Weitsicht starkes Russland, starkes Europa
Guten Morgen Nereus,
zum Beispiel gab's da mal einen "Report to the Trilateral Commission" von Roderic Lyne, "Engaging With Russia: the Next Phase" (2006), der exakt ein starkes Russland gefordert hatte. Und ich könnte Dir Zitate von Obama bis van Rompuy bringen, die sich nun scheinbar als Lippenbekenntnisse erwiesen haben, aber bestimmte Denkschulen reflektieren, die auch heute noch existieren und ihre eigene Politik verfolgen, auch wenn sie wenig bekannt (aber umso mächtiger) sind:
http://www.international-bc-online.org/
Es lässt sich eine globale geopolitische Stabilität nicht erreichen, ohne dass wir auf der Nordhalbkugel vier Platten etablieren, die (1) in sich gefestigt sind, (2) frei gegeneinander schwingen können und (3) nicht in die inneren Angelegenheit des je anderen eingreifen. Diese vier politischen Kontinentalplatten sind Nordamerika, Europa, 'Russland', China. Im Augenblick findet (schmerzhaft) die Festlegung der Platten- bzw. Einflusssphärengrenzen statt. Das wird sich (schmerzhafter) noch etwas fortsetzen.
Bismarck stand seinerzeit vor einem ähnlichen Problem (innere Einigung, damals Deutschland, und gleichzeitig äußere Balance, damals gegenüber R, F, GB). Vergleichbar bräuchten wir aktuell eine 'neue Einigung' in Europa, gleichzeitig verbunden mit einem Aufbau der erwähnten Plattenstruktur. Von heute aus gesehen schafft Europa das nicht mehr alleine. Der traditionelle Partner dafür wäre die USA, die aber gerade "völlig weggedreht" sind. Es läuft dort weiter auf Oligarchie, Spaltung und 'Bürgerkrieg' hinaus. Der andere Partner ist natürlich Russland. Das könnte auch klappen, doch ist hier in Europa eben diese weitsichtige Vernunft nicht vorhanden - und die anderen (China, USA) wären aktuell noch zu misstrauisch. Wir brauchen's nicht zu diskutieren, es ist kein Thema gegenwärtig, aber die "vier Platten und drei Bedingungen" sind das imaginäre geopolitische Kraftfeld, um das die Geschichte der nächsten Jahrzehnte pendeln wird (mit teils heftigen Ausschlägen).
Was nun Deine andere Frage betrifft, so rekurriere ich wieder auf Bismarck bzw. auf die alte deutsche Geschichte (möglicherweise habe ich hier dazu auch schon geschrieben). Vorbild für Europa sind D,A,CH - die einzigen Staaten hier, die eine Bundesstruktur haben. Das ist uralte europäische Tradition ***), die in diesen drei Staaten (wenigstens formal und wohl reaktivierbar) noch bewahrt wurde. Alle anderen europäischen Staaten sind zentralistisch geworden. Wir Deutschen sind jedoch nicht die "Besseren", sondern es war wohl eher die Mittellage, die dafür gesorgt hat, dass die Bruchteilsstruktur erhalten geblieben ist (Bismarck hat leider mit Berlin/Preussen einen ebenfalls sehr stark zentralisierenden Keim ausgelegt, dem man bis heute gerne folgt). Wie dem auch sei: Europa kann nur als eine Föderation, als ein Bund organisiert werden. Der Ansatz "Brüssel, Kommission, Bürokratie" etc. (letztlich auf die CIA zurückgehend) muss komplett rückabgewickelt werden.
Neben den äußeren (geopolitischen) Notwendigkeiten für ein 'einiges Europa' gibt es viele innere Notwendigkeiten und Vorteile. Ich glaube kaum, dass die Menschen hier das, was in den letzten 40 Jahren erlangt wurde (allein Beispiel Bewegungsfreiheit), wieder aufgeben wollen. Natürlich wurde viel falsch gemacht, natürlich gibt es ganz böse Buben hier, natürlich sind die Probleme echt intrikat - 1000 Brettchen müssen gebohrt werden. Wenn der von Dir genannte "neue Konservatismus" aber in die Nationalstaatlichkeit zurück will, dann ist er schon von vorneherein verloren.
Zum Schluss noch, anderes Thema, ein Literaturhinweis.
https://en.wikipedia.org/wiki/Ilana_Mercer
hat ein interessantes Buch zu 'Trump & Co.' geschrieben
Noch interessanter ist aber ihr Buch über Südafrika, von wo sie stammt:
http://www.ilanamercer.com/cannibals-pot/
Darin wird beschrieben, wo wir landen könnten, wenn wir uns nicht alle ein wenig am Riemen reißen. Ich kann mir das auch noch schlimmer vorstellen ...
MfG, Weiner
***) in Glarus (Kanton, Landgemeinde) hat man tatsächlich an diesen alten Elementen festhalten können ( https://de.wikipedia.org/wiki/Volksversammlung ). Und dabei ist das ein Kanton, der ansonsten (oder gerade deshalb?) fortschrittlich ist (frühe und starke Industrialisierung). Auch der isländische Thing ist steinalt. Demokratie und Republik sind genuine Schöpfungen Europas - und die muss man nicht verächtlich machen und in den Dreck ziehen (wie das vielfach auf dem Forum hier geschieht), sondern man sollte sie, wenn der Mißbrauch erkannt ist, der mit ihnen getrieben wurde, sie angemessen neu beleben. Ich erwarte das von einem 'neuen Konservatismus', sonst kann er mir gestohlen bleiben. Ich wünsche mir starke Subjekte mit Gemeinsinn - keine Stammtischproleten, die nach dem großen Führer schreien.