Kaum
Hallo Tempranillo -
Du fragst, ob die politische Großwetterlage sich ändert. Ich frage zurück, was Du mit der 'Großwetterlage' meinst. Aus den Beispielen, die Du vorträgst, schließe ich, dass Du den alltäglichen Krimskrams meinst, mit dem sich das Forum hier überwiegend beschäftigt. Ja, das ist das politische Wetter, und das ist langweilig. Ich interessiere mich mehr für das soziale Klima. Das aber bleibt in etwa gleich.
Der wesentliche Bestimmungsfaktor für das soziale Klima ist die Verfügungsmacht über Produktionsmittel, Kapital, Geld, Grund und Boden, über Rohstoffe und "human ressources" (= Arbeiter & Konsumenten). Wer die ersteren kontrolliert, beherrscht auch die letzteren.
Unter den Kapitalisten (ich fasse mal unter diesem traditionellen Begriff die Verfügungsmächtigen zusammen) herrscht in der Regel Streit - und zwar so lange, bis sich ein Monopol gebildet hat. Zentralmacht ist immer das Ende einer Entwicklung (es sei denn die Zentralmacht unterwirft sich eine bereits existierende Bevölkerung bzw. Gebietskörperschaft).
Im Augenblick gibt es drei scheinbar starke Verfügungsmächtige. Der erste ist Xi, der zweite ist Putin, der dritte ist formell der Hampelmann in Washington. Aber weil der nicht zurechnungsfähig ist, stehen die angloamerikanischen Verfügungsmächtigen im Augenblick ohne Führung da und sind zerstritten. Was durchaus ein Vorteil sein kann ...
Die armen Menschlein, überwiegend im Westen (in den Weiten Asiens oder der Südhälfte des Globus interessieren sich nur Wenige für die Spielereien in der Nordwesthälfte), lassen sich nun in den Streit der drei Großen hineinziehen. Die Menschlein denken und hoffen, der eine Große könnte sie von den anderen Großen erretten - oder umgekehrt. Das ist natürlich kompletter Schwachsinn. Denn für jeden von den drei Großen sind die armen Menschlein nichts anderes als Objekte ihrer Verfügungsmacht - vor allem für den Fall, dass die Menschlein irgendwie brauchbar sind als Arbeiter oder Konsumenten. Andernfalls sind die Menschlein in den Augen der Großen nur lästiges Ungeziefer.
Ja, das Wetter ändert sich. Aber das Klima bleibt gleich. Oder mit einem anderen Bild ausgedrückt: der Fluß macht erkennbar demnächst eine Biegung, strömt auch ein wenig stärker, was auf Stromschnellen schließen lässt. Aber die Wasser des Flusses sind immer noch die gleichen, und das durchschnittliche Gefälle bzw. die gesamte Höhendifferenz bleibt dieselbe.
Ich warne zu glauben (und empfinde es als extrem naiv), dass Russland und China demnächst als Retter Europas hier anreisen werden. Die russischen Silowikis und die chinesischen Partitokraten sind keinen Deut besser als die angloamerikanischen und europäischen Verfügungsmächtigen. Denn wer die Disposition über das "Kapital" hat, erhält im gleichen Augenblick die Disposition über die Menschlein - und benimmt sich dann nicht mehr wie ein Mensch sondern eben wie ein sehr inhumaner Mächtiger.
Natürlich könnte ich hier ebenfalls seitenlang schreiben über die Großwetterlage oder die Tageswetterlage oder das Wetter in fünf Jahren. Aber wie eingangs gesagt: es langweilt mich. Interessanter fände ich die Frage: wie gewinnt und behält man Verfügungmacht über Produktionsmittel, Geld, Kapital, Grund und Boden und 'human ressources'. Weiß der Debitismus darüber etwas? Ich hatte das neulich mal gefragt, aber vermutlich wurde es überlesen. Oder die Antwort ist schwierig.
Zum Schluß eine ehrliche Antwort auf Deine ehrliche Frage: der Sieg Putins wird halten, solange Putin da ist. Wenn er nicht mehr da sein wird, wird Russland seinen gegenwärtigen Vorteil wieder verspielen. Der Chineser ist ingesamt stärker und hungriger, und die Amis etc. sind durchtriebener und bösartiger - und haben den längeren Atem.
Es tut mir echt leid.
Zum Trost vielleicht ein „Süßer Ruhegesang oder Friedensgesang“:
Streichquartet No. 16, Op. 135, III Lento assai
Grüsse, Weiner
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Leider finde ich auf die Schnelle keine bessere Aufnahme als
https://www.youtube.com/watch?v=38DA-F1V0t8
10:00 min bis 17:30 min