochhält, einen Ort mit dem Gelben, wo man sich nach Anstrengungen und Ärger und Aufregungen des Tages mit einer Tasse Warmen zurückzieht und liest und ggfs. seinen Beitrag leisten kann zu einem Thema.
Wir fühlen uns in einer starken Gemeinschaft aufgehoben.

Verstehen kann ich Dich gut, wie oft habe ich diese Gedanken.
Aber dann denke ich an alle die, denen ich weh tun würde. An all die kleinen Arbeiten, die ich erledige. Mal gut, mal besser, mal nur halbherzig, weil die Kraft gerade fehlt.
So wie Du dieses großartige Forum leitest.

In dem Moment jedoch, wo ich vor Schmerzen nicht mehr aus noch ein wüßte und mit der Gewißheit, dass sie nicht mehr weggehen, würde ich es bevorzugen, mich zu verabschieden.
Doch dank der modernen Medizin gehts weiter und ich habe auch gute Phasen, in denen ich mich erfreue an allem, was um mich herum entsteht, sich bewegt und weiterentwickelt. Auch wenn ich selber nicht mehr meine Ideen körperlich umsetzen kann, so kann ich doch beobachten.

Wäge gut ab, ob es auch Schönes, Lebenswertes gibt.
Eine gute Mahlzeit, ein Buch, ein lieber Besuch, eine rege Diskussion im Forum, ein verschwundener Schmerz, eine Person, die für Deine Hilfe dankbar ist, der Sonnenschein auf der Bettdecke bei lauer Luft und Vogelzwitschern im Frühling, eine Ausfahrt mit freundlicher Betreuung, ein Lachen über eine gute Pointe, die Freiheit, keinem unterstellt zu sein und auf Befehl zu arbeiten......

In jedem Falle von uns beiden von Herzen alles Gute
modesto und Herzdame


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