Solche Fragen liebe ich!

Weiner, Mittwoch, 04.09.2019, 08:42 (vor 1913 Tagen) @ Oblomow4184 Views

Hallo Oblomow,

darf ich, obwohl nicht an mich gerichtet, die Frage aus meiner Sicht vielleicht ein wenig aufhellen? Denn so richtig hat bislang niemand eine Antwort darauf, auch nach 1989 Jahren christlicher Theologie noch nicht.

Im vorletzten Jahrzehnt hat sich Eckhard Rau mit dem Problem rumgeschlagen, ist aber vor Abschluß seines Buches gestorben (Perspektiven des Lebens Jesu: Plädoyer für die Anknüpfung an eine schwierige Forschungstradition). Das Manuskript wurde dann als unvollendetes Opus von Silke Petersen herausgegeben (Kohlhammer, Stuttgart 2013). In zwei neueren Artikeln beschäftigt sich auch der Neutestamentler Ulrich Luz mit der gleichen Frage "Warum zog Jesus nach Jerusalem?" (In: Exegetische Aufsätze, Mohr Siebeck, Tübingen 2016)

Die Ausgangslage rekapituliert: Jesus musste erwarten, dass er, wenn er mit dem Anspruch eines Messias in Jerusalem auftreten würde, dort auf den erbitterten Widerstand der mit den Römern kooperierenden Tempelhierarchie stoßen wird. Zudem hat er durch entsprechende Handlungen (siehe die "Tempelreinigung") diese Opposition zusätzlich gezielt provoziert. Formal betrachtet war er ein Selbstmörder, der sich absichtlich in Lebensgefahr begab.

Und so fragen sich halt die Leute seit fast 2000 Jahren, warum hat er das nur gemacht? Die häufigste Antwort ist, dass er sich geopfert habe. Aber das verschiebt nur die Frage: warum und für wen hat er sich denn geopfert? Es gibt mindestens zwei Dutzend weitere Antworten von Seiten der Theologen - und alle mit Berufung auf die Evangelien -, die aber im Grunde auch nicht hilfreich sind.

Ich glaube, dass sich Jesus gar nichts gedacht sondern ganz einfach einem "inneren Impuls" folgend gehandelt hat - und zwar in einer Art verantwortetem Vertrauen zum tosenden Wind- und Wüstengott (siehe meinen parallelen Beitrag von heute): dass dieser es nämlich am Ende gut ausgehen, vielleicht sogar etwas Großes und geschichtlich Einzigartiges geschehen lassen würde.

Ist es gut ausgegangen? Das Letzte war ein verzweifelter Schrei ...

Albert Schweizer, der nicht nur Urwaldarzt und Musikwissenschaftler sondern auch Theologe war, hatte in der ersten Auflage seines Buches über die Geschichte der Leben-Jesu-Forschung einen sehr skurrilen Schluß-Absatz, den er in den folgenden Auflagem wieder gestrichen hat [mit Ergänzungen zum besseren Verständnis von mir].

"Stille ringsum! Da erscheint [Johannes] der Täufer und ruft. Tut Buße! das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen! Kurz darauf greift Jesus, als der, welcher sich als den kommenden Menschensohn [= Messias] weiß, in die Speichen des Weltrades, dass es in Bewegung komme, die letzte Drehung mache und die natürliche Geschichte der Welt zu Ende bringe. Da es [das Rad] nicht geht, hängt er sich daran. Es dreht sich und zermalmt ihn. Statt die Eschatologie [=Hoffnung auf ein gutes Weltende] zu bringen, hat er sie vernichtet. Das Weltrad dreht sich weiter und die Fetzen des Leichnams des einzig unermeßlich großen Menschen, der gewaltig genug war, um sich als den geistigen Herrscher der Menschheit zu erfassen und die Geschichte zu vergewaltigen, hängen immer noch daran. Das ist sein Siegen und Herrschen."

Nun ganz so schlimm ist es wahrscheinlich nicht. Um anzudeuten, wo die Lösung liegen könnte, gehe ich zu einer Diskussion, die Du mit @Mephistopheles über die Mystik hattest. Jener behauptete dabei, dass es von der wahren mystischen Erfahrung keine Rückkehr mehr gebe.

Das ist falsch. Der vollendete Mensch, der alle Möglichkeiten, die im Menschlichen liegen, ausgeschöpft hat, kann gehen und wieder kommen, und zwar ganz ohne Re-inkarnation (letztere mag ich überhaupt nicht!). Diese andere Art Rückkehr wird in Begriffen der spätisraelitischen und der christlichen Theologe als "Auferstehung" bezeichnet. Damit es vielleicht verständlicher wird, auf was ich hinweisen will (und ich auch nicht auf kirchlich abgedroschen erscheinende Schablonen zurückgreifen muss), nehme ich die zur "Auferstehung" analoge Vorstellung aus der islamischen Religion. Der Islam, genauer der Sufismus, ist nämlich zum gleichen Konzept und zur gleichen empirischen Erfahrung vorgestoßen, obwohl durch den Gründer Mohammed eigentlich gar keine guten Grundlagen dafür geschaffen worden waren. Alle voll durchentwickelten Religionen landen aber immer am gleichen Endpunkt. Für Genaueres bitte mal hier nachschauen, wie gesagt, es ist bezogen auf den Islam:

https://www.jstor.org/stable/43367884?seq=1#page_scan_tab_contents

https://en.wikipedia.org/wiki/Qutb

Ich habe dieses Beispiel auch deshalb gewählt, weil hier die Begriff geistiger "Pol" und "Weltachse" eine Rolle spielen. Damit will ich jenen zum Verständnis helfen, die glauben, dass die tiefsten Geheimnisse der Welt nur in der germanischen Mythologie gefunden werden könnten, etwa nach neun Tagen oben Hängen am Weltenbaum - und dass anderer Weltgegenden Menschenglaube irrelevant für uns hier sei. Das ist definitiv nicht so. Und wenn ich auch zugestehen will, dass manche der alten Germanen Durchblick wohl besaßen, so hat es, bis der wirklich klare Durchblick hier auch bei uns erreicht wurde, noch bis ins Zeitalter der Gotik gebraucht - und des äußeren Anstoßes durch eine "fremde" Religion. Da waren andere Kulturen schneller und direkter.

Die ursprüngliche erste Entdeckung jedoch lag in Europa, etwa vor 40.000 Jahren - lange, lange vor der (Pseudo-)Germanenzeit.

Es war in einer dunklen Höhle. Und draußen war es eiseskalt.

Es sind nur wenige (spätere) Spuren von diesem Ereignis erhalten geblieben.

Siehe etwa hier

https://de.wikipedia.org/wiki/Chauvet-H%C3%B6hle

oder hier

https://www.urmu.de/de/Forschung-Archaeologie/Eiszeitkunst/Hohlenstein-Stadel/Loewenmensch

(Hinweis: bitte die 3D-Animation sowie ähnliche Figuren, ADORANT und kleiner LÖWENMENSCH, in den benachbarten Höhlen mit beachten)

Wieder mal Dank, Oblomow, für Deine Frage!

Weiner


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