Aufruf an die Kirchen - Offener Brief auf mehreren Ebenen

helmut-1, Siebenbürgen, Mittwoch, 20.05.2020, 06:47 (vor 1651 Tagen)2812 Views

Gleich zu Beginn, lieber Hausmeister, wenn Du der Meinung bist, dass der Beitrag in den Blog von tradi (Pfarrer spricht über den Antichristen) soll, dann verschiebe es. Ich war unschlüssig, denn im Blog von Tradi wird das, was ich geschrieben habe, allenfalls tangential behandelt. Es ist für mich eher als Anlaß zu sehen, warum ich mich zu diesem Aufruf entschlossen habe.

Zum Aufruf selbst:
Klar war der ursprüngliche Anstoß das Video des Pfarrers der Freikirchlichen Gemeinde, - und noch mehr die Löschung von youtube. Dazu kommt meine persönliche Einstellung eines streitbaren, aber auch kritischen Christentums. Wenn man die Zeichen der Zeit sieht, sie nicht ignoriert und sie kritisch betrachtet, dann kommt man zu bestimmten Überlegungen. Ich habe versucht, diese Überlegungen zu Papier und danach an die richtigen Adressen zu bringen.

Es wird in mehreren Foren veröffentlicht, genauso wird es den Kirchenleitungen in Siebenbürgen, Deutschland und Österreich übersandt. Von privaten Mails an Pfarrer, die noch in der Lage sind, mitzudenken und mir persönlich bekannt sind, ganz abgesehen. Die erste Zuschrift, und deshalb die Anrede, erfolgt an den Pfarrer, mit dem ich als "Hauspfarrer" eine private Verbindung habe.

Der Aufruf im Wortlaut:

Sehr geehrter Herr Pfarrer,
denke, dass Sie mich als jemanden kennen, der nicht alles kommentarlos hinnimmt. Dazu habe ich zeitlebens meinen persönlichen Disput zwischen Christentum und kirchlicher Praxis, - egal, von und mit welcher Fakultät. Aber Christentum bedeutet für mich auch, sich an den Ursprüngen zu orientieren.

Ich stelle mir die Frage, wohin die Kirche strebt, wenn man sich mit den aktuellen Problemen nicht mehr auseinandersetzt, nicht mehr stellt und sie nicht mehr für die Gläubigen aufnehmbar macht. Natürlich wird immer wieder gesagt, Politik gehört nicht in die Kirche. Das unterschreibe ich jederzeit, sofern es sich um die sogenannte hohe Politik, egal ob Außen- oder Innenpolitik, insbesondere auch Parteipolitik, handelt. Aber wenn es um die Probleme des Alltags geht, die Dinge, die uns täglich berühren, da sollte man die Gläubigen nicht alleine lassen. Ich denke, das ist auch der Auftrag des Christentums.

Jesus hat auch nicht damals, als die vielen Gläubigen sich um ihn scharten, und niemand wusste ,wie man diese vielen Leute verköstigen könnte, gemeint, die Leute sollen halt sehen, wie sie da zurecht kommen, vielleicht zum Kiosk gehen, nein, er hat das Wunder von der Vermehrung des Brotes und der Fische vollbracht. Das sind rein menschliche Bedürfnisse, die haben mit Theologie nichts zu tun und orientieren sich nur an dem, was jedem am nächsten liegt.

Wenn wir uns die Frage stellen, warum die Kirchenaustritte immer mehr zunehmen, warum sich die Kirchen mit den restlich registrierten Gläubigen gerade noch zu Ostern und Weihnachten füllen, dann sollten wir uns nicht in die Tasche lügen. Jeder von uns, egal ob reich oder arm, hat potentielle Probleme, oft existentieller Art, in Verbindung mit der Sorge um die Zukunft, um die Familie, um die Dinge, die uns am nächsten liegen.

Wenn diese Dinge von Seiten der Kirchen ignoriert werden und uns von der Kanzel immer nur theologisch-philosophische Themen entgegentönen, die eigentlich von den brennenden Problemen des Alltags nur ablenken sollen, dann geht auch das Interesse an dem, was der Pfarrer sagt, zurück. Das sehe ich zwar als Folge, aber im Effekt als falsch an.

Die Kirche hat die Aufgabe , - wie Luther schon sagte, - dem Volk aufs Maul zu schauen. Das Beispiel, dessen link ich angehängt habe, soll nur dazu bestimmt sein, aufzurütteln, nachzudenken. Ja, der Freikirchler verwendet hier klare Sprüche, vielleicht in extremer Formulierung, ich bin nicht unbedingt ein Verfechter davon, es ihm nachzumachen.

Aber es sollte für diejenigen, die bei der Kirche in der Verantwortung stehen, zur Nachhilfe, zum Nachdenken dienen, die aber auch eine Anregung zur Richtungsänderung bewirken sollte.
Es dreht sich ganz einfach nur um die Verantwortung für die Gläubigen, für die Kirche, für das Christentum als Gesamtheit, - und um den Mut, die ursprüngliche Idee des Christentums umzusetzen. Und diese Idee war nicht von der Akzeptanz jeglicher Verhältnisse geprägt, sondern auch von der Kritik an dem, was schlecht war, was uns die "Oberen" vorgeben. Wäre das nicht der Fall gewesen, hätte es keinen Jesus und auch keinen Luther gegeben.

Wenn das so stimmt, wie der Pfarrer im Video sagt, dass es keine klaren Statements von Seiten der Evangelischen Kirche gibt, dann ist das wirklich beschämend. Ich denke, dass jeder denkende Mensch weiß, dass viele Dinge, die uns täglich verkündet werden, widersprüchlich sind. Dabei ist es völlig egal, ob es sich dabei um die Massenmedien, die Politiker oder die Wissenschaftler handelt. Die Folge davon ist, dass der überwiegende Teil der Gläubigen nicht weiß, wie er dieses - für ihn völlig neue - Problem einzuordnen hat.

Die Gläubigen von kirchlicher Seite damit alleine zu lassen, diese brennenden Fragen zu ignorieren, das hat nichts mit christlicher Nächstenliebe zu tun, und schon gar nichts mit dem kirchlichen Auftrag, der sich in meinen Augen durch den Hirtenstab des Petrus manifestiert, der führen und die Richtung vorgeben soll.

Die Kirchen haben, ungeachtet der liturgischen Orientierung, eine schwere Bürde hinsichtlich der Vergangenheit zu tragen, - und damit meine ich die Stellung der Kirchen im Nationalsozialismus. Auch da wurde das Wohl des Volkes mißachtet, und die Kirchen schwiegen dazu. Soll sich das wiederholen? Es wäre fatal.

Wie sagte doch Ignazio Silone so voraussehend:
Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: Ich bin der Faschismus. Nein, er wird sagen: Ich bin der Antifaschismus.

Oder auch eine andere Form des Systems, es kann auch eine Form der Parteiendiktatur sein, die man moderner Weise als „Demokratie” bezeichnet. Wie wahr diese Weissagung ist, zeigt sich schon daran, mit welcher Akribie man versucht, dieses Zitat dem Journalisten Silone posthum mit aller Gewalt abzusprechen, zumal er doch überzeugter Kommunist war.

Wie real die Parallelitäten sich heute darstellen, erkennt man bereits daran, dass man das freie Wort, die freie Meinungsäußerung, zunehmend beschneidet. In den sozialen Medien, in vielen Foren, in den Leserbriefen an die Zeitungen, werden Beiträge, und Kommentare, die nicht regierungskonform sind, zensiert. Nicht alle, aber so manche. Dieses Video von diesem Pfarrer wurde von youtube, wo es erschienen ist, auch zensiert. Aber es wurde immer wieder ins Netz gestellt, und das ist gut so.

Wehret den Anfängen, gerade mit dem Rückblick auf die Zeit vor 90 Jahren, wo die freie Meinung oftmals mit dem Tod endete, wie bei meinem Großvater. Wir sollten wachsam sein und uns nicht von des Kaisers neuen Kleidern täuschen lassen.

Die Politiker haben einen absoluten Zick-Zack-Kurs in Sachen Covid-19 gefahren, wenn man an die Anfänge und die aktuelle Realität denkt. Für mich ist das der Ausdruck des praktizierten Unwissens und die Orientierung, irgendetwas zu tun, damit man nicht das Nichtstun vorgeworfen bekommt. Unsinnigkeiten, Verdrehungen, Falschinformationen, auch von oberster Stelle, waren die Folge.

Die weitere Folge sind nun die wirtschaftlichen Folgen für das Land, für die Firmen, für die kleineren und mittleren Betriebe, für die Freischaffenden, und auch für die Familien. Und die Kirchen sehen dabei wortlos zu? Es gibt auch in den Kirchen das Wort der Verantwortung, und ich denke, es ist höchste Zeit, sich darauf im Umgang mit den Gläubigen zu besinnen und ihnen durch klare Ansagen Orientierung zu geben.

Das Video von Pfarrer Jakob Tscharntke von der Evangelischen Freikirchlichen Gemeinde Riedlingen:
https://www.youtube.com/watch?v=k45EBza9F8A&feature=youtu.be

Helmut N.
Siebenbürgen


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