Leserzuschrift: "Eine digitale Straße in die Hölle?" - Neuer Bericht stellt digitale IDs in Frage

Ikonoklast, Federal Bananarepublic Of Germoney, Samstag, 23.07.2022, 09:05 (vor 853 Tagen) @ Ikonoklast3535 Views

"Eine digitale Straße in die Hölle?" - Neuer Bericht stellt digitale IDs in Frage

Große Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes und der bürgerlichen Freiheiten.

Das Center for Human Rights and Global Justice der New York University School of Law hat einen 100-seitigen Bericht über digitale Identitätsnachweise und die Fallstricke dieser Technologie veröffentlicht, die sich inzwischen an vielen Orten der Welt ausbreitet.

Der Bericht [1] mit dem Titel "Paving a Digital Road to Hell?" untersucht (biometrische) digitale Ausweissysteme, die unter anderem von der Weltbank vorangetrieben werden, speziell unter dem Gesichtspunkt der Menschenrechte, vor allem im "globalen Süden".

Und obwohl viele sagen würden, dass die gleichen Gefahren auch im "Globalen Norden" lauern, konzentriert sich das Papier auf den "Globalen Süden", um festzustellen, dass Menschenrechtsverletzungen in großem Umfang bereits mit dem Einsatz dieser Technologie verbunden sind.

Die Aufmerksamkeit, die den ärmeren Entwicklungsländern gewidmet wird, ergibt sich aus der Tatsache, dass die Weltbank mit ihrer ID4D-Initiative, einem Schlüsselelement "eines umfassenden globalen Netzwerks zur Förderung der digitalen Identität", auch auf diese Länder abzielt.

Neben den Regierungen (USA, Großbritannien, Frankreich) leisten auch die Bill & Melinda Gates Foundation und das Omidyar Network finanzielle Unterstützung.

Die Befürworter des digitalen Personalausweises stellen ihn als ein Instrument zur Beschleunigung der Entwicklung und zur Lösung anderer Probleme in Ländern wie Indien und Afrika dar, aber die schwächsten Bevölkerungsgruppen müssen noch erleben, wie sich ihr Lebensstandard dank dieser Technologie verbessert.

Und es ist bezeichnend, dass neben Institutionen wie der Weltbank vor allem Regierungen, Anbieter und Beratungsfirmen auf die Einführung dieser Systeme drängen - also diejenigen, die am meisten davon profitieren dürften - entweder monetär oder, im Falle der Regierungen, durch mehr Kontrolle und die Einführung eines höheren Maßes an Massenüberwachung.

Neben den im Bericht der New York University genannten Organisationen sind auch das Weltwirtschaftsforum (WEF) und die Vereinten Nationen (UN), insbesondere ihre Ziele für nachhaltige Entwicklung und die Agenda 2030, wichtige Befürworter der digitalen ID.

In jedem Fall werden diese Ausweissysteme als Instrumente zur Beseitigung der Armut und zur Förderung des Friedens angepriesen, doch Kritiker sehen darin nur den Zuckerguss für den eigentlichen Zweck: die zunehmende Verwendung biometrischer Daten, die Verfolgung sowie die monetäre und physische Kontrolle der Bürger.

Link: https://reclaimthenet.org/digital-ids-are-challenged-in-new-report/

[1] https://chrgj.org/wp-content/uploads/2022/06/Report_Paving-a-Digital-Road-to-Hell.pdf

Aus dem Report - 'Eine digitale Straße in die Hölle?':
ZUSAMMENFASSUNG

Regierungen auf der ganzen Welt entwerfen oder implementieren digitale Identifikationssysteme, oft mit biometrischen Komponenten (digitale ID). Die Verbreitung dieser Systeme wird durch einen neuen entwicklungspolitischen Konsens vorangetrieben, der besagt, dass die digitale Identität zu einer integrativen und nachhaltigen Entwicklung beitragen kann und eine Voraussetzung für die Verwirklichung der Menschenrechte ist. Es wird jedoch nur ein bestimmtes Modell der digitalen ID gefördert, das sich stark am Aadhaar-System in Indien orientiert. Solche digitalen ID-Systeme zielen darauf ab, dem Einzelnen eine "transaktionale" oder "wirtschaftliche" Identität zu geben, indem sie seine Einzigartigkeit feststellen. Das Versprechen ist, dass eine Person mit einer solchen wirtschaftlichen Identität sowohl mit staatlichen als auch mit privaten Akteuren Transaktionen durchführen kann. Dies wird den Zugang zu öffentlichen und privaten Dienstleistungen verbessern, das Wirtschaftswachstum ankurbeln und zum Entstehen einer echten digitalen Wirtschaft beitragen. Im Gegensatz zu herkömmlichen Systemen der zivilen Registrierung, wie z. B. der Geburtenregistrierung, umgeht dieses neue Modell der wirtschaftlichen Identität in der Regel alle schwierigen Fragen über den Rechtsstatus der registrierten Personen.

Viele halten die rasche und breite Einführung solcher digitalen ID-Systeme für höchst gefährlich. Aus vielen Ländern der Welt gibt es deutliche Hinweise auf tatsächliche und potenzielle, oft schwerwiegende und groß angelegte Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit diesem Modell der digitalen Identität. Solche Systeme können bereits bestehende Formen der Ausgrenzung und Diskriminierung bei öffentlichen und privaten Dienstleistungen noch wesentlich verschärfen. Der Einsatz neuer Technologien kann zu neuen Formen von Schäden führen, einschließlich biometrischer Ausgrenzung, Diskriminierung und der vielen Schäden, die mit dem Überwachungskapitalismus verbunden sind. [13] Die versprochenen Vorteile solcher Systeme wurden bisher nicht überzeugend nachgewiesen. Diese gefährlichen digitalen ID-Systeme können zu "Schmerz ohne Gewinn" führen. [14]

Die Weltbank spielt mit ihrer Initiative Identification for Development (ID4D) eine zentrale Rolle bei der weltweiten Förderung und Unterstützung dieses neuen Modells digitaler ID-Systeme. Eine wichtige Rolle spielt sie bei der Herstellung eines Konsenses auf dem neu geschaffenen Gebiet der "Identifizierung für Entwicklung". Durch die Definition des Problems einer "unsichtbaren Milliarde", die absolut keine offizielle Identität besitzt, und die Darstellung digitaler ID-Systeme als integrations- und rechte-fördernde Lösungen hat sie diesen Systemen Legitimität und ein Mandat verliehen. Dies geschah/geschieht durch umfangreiche Veröffentlichungen, technische Unterstützung für Regierungen und Wissensaustausch - unter anderem durch zahlreiche Gelegenheiten, aus den Erfahrungen mit Aadhaar in Indien zu lernen. Darüber hinaus hat die Bank inzwischen in 35 Ländern über 1,5 Milliarden US-Dollar für Identifizierungssysteme zur Verfügung gestellt. [15] Nach Angaben der Bank umfasst dies rund 390 Millionen US-Dollar für die Unterstützung von Einwohnermeldesystemen, was etwa einem Viertel der Investitionen entspricht. Regierungen in Ländern wie Nigeria, Mexiko, den Philippinen und in Westafrika erhalten von der Weltbank umfangreiche Finanzmittel sowie Unterstützung bei der Entwicklung und Umsetzung digitaler Ausweissysteme, die dieses neue Wirtschaftsparadigma darstellen.

Doch die Weltbank ist bei der Unterstützung der Agenda "Identifizierung für Entwicklung" bei weitem nicht allein. Obwohl die Bank eine entscheidende und zentrale Rolle bei der weltweiten Förderung dieser Systeme zu spielen scheint, hat sich ein vielfältiges Netz von Akteuren mit unterschiedlichen Interessen herausgebildet, die dieses Modell der digitalen Identifizierung unterstützen. Dazu gehören Regierungen, Stiftungen, Anbieter und Beratungsfirmen. Trotz oberflächlicher Verweise auf Menschenrechte und Entwicklungsziele zur Legitimierung dieser Aktivitäten fehlt in diesem globalen Netzwerk eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Menschenrechtsnormen und -werten derzeit fast völlig.

Dieses Dokument ist nicht nur eine Fibel über gefährliche digitale ID-Systeme und deren Förderung durch die Weltbank und das Netzwerk. Es ist auch ein Aufruf zum Handeln an das globale Ökosystem der Menschenrechte - einschließlich Menschenrechtsorganisationen und anderer Organisationen der Zivilgesellschaft, Experten und Aktivisten. Angesichts der Schwere der tatsächlichen und potenziellen Menschenrechtsverletzungen, die sich aus diesem Modell der digitalen Identität ergeben, schlagen wir nicht nur Alarm, sondern überlegen auch, was getan werden kann. Dieses Dokument endet daher mit praktischen Vorschlägen für das Menschenrechtsökosystem, einschließlich der Frage, wie sichergestellt werden kann, dass künftige Systeme Rechte verwirklichen und nicht verletzen.

[13] See generally, Shoshana Zuboff, The Age of Surveillance Capitalism (New York: PublicAffairs, 2017), https://www.publicaffairs-books.com/titles/shoshana-zuboff/the-age-of-surveillance-capi...
[14] Jean Drèze et al., “Aadhaar and Food Security in Jharkhand: Pain without Gain?,” Economic & Political Weekly, December 16, 2017.
[15] World Bank, “Identification for Development (ID4D) and Digitalizing G2P Payments (G2Px) Annual Report 2021” (Washington, DC: World Bank Group, 2021), 2.

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Grüße

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Ich bin und zugleich nicht.


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