"This time it's different" - Syndrom → "It's always the same!"

Ostfriese, Sonntag, 21.04.2024, 17:03 (vor 248 Tagen) @ Fidel1264 Views

Hallo Fidel

Hallo,
der Tag im tiefsten Frieden (P. C. M) an dem der Sturm losbricht, https://youtu.be/ey1Z0VhAQdA?si=9YNbAOW54_WpAzTx , wird nicht auf beyond the obvious zu lesen sein.

Jeder geht mit der Realitaet um wie er kann,
Gunnar Heinsohn leistete sich bei Stelter seinen melt down an Fehleinschaetzungen in einem Krieg der seine Kompetenz ueberstieg.

Das Ende der Diskussion schadet dem Machterhalt mehr als der Gewaltmonopolist versteht.

Laeuft.

Exakt. Ich erlaube mir, auf P.C.M Beitrag

https://archiv.dasgelbeforum.net/ewf2000/forum_entry.php?id=3847 Des Teufels Vortänzer (II) verfasst von dottore, 12.06.2000, 09:35

über tiefsten Frieden, This time it's different und It's always the same hinzuweisen.

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Und weiter geht's mit Literatur. Sinn dieser kleinen historischen Übung ist nicht Angeberei (ach, was der schon wieder alles weiß), sondern ich möchte die Sinne der Boardteilnehmer schärfen, vor allem jener, die an dem berühmten This time it's different - Syndrom zu leiden scheinen. Es ist nämlich always the same - auch wenn es sich immer wieder geschickt neu zu verkleiden versteht. Nehmen wir also dem, offenbar in uns allen tief verwurzelten Willen zu manischem Verhalten behutsam die Maske ab.

3. Hanns Leiskow Spekulation und öffentliche Meinung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Jena 1930. Der Autor behandelt - immer dabei auch den Brainwash durch die Presse im Auge habend - drei große Manien:

a) Die Spekulation in Eisenbahnaktien von 1836-1842. Dazu der Friedens- und Kriegskurier: "Überall bilden sich AGs, überall werden die Aktien dafür gesucht und mit hohem Aufgeld bezahlt! Hieraus wollen manche den besorglichen Schluss ziehen, dass es damit kein gutes Ende nehmen könne ... Dies ist aber eine durchaus unrichtige Schlussfolgerung." Eisenbahnaktien seien eben etwas ganz anderes als Waren oder Staatspapiere (wie heute, nicht wahr, wo die New Economy eben etwas ganz anderes sein soll als die Old Economy).

Der Fränkische Merkur dann am 9. April 1844: "Nur in unserer Zeit der Blendwerke und großartigen Täuschungen, wie der Gier, schnell und ohne Mühe möglichst viel zu verdienen, um fein und anständig zu leben, d.h. sinnlichen Genüssen in weitestem Maß zu fröhnen - nur in einer solchen Zeit ist es erklärlich, dass das Publikum sich noch immer von einzelnen im Wege des Aktienschwindels auf eine unerhörte Weise ausbeuten lässt." 1845/46 der unausweichliche Crash der notierten 20 Eisenbahnwerte. Die Augsburger Allgemeine am 17. März 1846: "War es (das Hinauftreiben der Aktien) aber damals ein Schwindel, so ist es jetzt eine absolute Krankheit, in deren Todfieber sich viele Privatleute ihrer Aktien mit ungeheurem Verlust nicht schnell genug entledigen können." Die Regierung verbot sogar die Notiz von ausländischen oder im Bau befindlichen Linien, um das Elend nicht noch sichtbarer werden zu lassen!

b) Die Commodity-Spekulation 1846/47. Die Preise (100 = Durchschnittsernte) Weizen 76/107; Roggen 57/122, Gerste 74/104 (1848), Hafer 71/103 (1848), Kartoffeln 53/88 (1848), Erbsen 68/80. Alles angeheizt durch die Erwartung weiter steigender Preise. Dazu der Fränkische Merkur: "... wollen wir auch keineswegs in Abrede stellen, dass die übertriebene Spekulation in Getreide - ein Zeichen unserer genusssüchtigen, leicht zu erwerbenden Reichtümer nachjagenden Zeit - zur Steigerung der Preise das ihrige beiträgt ..." Es wurde natürlich auf Termin spekuliert. Ein Zeitgenosse schrieb, "dass der gefürchtete Wucher mehr ein eitles Phantom ... als eine wirkliche Ursache der Teuerung ist ..." Dann Crash und die übliche Normalisierung.

c) Die Bankaktienspekulation 1850 - 1854, die sich dann bis 1856 zuspitzte, wobei noch zahlreiche andere Gesellschaften als AG erschienen (Schifffahrt, Handel, Maschinen). Leiskow: "Die Spekulation, vor allem mit den Papieren der Neugründungen, nahm einen ungeahnten Umfang an; alle Mahnungen zur Vorsicht, die ein unglückliches Ende voraussagten, verhallten gänzlich unbeachtet. Wie im Jahr 1844 drängte sich arm und reich in den Räumen der Banken oder der Börse, um zu zeichnen und zu spekulieren und auf diese Weise 'glücklich' zu werden." Die Augsburger am 8. Juni 1853: "Die neuesten Erscheinungen arten bereits in ein Fieber aus ... Der öffentliche Handel mit Industriepapieren ist zu einem vollständigen Börsenspiel geworden." Der folgende Crash mündete mit ein in die große Panik von 1857 - siehe dazu jetzt:

4. George W. van Vleck: The Panic of 1857, New York 1943. Von bester Provenienz, nämlich Columbia University Press. Die Literatur über die Vorgänge von 1857 ist inzwischen Legion (auch in Deutsch, z.B. über den Krisenschwerpunkt Hamburg, das finanziell beinahe fast vollständig vernichtet worden wäre), aber ich weise auf dieses sehr seltene Buch hin, weil es die Panik gut herausarbeitet, die plötzlich im August eingesetzt hat. Am 14. Oktober stand zu lesen: "The whole monetary system of the United States has fallen with a mighty crash, and now lies before us an magnificent and melancholy ruin ..." Und obwohl in der US-Wirtschaft realwirtschaftlich alles zum Besten stand, überdies im tiefsten Frieden, gehts weiter: "Yet in the twinkling of an eye, we are plunged into the lowest depths of commercial embarassment, and stand before the world a nation of bankrupts!" (meine Hervorhebung)

Und so etwas kann sich in Amerika nie mehr wiederholen, der nach innen und außen mit Abstand am höchsten verschuldete Nation weit und breit? Aber vielleicht erleben wir doch noch einmal so etwas wie diesen Aufruf des Journal of Commerce an seine Leser, "to steal awhile away from Wall Street and every wordly care, and spend an hour about mid-day in humble, hopeful prayer."

Was sagte der Pilot mit ausgefallenen Maschinen über Bordmikrophon: "Liebe Passagiere, sprechen Sie mir jetzt bitte nach: "Vater unser, der Du..."?

5. Im Gefolge dieses und anderer Desaster schrieb ein anonym bleiben wollender Londoner City Man zwei Büchlein The Bubbles of Finance und vor allem The Profits of Panics; Showing How Financial Storms Arise, Who Make Money By Them, Who are The Losers, London 1866. Ein Kurzlehrgang für Shortiers mit konkreten Beispielen: "... we sold by various brokers a vast number of (shares) for next settling, and thus helped to bring them down still lower. This mode of operation may be wondered at by the uninitiated, but it is by far the most effectual way to work a large 'bear' account." (32).

Interessant, dass der Autor anonym bleiben wollte; es gilt eben bis heute als unschicklich und unfein, auf sinkende Kurse zu setzen oder deren Fall gar noch zu beschleunigen, weshalb es auch in diesem Board immer wieder Kritik z.B. an JüKüs Warnungen hagelt. (Ich selbst hatte 1984 öffentlich – im Penthouse, meine Herren, die Damen hören bitte weg - erklärt, IBM, die ich für waidwund hielt, bei 125 $ geshortet zu haben, noch dazu zu einem favorablen $-Kurs, der danach mit der Aktie fiel und fiel; als ich dann 1987 einen Prae-Crash-Vortrag in der HSG St. Gallen hielt, wurde ich wegen meiner Miesmacherei von den jungen Studenten fast aus dem Hörsaal gejagt). Aber der Vorteil des Baissiers gegenüber dem Haussier liegt eben darin, dass er sich jederzeit fröhlich drehen kann, umgekehrt aber fällt es schwer. Deshalb noch dieses Buch:

6. Pierre J. Proudhon Handbuch des Börsen-Spekulanten, Hannover 1857. Proudhon ist bekanntlich ein sozialistischer Klassiker Eigentum ist Diebstahl. Und dennoch hat er sich komplett gedreht und in seinen späten Jahren noch ein erstklassiges kapitalistisches Börsen-Manual verfasst, das noch immer lesenswert ist. Nur kurz aus seinem Vorwort: "Es bleibt uns noch eine Hoffnung. Das Übel, in dem wir uns jetzt befinden, ist nicht ohne Heilmittel; es liegt mehr in den Ideen als in den Menschen."

Diese Ideen suchen wir in diesem Board gemeinsam. Wer oder was der einzelne ist, spielt wirklich keine Rolle.

Let's do it.

Schöne Woche wünscht

d.

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Abracos
Fidel

Gruß zurück - Ostfriese


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