Marine Le Pen tritt an, um zu verlieren

Miesepeter, Donnerstag, 21.04.2022, 13:29 (vor 1350 Tagen) @ eastman3327 Views
bearbeitet von Miesepeter, Donnerstag, 21.04.2022, 14:08

In der zweiten Elefantenrunde (Youtube, nur für Französischsprachler) wiederholte sich exakt das selbe Muster, welches schon im ersten Duell vor 5 Jahren zu beobachten war. Damals sah man eine Marine Le Pen - welche in Sachen Rhetorik und Schlagfertigkeit in Deutschland von keinem Politiker erreicht wird - wie sie konträr zu all den Debatten und Interviews der Vorjahre im entscheidenden Moment völlig versagte, jegliche Klarheit vermissen liess, unzusammenhängend schwabulierte und dem Kontrahenten ständig unangenehm ins Wort fiel, während dieser den Grandseigneur und Oberlehrer gab. Es war seinerzeit jedem geschulten Beobachter ersichtlich, dass sie nicht sie selbst war bzw. anscheinend die Debatte gar nicht gewinnen wollte. Sie hat ihren miserablen Auftritt im Nachhinein dann auch eingeräumt und sich mit der Belastung des Wahlkampfs und grosser Müdigkeit entschuldigt. Im entscheidenden Augenblick zu müde zu sein und zu versagen ist natürlich nicht die beste Bewerbung für ein Präsidialamt, zumindest nicht in den Augen ihrer potentiellen Wähler, die noch in den Kategorien des vergangenen Jahrhunderts denken.

Gestern nun wieder das gleiche Bild, wenn auch subtiler und nicht mehr so augenscheinlich und für jedermann offensichtlich. Le Pens rhetorische Qualität liegt vor allem darin, in ihren Antworten schnell den Kern einer Sache, das Wesentliche herauszustellen und dann davon ausgehend die gestellte Frage (oft offene/unterschwellige Angriffe auf ihre Einstellung/Vergangenheit/Familie) anzugehen und den darin meist enthaltenen gegnerischen Standpunkt zu entkräften. Das kann sie aus dem Stegreif, von einem höheren Prinzip auf den Einzelfall argumentieren.

Zu sehen gestern davon: nichts. Stattdessen sprang sie in ihren Antworten vom Stöckchen zum Steinchen, wieder weitestgehend inkoherent, so dass sich selbst der geneigte Zuschauer fragen musste, wie sie überhaupt in diese Runde kommen konnte. Eventuell unentschlossene Wähler kann sie nicht überzeugt haben, denn sie hat für sie keine klar erkennbaren Botschaften gehabt. Sie verlor sich im Detail und begrub ihre Vision für Frankreich darunter.

Sie wird wieder verlieren. Ihr Job ist es offenbar, den Protestwählern, welche (naiverweise) die Gesellschaft der 80/90er Jahre weitestgehend bewahren möchten, eine politische Heimat zu bieten, dabei auch durchaus das Overton-Window etwas zu verschieben (die öffentlichen Angriffe wie auch Macrons Attacken auf Le Pen sind inzwischen allgemein weniger hysterisch, einige ihrer Stammthemen finden auch Eingang in den nationalen Konsens, zb die Relokalisation der Wirtschaft, eine strengere Einwanderungspolitik, mehr Sicherheitskräfte), aber dabei auf keinen Fall in die Notlage zu kommen, die Regierungsverantwortung zu übernehmen und rückwärtsgewandte Politik zu betreiben.

Diesen Job macht sie jetzt seit 2 Jahrzehnten sehr gut.

Gruss,
mp


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