SAMMELANTWORT an einige Leserzuschriften mit Nachfragen zur Reaktion von Chlor oder Sarin, Schutzmaßnahmen, Dekontamination

Literaturhinweis, Freitag, 07.04.2017, 12:44 (vor 2786 Tagen) @ Literaturhinweis6376 Views
bearbeitet von unbekannt, Freitag, 07.04.2017, 13:00

Nochmal zu den Chemischen Kampfstoffen:

Einer behauptet, Chlor bilde mit Wasser keine Säure. Das ist nobelpreiswürdig, ich zitiere daher:

"Chlor ist eines der reaktionsfreudigsten Elemente und reagiert somit auch mit Wasser. Es bildet mit diesem Salzsäure und Hypochlorit, was nach der folgenden Reaktionsgleichung geschieht:
Cl2(g) + H2O(l) <-> OCl-(aq) + 2H+(aq) + Cl-(aq)
Die Löslichkeit von Chlorgas in Wasser beträgt bei Standardbedingungen etwa 6,3 g/L.
Auf Schleimhäuten bildet Chlor aktiven Sauerstoff und Salzsäure, die das Gewebe angreifen. ..."

Klingt irgendwie eher nach dem, was ich geschrieben hatte. Vgl. auch die Chlorungsreaktion im Schwimmbad.

[Anm.: wer sich ernsthaft mit Chemie befassen wollte, dem sei der "Holleman-Wiberg" empfohlen; ich weiß, viele Unis legen ihren Chemie-Einführungen andere zugrude, aber wer den Holleman gelesen hat, ist besser dran, 'trust me'.]

Die Problematik, warum man Sarin- und Chlorgasangriffe 'am Geruch' und an den Reaktionen mit z.B. metallischen Oberflächen nicht so leicht unterscheiden kann, liegt darin, daß Sarin bei der Hydrolyse Flußsäure bildet, also HF, die aggressivste Säure überhaupt (löst sogar normales Glas auf) und Fluor und Chlor sind in derselben (siebten) Gruppe des Periodensystems beheimatet, und folglich sind ihre Verbindungen mit je demselben Kation (in dem Falle Wasserstoff H) sich chemisch auch sehr ähnlich.

Mit dem Geruchsempfinden ist das so eine Sache: Wessen Geruchs- und Geschmacksnerven mit starken Agentien beaufschlagt werden, dessen Nerven werden allein durch die (in diesem Falle:) sauren oder alkalischen (gasförmig seltener, vgl. aber Ammoniak NH3 + Wasser) Gase so schnell 'außer Gefecht gesetzt', daß er/sie nur noch den anfänglichen scharfen Geruchseindruck im Gedächtnis behält, aber zu feineren Unterscheidungen nicht mehr in der Lage ist.

Weshalb -neben der allgegenwärtigen gemeinen Vergiftungsgefahr- ein Chemiker nie seinen Riechkolben direkt in ein Gefäß hält, sondern die Öffnung weg vom Gesicht, und dann mit der Handfläche "fächelt", um ein paar Moleküle in Richtung seiner Nase zu bequemen.

Im Übrigen: wer meint, er könne im Schwimmbad 'das Chlor riechen' täuscht sich - einen unmittelbaren Eindruck vom 'Chlor an sich' können Menschen und Tiere m.E. darum nie bekommen, weil sämtliche Schleimhäute, in die Geruchs- und Geschmacksnerven eingebettet sind, feucht sind, und daher die unmittelbare 'Mikrosekundenreaktion' des Chlors auf der Schleimhaut die oben beschriebene Dissoziationsreaktion ist. Man 'riecht' also im Schwimmbad (stark verdünnte) Salzsäure, nie 'reines' Chlor, so, wie selbst Abraham Gott ja auch nur vermittelt sehen konnte ("unendlich" und so).

Also, halten wir fest: in Ermangelung spezieller Spürgeräte ist es dem Laien ganz und wahrscheinlich auch dem Kampfstoffexperten kaum möglich, 'Geruchsproben' von Sarin und Chlor zu unterscheiden. Etwas anderes wäre das sog. Senfgas, die Lost-Kampfstoffe, welche eben einen charakteristischen Senfgeruch vor sich her tragen. Wobei, wer richtig getroffen wird, kaum noch Zeit zum Berichten findet. (Vorsicht: einige liegen noch an Deutschlands Stränden herum, vgl. allgemein 'Rüstungsaltlasten'.)

Daher ja mein Mißtrauen, daß Weißhelme oder wer auch immer, in der Lage wären, aus dem Krisengebiet schnell mal zum Mobiltelefon zu greifen und 'amtliche' Berichte durchzutelegrafieren, welches Giftgas denn da so im Einsatz gewesen sei.

Nun gibt es ein zweites Kriterium, an dem man manche Kampfgase erkennen kann, weshalb sie in der Fachsprache auch "blister(ing) agents" heißen (oder "versicants"): sie führen zu Blasen auf der Haut. Sarin zählt aber nicht dazu, und damit ist Sarin, wie auch das von mir anderwärts ausführlich beschriebene VX im Attentatsfall Kim Jong Nam, für Laien unter Feldbedigungen m.E. nicht auch nur annähernd sicher zu entdecken (neben möglichen Neuentwicklungen, die erst recht keiner erkennen könnte). Siehe die angeblichen Funde im Irak 2003.

Ich vermag daher in meiner Argumentation keine "Fehler" zu entdecken.

Zur Dekontamination:

Bevor mir jetzt noch weiter Ratschläge erteilt werden, empfehle ich, sich einfach mit den einschlägigen Internetquellen zum Thema Sarin, seiner Detektion, Schutzmaßnahmen und Dekontamination auseinanderzusetzen und sich generell über Erste Hilfe zu informieren, als da wären:

In Deutsch:

- vom REFERAT 10 »UMWELTSCHUTZ« der Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes (vfdb) e.V.: "Merkblatt Hochtoxische C-Gefahrstoffe und C-Kampfstoffe Erkennung und Erstmaßnahmen" (PDF, 10 Seiten)

- gifte.de: Sarin = Methylphosphonofluoric acid, (1-methylethyl)ester, Isopropyl methylphosphonofluoridate, O-iso-Propyl-methylfluorphosphonat, Fluorphosphonsäuremethylisopropylester

- Wikipedia zu Sarin - Schutzmaßnahmen und Dekontamination

- Der Biologisch-chemische Katastrophenfall: Ein Handbuch für Einsatzkräfte

In Englisch:

- OPCW allgemein: Decontamination of Chemical Warfare Agents, siehe auch Assistance & Protection against Chemical Weapons

- US-The National Institute for Occupational Safety and Health (NIOSH): Sarin Nerve Agent (sehr ausführliches Datenblatt)

- NIOSH EMERGENCY RESPONSE CARD Sarin

- Physicians for Human Rights: Recognition and Treatment of Sarin Exposure

- Medscape: CBRNE - Nerve Agents, G-series - Tabun, Sarin, Soman Treatment & Management

Abschließend - liebe Leserzuschriften:

Ich recherchiere meist sehr gründlich und davor, vor jeder Recherche, steht ein gewisses Grundwissen, das es mir, mehr als den meisten, erlaubt, Berichte und Behauptungen einzuwerten. Es gibt bei diesen Leserzuschriften grob vier Klassen, in die man sie einteilen kann:

a) Die unverschämten, beleidigenden, mit Euphemismen wie "Ratte" u.a. Verbalinjurien. Was soll ich da sagen? Vielleicht, da ich ja jedem mit einem ernsthaften Anliegen gerne helfe: solche Aggression richtet sich auch nach innen! Machen Sie eine Psychotherapie, bevor es zu spät ist - mit autoaggressiven Krankheiten ist langfristig nicht zu spaßen!

b) Diejenigen, die mich hilfreich korrigieren möchten, aber leider falsch liegen (vgl. obiges Beispiel mit der Nicht-Säure durch Chlor in Wasser) - ich kann meist nicht auf das alles eingehen, aus vor allem Zeitmangel. Wenn es also einfach falsch ist - und meine Argumentation richtig - dann bitte ich um Verzeihung, wenn ich nicht dazu komme, das aufzugreifen - Arroganz ist es nicht, denn:

c) Hinweise auf Fehler oder Ergänzungswürdiges greife ich natürlich gerne auf (kann ja nur lernen) und setze das auch i.d.R. um.

d) Und dann wären da die allgemeinen Anregungen - ich lese sie alle, und ich lege sie in den meisten Fällen "auf Vorrat", aber wenn ich nicht unmittelbar drauf eingehe, dann nicht aus bösem Willen, sondern entweder ebenfalls aus Zeitmangel, oder weil in meinem "Editionsprogramm" gerade was anderes weiter vorne auf der Prioritätenliste steht.

--
Literatur-/Produkthinweise. Alle Angaben ohne Gewähr! - Leserzuschriften


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