OK! Letzter Nagel ...
Hallo mabraton -
die großartig traurigen Ereignisse dieser Tage ergreifen halt auch mich! Aber ich werde mich gleich wieder 'benehmen'!
Bevor ich zum letzten Schlag aushole, bitte kurz drei Vorbemerkungen. Ich habe drei Perspektiven: (1) Erstens eine persönliche, die mich angreift wegen dem entsetzlichen Leid, wegen den irren Schäden und Materialverschwendungen, die durch die aktuellen Kriegstreibereien (von wem auch immer) verursacht werden. (2) Zweitens muss ich wenigstens (und leider) echt seiten- und stundenlang lesen, damit ich begreife, was da überall im Detail abläuft. Auch das ist sehr mühsam. (3) Drittens geht es mir aber am Ende um die richtige Erkenntnis zyklischer Zusammenhänge. Was man da sieht, ist die Anstrengung wert.
Zuerst zu (2): da liegen wir vermutlich nicht weit auseinander. Ich hatte von einem Rumpfstaat gesprochen, auf den es wohl hinausläuft. Putin darf froh sein, den Assad los zu haben (Erleichterung ...), kann vielleicht aber einen Landstrich weiterhin als Stützpunkt behalten. Hängt davon ab, ob und wie schnell seine Militärs das absichern und wie gekonnt seine Diplomaten das aushandeln können.
Sodann zu (3): es gibt extreme und (für den unbedarften historischen Beobachter) äußerst kuriose Parallelen zwischen der Epoche von Katharina der Großen und der bisherigen Regierungszeit von Putin. Ich werde das hier nicht ausbreiten, kann jeder selbst studieren. Aber vor 250 Jahren (das ist die Laufzeit des Zyklus) gab es halt ebenfalls einen Konflikt zwischen Russland und der Türkei (letztere beherrschte damals Syrien), in dessen Verlauf die Russen sogar zwei Male Beirut besetzten. Die Parallelen sind sehr, sehr weitgehend, reichen bis in persische Komplikationen hinein. Sogar russisch innenpolitische Parallelen gibt es, etwa wenn man den Aufstand von Pugatschew mit Nawalny vergleicht - oder wieder außenpolitisch die Spannungen zwischen Russland und dem damaligen Westen (seinerzeit Preußen, Habsburg, Polen, teilweise sogar schon ab 1783 die USA !!!). Am Ende des damaligen russisch-osmanischen Krieges ist es dann Russland gelungen, eine Marinebasis im Mittelmeer zu erhalten (auf einer griechischen Insel: Griechenland war damals eben ein Teil des Osmanischen Reiches) - und Russland behielt diese Basis bis ins 20. Jahrhundert. Aufgrund solcher zyklischen Entsprechungen, die ich in vielen anderen Fällen bewährt und bestätigt finde (ich bin aber noch bei der Arbeit ...), mache ich also eine Prognose wie "Russland wird Syrien nicht aufgeben". Inzwischen sehen wir, dass es nicht mehr um "Syrien" geht sondern um einen Stützpunkt. Mehr hatte die Katharina auch nicht rausholen können.
Aus der Perspektive der Gegenwartsanalyse, siehe oben bei (2), wäre ein kompletter Abzug aus "Syrien" für Russland überdies ein massiver Verlust an realer Macht, d.h. an Investitionen (Militärausgaben, Erdölinstallationen, Pipeline-Abmachungen etc. etc. - schlimmer als Libyen!), an Optionen für die Zukunft (fortgesetzte Einmischung in Nahost und Nordafrika). Und es wäre ein markanter Verlust an Vertrauen bei russischen Partnern sowie an Ansehen bei Gegnern. Auch von daher wird man sich in Russland bemühen, einen Fuß dort zu halten - selbst wenn man nachgeben oder vorübergehend weichen muss. Du hast das als 'verlorene Schlacht' bezeichnet, ich - wie im Falle von Cherson - als strategischen Rückzug. Es war im übrigen Katharina die Große, die die Krim an Russland brachte - so wie auch Putin nun wieder (damals ist der Ausdruck 'Neu-Russland' entstanden, weil die Gebiete zuvor ja osmanisch waren). Katharina kam aus Anhalt-Zerbst, hat Russisch erst erlernen müssen; eine der Biographien von Putin hat den Titel "Der Deutsche im Kreml", meint damit aber nicht nur seine deutschen Sprachkenntnisse. Neulich hat Putin einen deutschen Journalisten, der ihm eine Frage auf Englisch stellte, aufgefordert, er solle Deutsch sprechen - das sei eine Frage der persönlichen Souveränität ...
Aufgrund der nun über 30jährigen Beschäftigung mit Zyklen denke ich selbstverständlich über das Tagesgeschehen hinaus und habe nicht nur Russland im Fokus. Niemand braucht mir meine grummeligen Bemerkungen abnehmen.
Du denkst also weit über den Ukrainekrieg hinaus unter der Prämisse, dass Russland einen Krieg "extrem verlustreich verliert".
Welchen Krieg verliert Russland?
Den Krieg gegen den Westen, der ihm vom Westen, den halben Globus umspannend, aufgezwungen wurde.
Wer sind die Gewinner?
Es wird, außer China, keinen Gewinner geben.
Wie bereits gesagt, wird nach diesem (anstehenden bzw. sich nun mehr und mehr ausweitenden) Krieg Russland wieder auf einen Wachstumspfad einschwenken können. Zur zeitlichen Abschätzung folgender Vergleich:
Vom Tode der großen Katharina bis zu dem Zeitpnkt, da die kalmückischen Reiter des Zaren Alexander I. ihre Kamele im Rhein tränkten und in Paris bei der Siegesfeier die Fräuleins ebenda entzückten, und bis der 69jährige General Suworow wie Hannibal sieben Schweizer Pässe überquerte (noch heute steht dort ein Denkmal für ihn und Tausende russischer Soldaten!) dauerte es knapp 20 Jahre - aber es brannte davor Moskau. Und Stalin hat die Deutschen niedergerungen und in Berlin dem Roosevelt leise geflüstert, er hätte sich mit ihm auch gern (wieder) in Paris getroffen. Aber was war der Preis, um Berlin zu erreichen?
Es wird diesmal kaum anders sein.
Vielleicht aber sind solch hingestreute Bemerkungen ohne den historischen Kontext (der auf einem Forum nicht darstellbar ist) eher kontraproduktiv.
Lassen wir also die schrägen Nägel stecken und schlagen keine neue mehr ein!
Grüsse, Weiner