Klaus von Dohnanyi: USA sind Gefahr für den Weltfrieden

Falkenauge, Freitag, 09.09.2022, 07:59 (vor 804 Tagen)4569 Views

Das inzwischen 94 Jahre alte SPD-Urgestein Klaus von Dohnanyi, früherer Erster Bürgermeister von Hamburg und Bundesbildungsminister, veröffentlichte im Januar 2022 ein Buch mit dem Titel Nationale Interessen, das mit der amerikahörigen deutschen Außenpolitik abrechnet. Es wurde in den Medien nicht gerade verrissen, aber vielfach als Zumutung empfunden. „Klaus von Dohnanyis Buch provoziert: Die Freundschaft zu Amerika sei ein Missverständnis. Eine wertegeleitete Außenpolitik eher hinderlich. Und eine harte Linie gegen Russland liege im Interesse der USA, nicht jedoch Europas“, fasst es der Deutschlandfunk knapp zusammen.1

Eine kurze, das Wesentliche übersichtlich auf den Punkt bringende Rezension des Buches hat der erfahrene Journalist und kritische Zeitbeobachter Dr. Bruno Bandulet, der längst aus den Mainstream-Medien ausgeschieden ist, unter dem Titel „Deutschland zwischen den Großmächten“ in dem Monats-Magazin Cato 5/2022 veröffentlicht. Sie soll nachfolgend referierend und zitierend dargestellt werden.

B. Bandulet wirft zunächst ein Schlaglicht auf das Buch, indem er aus einem Interview von Roger Köppel, dem Chefredakteur der schweizerischen Weltwoche, zitiert, das dieser im Mai mit „dem Grandseigneur der SPD“ führte. Da habe R. Köppel die Frage gestellt: „Sind die von mir eigentlich bewunderten Amerikaner zu einer Gefahr für den Weltfrieden geworden?“ Und von Dohnanyi habe geantwortet: „Herr Köppel, Sie haben mein Buch zu sorgfältig gelesen.“

Zu diesem Zeitpunkt sei besagtes Buch Nationale Interessen bereits in 6. Auflage erschienen. Die Rezensionen in den großen Blättern seien überwiegend positiv ausgefallen, von Dohnanyi habe offenbar einen Nerv getroffen – und doch hätte sich das politische Berlin in Schweigen gehüllt. Die Debatte, die der Autor anzustoßen hoffte, habe nicht stattgefunden. Das Buch, „genau zum richtigen Zeitpunkt“ (Süddeutsche Zeitung) erschienen, sei von denen, die in der Regierung Verantwortung tragen, ignoriert worden.

„Andererseits, ausgrenzen und heruntermachen konnten sie den betagten Hanseaten auch nicht:
Klaus von Dohnanyi, Jahrgang 1928, Sohn des im KZ Sachsenhausen ermordeten Widerstandskämpfers Hans von Dohnanyi, das letzte noch lebende Mitglied der ersten Bundesregierung Brandt, von 1981 bis 1988 Erster Bürgermeister Hamburgs, 1957 in die SPD eingetreten, ein Urgestein der deutschen Sozialdemokratie und ein Intellektueller, der jetzt nichts weniger vorlegt als ein Plädoyer für eine neue deutsche Außenpolitik.

Im Kern geht es ihm darum, dass sich Deutsche und Europäer nicht länger in amerikanische Kriege verwickeln lassen, auch nicht in einen künftigen Konflikt mit China; dass sich Europa emanzipiert, dass ein Ausgleich mit Russland gesucht wird, dass die deutsche Politik das wiederentdeckt, was er ´nationale Interessen` nennt. ´Billigen Antiamerikanismus` weist er von sich, immerhin zählt er seit langem zum einflussreichen Kreis der Atlantik-Brücke, und er kennt die Verhältnisse in den Vereinigten Staaten sehr genau.“

Von Dohnanyi versuche, die drei Großmächte USA, China und Russland zu verstehen, ihren geschichtlichen Hintergrund, die Logik ihrer Geopolitik, das Fundament ihres Handelns – ohne zu verurteilen. Die Verschleierung ihrer Machtinteressen, schreibe er, habe in den USA Tradition und dürfe uns nicht täuschen. Die Interessen der USA seien immer hart geopolitisch, ökonomisch und tief verwurzelt in ihrem Geschichtsverständnis als ´exceptional nation`. Noch immer beherrschten die USA Europa außen- und sicherheitspolitisch und zögen uns in ihre Konflikte mit den anderen Weltmächten hinein.

Dohnanyi:
„Es sollen nach ihrem Willen heute nicht die EU oder Deutschland sein, die ihre Beziehung zu China oder Russland nach ihren eigenen Interessen prägen, sondern es sollen die USA sein, die die weichenstellenden Entscheidungen treffen." (Hervorhebungen hl)
Wir Europäer seien
„Objekt US-amerikanischen geopolitischen Interesses und waren niemals wirklich Verbündete, denn wir hatten nie ein Recht auf Mitsprache.“

In diesem kühlen, distanzierten Ton, so B. Bandulet, werde auch die lange Vorgeschichte des aktuellen Stellvertreterkrieges in der Ukraine erzählt, von der NATO-Osterweiterung bis hin zur schon 2021 wachsenden Gefahr eines heißen Krieges. Das Buch sei im vergangenen November abgeschlossen worden und lese sich dennoch als „geradezu visionäre Analyse des Debakels in der Ukraine“, so R. Köppels Bewertung. Seine Stärke liege in der gründlichen Auswertung amerikanischer Quellen und Fachbeiträge.

„Wenn Dohnanyi im zweiten Teil seiner Studie auf Distanz zum EU-Zentralismus geht, wenn er ein Europa der Vaterländer favorisiert und für einen deutsch-französischen Schulterschluss wirbt, wird deutlich, dass er mit den Konzepten Charles de Gaulles sympathisiert. Aus der Nato auszutreten hielte er für ´einen gefährlichen Fehler`, er nennt aber eine am Ende ´allianzneutrale Position` als wünschenswertes Ziel Europas, weil ein großer Krieg ein ´erneut total zerstörtes Europa, aber ein völlig unbeschädigtes US-Amerika` hinterlassen würde. Nicht zufällig wird Helmut Schmidt mit dem Satz zitiert: ´Wir haben schließlich auch kein Interesse an einer Verteidigungsstruktur des Westens, die von der sowjetischen Führung als Provokation angesehen werden könnte.`

Von Dohnanyi erinnert sich an eine Nato-Übung in einem Bunker in der Nähe von Bonn Ende der siebziger Jahre, bei der er den damaligen Bundeskanzler Schmidt vertrat. Gegen drei Uhr morgens hätten sie sich kurz schlafen gelegt.
´Als wir dann nach zwei Stunden aufstanden, erfuhren wir, dass die USA zur Verteidigung Europas gegen den simulierten sowjetischen Angriff kleinere taktische nukleare Sprengsätze über Deutschland abgeworfen hatten, um einen Cordon sanitaire, einen Sicherheitsgürtel, gegen einen weiteren russischen Vormarsch zu starten` - und dies ohne Abstimmung mit der Bundesregierung. Etwas später habe er mit Schmidt darüber gesprochen. Der Kanzler habe bemerkt, ihm sei diese Strategie der Nato bekannt und er werde, sobald kriegsähnliche Entwicklungen in Europa erkennbar würden, Deutschland für neutral erklären.“

Von Dohnanyi erzähle diese erstaunliche Episode, um seine Argumentation gegen die „nukleare Teilhabe“ Deutschlands zu untermauern. Die sehe bekanntlich so aus, dass im Ernstfall deutsche Piloten auf amerikanischen Befehl mit Atombomben in Richtung Russland starten. An dieser Teilhabe halte auch die derzeitige Bundesregierung fest.

Realität sei, dass sich die deutschen Eliten ebenso wie der EU-Apparat in Brüssel in der amerikanischen Hegemonie bequem eingerichtet hätten. Nur solle über die wahren Machtverhältnisse nicht geredet werden.

Kritisch bleibe anzumerken, so B. Bandulet abschließend, dass der Autor zu große Hoffnungen in die neue Bundesregierung setze. Dass sich die früher einmal pazifistischen Grünen als lupenreine Bellizisten entpuppen würden, habe er sich nicht vorstellen können. –

Von Dohnanyi sollte nicht überhört werden. Eine vorurteilsfreie, grundlegende Debatte über deutsche Außenpolitik sei überfällig.

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1 deutschlandfunkkultur.de

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Quelle:
https://fassadenkratzer.wordpress.com/2022/09/09/klaus-von-dohnanyi-usa-sind-gefahr-fur...


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