Tabu? Corona und ÖPNV
Dass Menschenverdichtungen und die Ausbreitung von infektiösen Krankheiten korrelieren ist eine Binse. Mit Corona wurde das deutlich mit Ischgl als einem der Ausbreitungsherde, und dem schnellen Verbot von Großveranstaltungen. Kaum im Fokus steht dagegen der Öffentliche Personennahverkehr ÖPNV. Dort versammeln sich zweimal täglich an Arbeitstagen Massen von Menschen in teils engem Kontakt, die Kontaktpersonen wechseln - im Gegensatz zum Arbeitsplatz oder zu Schulen - ständig.
Deshalb stellt das RKI auch fest, dass dort keine Nachverfolgung möglich ist, der Ort ÖPNV als Verbreitungsherd quantitativ nicht erfasst werden kann. An erster Stelle steht dort der Haushalt. Nur, wie kommt das Virus in den Haushalt?
2011 hat die University of Nottingham eine Studie veröffentlicht: https://www.sciencedaily.com/releases/2011/01/110118122556.htm
Die Wahrscheinlichkeit, sich im Bus oder der U-, S-Bahn in Grippezeiten anzustecken, ist im Vergleich zur individuellen Fortbewegung sechsmal höher. Nicht berücksichtigt in der Studie sind Folgeansteckungen, wenn die Pflegekraft beispielsweise mit dem Bus ins Altenheim, oder aber ein Passagier, der nach Hause fährt.
Die Studie war klein. Es gab in diesem Jahr aber verschiedene Studien, die diese Frage adressierten. Teils kamen sie aus China, wo Passagiere mit Kameras überwacht sind, teils gab es gezielte Studien aus der Luftfahrt, um die optimalen Transportbedingungen zu finden. Keine der Studien hat aber die Verhältnisse untersucht, die wir auch lokal am Morgen haben, wenn Berufspendler und Schüler dicht gedrängt in die gleiche Richtung fahren. Dass Masken dort kaum Wirkung haben können, sagt schon der gesunde Menschenverstand. Die 'Infektionszahlen' steigen auch wohl nicht zufällig mit dem Ende der Sommerferien.
An anderer Stelle hier wurden die unterschiedlichen Sterberaten, je nach Land, diskutiert. Vor den Lockdowns und vor verpflichtenden Masken waren die Zahlen bereits unterschiedlich. Korreliert das möglicherweise mit der Nutzung und Dichte im ÖPNV? Der ÖPNV ist meist das urbane Verkehrsmittel Nr. 1, ganz besonders in großen Metropolen, wo auch die durchschnittliche Aufenthaltsdauer im ÖPNV wohl größer ist. Eine epidemiologische Auswertung dieser Verhältnisse wäre interessant.
Dem steht aber möglicherweise die Politik entgegen. In Deutschland hat beispielsweise die Deutsche Umwelthilfe DUH im Verbund mit Client Earth Feinstaub und zuletzt Stickstoffdioxidimmissionen als Vehikel genutzt, um Kommunen gerichtlich zum Ausschluss privater Pkw zu zwingen. 'Neue Mobilitätskonzepte' nennt sich das. Deutschland ist bei den Sterberaten besser weg gekommen, als Nachbarländer. Deutschland ist auch Autoland und das Land mit einem ÖPNV oft an der Kapazitätsgrenze, der eigene Pkw also attraktiver.
Im April war eine der ersten Maßnahmen einiger Kommunen, Personal von Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen bevorzugte Parkmöglichkeiten mit dem privaten Pkw zu schaffen. In Stuttgart, wo ein Team ehemaliger Aktivisten und Mitarbeiter aus dem Umweltbundesamt ältere Diesel aus einem 200 qkm großen Areal gezwungen hatte, hat man im April auf Druck, als der ÖPNV nicht mehr funktionierte, für kurze Zeit zähneknirschend Personal in medizinischen Einrichtungen auch wieder die Nutzung älterer Diesel erlaubt. Die Umweltpolitiker und Mobilitätsplaner sind aber penibelst darauf bedacht, den ÖPNV nicht als Verteilungsort Nr.1 für Grippeviren an die Öffentlichkeit dringen zu lassen. Das Thema scheint tabu zu sein.
Wer die U-Bahnen in Paris oder London mal genutzt hat, wird sich jedenfalls kaum wundern, wenn dort Ansteckungs- und Sterberaten am höchsten sind. Zahlenmäßig dürfte dort die Menschenkonzentration alles übersteigen, was sonst in Nachtbars u.a. zusammensteht.