Vom Prestige zum Silber
Liebe Silke,
die Spezialfrage von @Nereus gestern zur den Vereinten Nationen hat mir in Erinnerung gebracht, dass Du eine vergleichbar spezielle Frage zum Silberpreis vor 4000 Jahren in Mesopotamien neulich ins Forum gestellt hattest.
Der Fachmann für solche Fragen ist Eric L. Cripps (Liverpool). Für die Periode Uruk III (ab 2100 v.Chr.) findest Du im nachfolgenden Artikel hoffentlich Aufschluß - ebr bietet auch die Datenbasis (Keilschriftfunde), aufgrund derer die Rekonstruktion mühevoll zusammengetragen wurde. Bitte beachten, dass die Autoren selbst zugeben, wie wacklig ihr Kartenhaus ist. Umso gefährlicher scheint es mir zu sein, modernes Denken diesen alten Zeiten überstülpen zu wollen. Die Relation Silber zu Gerste wurde von einer zentralen Instanz festgelegt, schwankte aber im Lauf Zeit, was auf parallele Märkte bzw. begrenzte Macht sowie auf variierende Umwelteinflüsse hindeutet. Vielleicht auch auf Verantwortungsbewußtsein.
Eric L. Cripss - The Structure of Prices in the Neo-Sumerian Economy (I): Barley:Silver Price Ratios
https://cdli.ucla.edu/files/publications/cdlj2017_002.pdf
https://www.academia.edu/8407010/Money_and_Prices_in_the_Ur_III_Economy_of_Umma_-_WZKM_...
Cripps sollte nicht verwechselt werden mit Joe Cribb (British Museum), der eine allgemeinverständliche Kurzdarstellung des frühen Geldes im Zweistromland geschrieben hat:
https://www.academia.edu/1639711/The_Origins_of_Money_evidence_from_the_ancient_Near_Ea...
Eine aktuelle Zusammenfassung (2018) des gesamten Wissens und der Diskussion findest Du bei dem Dir vermutlich anderweitig schon bekannten Michael Hudson:
https://michael-hudson.com/2018/04/palatial-credit-origins-of-money-and-interest/
Hudson geht sehr ins Detail und beschreibt das komplette System, inklusive Entwicklung der Buchhaltung, Preiskontrolle und des Zinses.
ZITAT: Early “money†was simply the official price schedule for paying debts to the large institutions. ZITAT ENDE
Anführungszeichen sind so im Original - vielleicht ist er sich seiner Sache nicht so ganz sicher - wie ich bereits einmal hier sagte: es kommt auf die genaue Definition an ...
Hudson diskutiert auch die theoretischen Blicke auf diese Zeit aus heutiger Sicht, hauptsächlich fokussiert auf die Barter-Theorie des Geldes, gegenüber gestellt der offensichtlich auf von ihm favorisierten (Staats-) Schuldtheorie des Geldes. Sein Artikel ist zitierfähig, quasi peer-reviewed und dürfte Deiner Auffassung sehr nahe kommen. Also magst Du in künftigen Diskussionen auf ihn verweisen. Fiatgeld wurde in diesen frühen Zeiten (erstes und zweites Jahrtausend) vom Tempel bzw. Palast nicht geschöpft. Mutwillige Inflationierungen auch nicht veranstaltet. Das alles kam erst später ...
Sehr interessant ist, was Hudson über die Entstehung des Zinses schreibt. Er diskutiert gegen die Produktivitätstheorie (Motto: ich gebe Dir, und Du gibst mir von Deinem Zugewinn zurück) und hält dagegen fest, dass der Zins wohl eher als Strafe für verspätete Zahlung bzw. Anlieferung der Gerste entstanden ist. Noch interessanter sind seine Bemerkungen über die Schuld. Hier stellt er fest, dass die alten Mesopotamier anfangs sehr verantwortungsbewusst mit Schulden umgegangen waren (die Tradition des Schuldenerlasses und von daher auch des Jubeljahres stammt von dort, letztlich via Judentum und Christentum auch das Zinsverbot).
Bei den barbarischen westlichen Nachahmern des Geldsystems, besonders bei den Griechen und Römern, wollte man einen derartigen Schuldenerlass nicht praktizieren, wodurch ständige Schuldenkrisen entstanden, die man vorzugsweise durch militärische Expansion zu lösen suchte. Am schlimmsten wurde das, wenn die Schuldner einflussreiche Private waren (Kapitalisten eben ...) und für die Schuldeneintreibung und für die Generierung von Macht den Staatsapparat nutzten: Cäsar schleppte aus Gallien so viel Gold heran, dass dessen Wert in Rom zusammenbrach ...
Silber selbst war für die hier zur Diskussion stehende Region Mesopotamien ein Importartikel. Selbstverständlich war der Handel, d.h. der Einkauf des Silbers stark zentralisiert, jedoch zeigt eben dies, dass außerhalb der Zentralmacht-Staatsgrenzen, oft hunderte Kilometer entfernt (wohin nie Kriegszüge oder Söldner hätten geführt werden können) die Handelstheorie des Geldes offenbar parallel und lange vorher auch ganz gut funktionierte ...
Die Herstellung von Silber hat weniger mit dem von Dir erwähnten Kupfer tun sondern mit dem Blei, gemäß dem Verfahren der Kupellation - so wenigstens im Nahen Osten. Einige zum Teil wesentlich ältere Funde in Europa (Balkan) zeigen, dass es andere (im Augenblick noch unbekannte ) Verfahren gab - und das Licht (des Erfindergeistes) nicht immer automatisch aus dem Orient kam ...
Über die frühe Metallurgie des Silbers orientiert Barbara Helwing:
https://www.academia.edu/21883474/Die_Anf%C3%A4nge_der_Silbermetallurgie_in_Eurasien
https://www.academia.edu/10586602/_2014_Silver_in_the_early_state_societies_of_Greater_...
Im letzteren Artikel findet sich die sehr treffende Formulierung, dass die "früh-dynastischen Stadtstaaten den Gebrauch des Silbers zentral organisierten und es zu einem Zahlungsmittel umfunktionierten" (Fettmarkierung von mir).
Am ehesten in dieser Artikel findest Du eine Antwort auf Deine Frage "warum gerade Silber?". Es ist einfach so, dass dieses Metall zum Ende des vierten Jahrtausends neu und immer häufiger in den allgemeinen Handel kam und einen sehr hohen Prestigewert hatte. Es wurde bei öffentlichen Bauten, bei Geschenkgaben, bei den Bräuten als Mitgift, privat als wertvoller Schmuck (leicht zu verarbeiten) genutzt und hatte einen ansprechenden Glanz. Es wurde ihm einfach Wert, Prestige und ein hoher Rang zugesprochen - und das entwickelte sich zu einer kulturellen Tradition in der Region (Geschenk und Tausch sind übrigens benachbart ...). Als dann im Laufe des dritten Jahrtausends das Zentralmachtsystem durchgesetzt wurde und die Akkader direkten Zugriff auf die Bergbauregion und Metallurgie bekamen bzw. sich holten (!), lag es für sie nahe oder war eben ihre Absicht, dieses beliebte Silber nun als Zahlungsmittel zu dekretieren.
Die Wertschätzung und die Metallurige und (meinetwegen) geldähnliche Verwendung des Silbers ist demnach älter als das Zentralmachtsystem. Und so ist es auch mit allen anderen Kulturtechniken im Umkreis des Geldsystems - etwa auch mit dem Token, den Verträgen (Rollsiegel), dem Messen und Wiegen und so weiter und so fort. Das Zentralmachtsystem bündelt diese Techniken und Kulturtradition nur und hebt sie auf ein neues organisatorisches Niveau.
Es gibt durchaus auch Zentralmachtsysteme ohne Geld in Deinem Sinne, man denke etwa an die prämonetären Maya oder an die Inka. Bei letzteren haben wir ein 'königlich-militärisch' zentralisiertes Lagersystem in Verbindung mit einer ausgefeilten Logistik (eigentlich gehört auch ein Arbeitsdienstsystem und ein Landmanagementsystem noch dazu). Aber wir haben kein Geld. Und Silber und Gold waren sowieso nur für den König und Adel reserviert. Hier waren sie so wertgeschätzt, dass man sie überhaupt nicht in die Hände des gemeinen Volkes gab.
https://web.stanford.edu/group/virus/delta/2000/Storage.htm
Dieses Lagersystem entspricht durchaus der Situation in Mesopotamien, bevor dort die Krieger und Könige kamen, denn dort wurde das Lager- und Landmanagementsystem im Nahen Osten von Anfang an vom Tempel organisiert.
Diese Entwicklung des Zentralmachtsystems hat bezogen auf den Vorderen Orient etwa 2000 Jahre gedauert (ca. 5000 bis 3000 v.Chr.), und die Analyse dieser Zeitspanne ist (für mich wenigstens) viel interessanter als die Epoche jener 5000 Jahre, die seither nachfolgten und in der wir immer noch leben. Denn letztere 5000 Jahre brachten nur Variation, Intensivierung und Differenzierung - aber nichts wesentlich Neues mehr. Wenn man aber den jetzigen Zustand ändern will, sollte man die davor liegenden Ursprünge sich ein wenig ansehen.
Ganz nebenbei: will man heute was in Richtung mehr 'Gemeinschaft' ändern, dann kommt das meist sehr schräg daher - kannte jemand hier den Artur Mahraun?
https://de.wikipedia.org/wiki/Artur_Mahraun
(Ich hab sein jungdeutsches Manifest als pdf, weiß aber nicht, ob es schon gemeinfrei ist)
Im Grunde ist das Zentralmachtsystem nichts anderes als eine 'technische Erfindung', allerdings eben im sozialen Bereich und deshalb eingebunden in die Gesetzmäßigkeiten ebendort (die wiederum durch einen biologischen, systemtheoretischen und physikalischen Rahmen vorgeprägt sind).
In meiner Auffassung bildet sich ein Zentralmachtsystem überall und immer dort, wo eine pro Fläche kritische Anzahl von Menschen (die in einer Region sesshaft leben) überschritten wird. Die Etablierung eines Zentralmachtsystems setzt immer eine Überschussproduktion innerhalb dieser Region oder bezogen auf diese Region (d.h. dorthin verbrachten Raub!) voraus. Der Sprung auf die höhere Organisationsebene erfolgt, wiewohl gewalttätig, über Verwandtschafts- und Seilschaftsbeziehungen und ist stets mit religiöse Konventionen verbunden.
Gerade im Vorderen Orient lässt sich dies sehr schön zeigen: bevor der Palast kam, war 2000 Jahre schon der Tempel mitsamt seinen Vorratshäusern da. Aber genau wie das Silber wurde auch der Tempel umfunktioniert. In einer der Städte des Zweistromlandes (hab vergessen welche ...) gab es lange noch folgendes Ritual jährlich zum Neujahrsfest: dem König wurde das Szepter abgenommen, er wurde geohrfeigt und musste neu seinen Schwur auf Tempel und Land leisten. Erst dann wurde ihm der Stab zurückgegeben.
Für alle, die diese Themen interessieren, habe ich ganz unten ein paar weitere Literaturhinweise. Es gab hier einmal eine kurze Diskussion über Alternativen zum bzw. 'sanftere' Formen von Zentralmachtsystem (ich hatte auf die Indus-Tal-Kulturen hingewiesen). Wer sich für diese Thematik interessiert, möge sich bitte auch mit den frühen Hethitern (ein nach Anatolien eingefallener germanischer Stamm) beschäftigen, wofür vielleicht dieser Artikel als Einstieg dienen mag:
https://www.wissenschaft.de/allgemein/hethiter-die-vergessene-weltmacht/
LG, W.
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für die vertiefende Lektüre
Zuerst nochmal Eric Cripps: Land Tenure and Social Stratification in Ancient Mesopotamia: Third Millennium Sumer Before the Ur III Dynasty (British Archaeological Reports International Series)
nochmal Barabara Helwing, heute Direktorin Vorderasiatisches Museum in Berlin, hervorragende Spezialistin und Herausgeberin für
Iran: Frühe Kulturen zwischen Wasser und Wüste, Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland 2017
Helwing, B. (2013). Some thoughts on the mode of culture change in the fourth-millennium BC Iranian highlands. In Cameron A Petrie (Eds.), Ancient Iran and Its Neighbours: Local Developments and Long-range Interactions in the 4th
Millennium BC, (pp. 93-105). Oxford, UK: Oxbow Books.
Hinweis: Das vierte Jahrtausend hatte zwei große Dürreperioden, die sozialen Stress mit sich brachten und neue Innovationen im Bewässerungsbau erforderlich machten. Außerdem trieben sie Völker vom Norden, d.h. aus den Bergen und der Steppe nach Süden, und diese Migration bildete den eigentlichen Anstoß für die Ausbildung der dortigen Zentralmachtsysteme, bis hinunter nach Ägypten. Ein Teil dieser extrem wichtigen Thematik, wird hier abgehandelt:
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S027737911530127X
Jason Ur - Early Mesopotamian Urbanism: A New View from the North
https://dash.harvard.edu/bitstream/.../Ur_EarlyMesoUrbanism.pdf
Akkermans/Schwartz - The Archaeology of Syria: From Complex Hunter-Gatherers to Early urban Societies (c. 16,000-300 BC)
nun, auf Basis dieser archäologischen Funde, wird es abstrakter:
Werner Leuthäusser, Die Entwicklung staatlich organisierter Herrschaft in frühen Hochkulturen am Beispiel des Vorderen Orients.
Klaus Eder, Die Entstehung staatlich organisierter Gesellschaften - Ein Beitrag zu einer Theorie Sozialer Evolution
(sein Buch über die 'öffentlichen Sklaven' in Rom ist besser ...)
nächst höhere Ebene der Verallgemeinerung:
Michael Schmid - Soziales Handeln und strukturelle Selektion: Beiträge zur Theorie sozialer Systeme
(Auf der Mikroebene ist das Kernelement des Sozialen eine Verhaltensregel. Die Verhaltens- bzw. Handlungsregel kann hinsichtlich ihres Inhaltes oder hinsichtlich ihrer Vernetzung mit anderen Regeln modifiziert werden. Dies ist der primäre Grund von 'Geschichte' und sozialer Evolution).
Michael Schmid, Andrea Maurer (Hg.)
Ökonomischer und soziologischer Institutionalismus. Interdisziplinäre Beiträge und Perspektiven der Institutionentheorie und -analyse
(Institutionen sind aggregierte bzw. strukturierte Komplexe von Verhaltensregeln)
Andrea Maurer - Herrschaft und soziale Ordnung: Kritische Rekonstruktion und Weiterführung individualistischer Theorietradition.
In der Einleitung wird festgestellt, "dass die Herrschaftssoziologie bereits seit längerer Zeit den Anschluß an den allgemeinen sozialtheoretischen und -wissenschaftlichen Diskurs verloren hat", d.h. Untersuchung von Herrschaftssystemen ist aktuell kein Thema ...
Die nächst höhere theoretische Ebene wäre dann die Anbindung derartiger Forschungsergebnisse an die Systemtheorie und Thermodynamik. Die umfangreichste, mir bekannte Untersuchung (abgesehen von spieltheoretischen Ansätzen) stammt von einem Außenseiter, der in den Niederlanden lebt (Berufsoffizier), Ingo Piepers, der seine Bücher auf
https://global4cast.org/ zum freien Download anbietet.
Doch VORSICHT dort beim Anschauen: Thermodynamics of War and Social Evolution hat im Download fast 600 MB pdf-Format.
Ich kann mir zum Schluß eine Bemerkung zur Kupellation (Silbergewinnung) nicht versagen, weil @Fox-News neulich das Thema Objektivität und richtige Erkenntnis der Realität angeschnitten hat. Bei der Kupellation wird die unterschiedliche Sauerstoffaffinität von Blei und anderen Metallen ausgenützt, um diese vom Silber abzutrennen (Genaueres siehe Wikipedia). In der Alten Welt hatte man dabei einen Blasebalg, aber der war in Südamerika nicht bekannt - und doch konnte man dort ebenfalls Silber sehr rein extrahieren. Hierzu hat man spezielle Öfen gebaut, in die der Wind hineinblasen konnte und die an entsprechend windreichen Orten (Region Porco, Bergspitzen etc.) aufgestellt waren - was einen enorme Logistik beim Materialtransport erforderte. Dies zeigt, dass sich der Mensch der objektiven Realität empirisch durchaus annähern kann - und nach Erfindung der Wissenschaften nun auch in der Theorie, d.h. mit vollem Verständnis des Hintergrundes.